"Nette Menschen"-betr.: "Schwule - endlich gesellschaftsfähig", taz vom 19.11.88

Betr.: „Schwule - endlich gesellschaftsfähig“, taz vom 19.11.88

Die Ignoranz und die ideologische Selbstzufriedenheit, mit der Elmar Kraushaar über kultur- und sozialpolitische Initiativen schwuler Gruppen schreibt, entspringt wohl eher dem Muff unreflektierter Revolutionsideale mit Absolutheitsanspruch, deren oberstes Ziel offensichtlich die Abschaffung „netter Menschen“ ist.

Daß es bei dieser Veranstaltung im Reichstag um eine europäische Kampagne gegen den britischen antihomosexuellen Paragraphen „Section 28“ ging, zu der das Treffen Berliner Schwulengruppen (TBS) eingeladen hatte, verschwieg Elmar geflissentlich. Das könnte vielleicht seine These: „Schwule

-endlich gesellschaftsfähig“ in Frage stellen, ist doch europaweit die konservative Bewegung dabei, uns schrittweise moralisch ins finsterste Mittelalter zurück zu katapultieren. Das gelingt ihr um so besser, wie wir als „Randgruppe“ im ideologischen und sozialen Ghetto bleiben, wenn auch autonom, trotzdem isoliert.

Schwule Emanzipation bedeutet jedoch in die Offensive gehen, auf die Heteros zuzugehen, ihnen die Berührungsängste nehmen vor dem Unbekannten, dem Tabu, ihnen zeigen, daß schwule Liebe auch etwas schönes und gleichberechtigtes ist, daß es sehr verschiedenartige Schwule gibt, ebenso wie es verschiedenartige Heterosexuelle gibt, daß schwule Männer ebensoviele Probleme haben, ihre Liebe und ihr Leben zu verwirklichen wie heterosexuelle Männer und daß sie ihre eigene Lebensform selbstbestimmt und eigenverantwortlich wählen und leben wollen.

In die Offensive zu gehen bedeutet immer Herausforderung, in Frage stellen der eigenen und anderer Positionen. So konfrontieren wir heterosexuelle Institutionen in Staat und Gesellschaft mit schwulen Projekten unterschiedlichster Art.

Wenn Elmar dies als „buhlen um Reputation“ versteht, so zeigt sich, daß für ihn die Offensive keine Rolle mehr spielt, sondern er den Traum von einem „gesicherten Platz“ in autonomer Randständigkeit träumt.

Es geht darum, der konservativen Bewegung den Boden zu entziehen in ihrer Verurteilung gleichgeschlechtlicher Liebe als „krank, böse, kriminell, etc.“. Ein weiterer Schritt vorwärts in dieser Offensive ist die Verabschiedung eines politischen Programmes durch das TBS in dem die vorläufigen Positionen und Forderungen der Berliner Schwulenbewegung konkretisiert werden, zu erhalten im Mann-O-Meter-Laden, Motzstraße 5, in dem man übrigens von sehr netten Schwulen informiert wird!

Bernd Stürzenberger, Berlin