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Das flammende Inferno und die Gerüchte

Der Frankfurter Opernbrandstifter gestand ein kleines Feuer mit großen Auswirkungen / Das Gericht gab sich mit dem Geständnis zufrieden, ohne den Brandverlauf genau zu untersuchen / Bankeninteresse am Grundstück in der Innenstadt  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Opern liebt er, der 27jährige Michael Wortha, vor allem Richard Wagner. Aber selbst die „Götterdämmerung“ reicht nicht heran an das Krachen und Tosen, das der junge Mann in der Nacht vom 11. auf den 12.November 1987 im Frankfurter Opernhaus angerichtet haben soll.

„Es war der größte Brand, den ich in meinem Leben gesehen habe“, sagte Branddirektor Günther Burbaum als Zeuge vor der 4.Großen Strafkammer des Frankfurter Landgerichts aus. Von „flammendem Inferno“ und „Feuersturm“ war die Rede. 396 Feuerwehrleute löschten in rund 2.000 Arbeitsstunden, bis nach sechs Tagen alle Brandherde erkaltet waren. Bühnenraum und Orchestergraben der Oper waren ausgebrannt, das Dach darüber eingestürzt, der Sachschaden wurde auf 130 Millionen Mark geschätzt. Michael Wortha ist angeklagt, das Feuer gelegt zu haben. Er hat die Tat gestanden. Dennoch verstummen die Gerüchte nicht, die besagen, daß das Riesenfeuer, das eine Hitze von 1.400 Grad entwickelte, ganz andere gelegt haben. Vor allem langjährige Angestellte der Oper fragen sich noch immer, wem denn der Brand seinerzeit eigentlich gelegen kam. Da gab es den Krach um Opernchef Gielen, der Frankfurt im Zorn verließ und von seinem Nachfolger Bertini abgelöst wurde. Dessen Pläne gingen in der Brandnacht erst einmal in Flammen auf.

Die Oper, „das Kraftwerk der Gefühle, hat im Keller labyrinthische Gänge, in denen sich gut munkeln läßt“, schrieb Elisabeth Bauer am 16.November 1987 in der taz. Neue Nahrung für die Gerüchte über den Raub der Flammen lieferte der Frankfurter Bauunternehmer Ignatz Bubis. Schon kurz nach dem Brand dachte er darüber nach, ob es denn sinnvoll sei, die Oper an gleicher Stelle wieder aufzubauen. Das mitten im Zentrum gelegene Grundstück ist eines der teuersten in Frankfurt. Die Stadt könne es doch, überlegte Bubis, für zum Beispiel 300 Millionen Mark an eine der sicher sehr interessierten Banken verkaufen und die Oper anderswo wieder aufbauen. Seine Partei, die FDP, im Römer zwar nicht vertreten, aber mit Ratschlägen von außen immer schnell zur Hand, klatschte ihm Beifall, konnte sich aber nicht durchsetzen.

Bei so viel gehäuftem Interesse an der Brandruine machte sich Mißtrauen breit. Konnte Michael Wortha wirklich mit so einem „kleinen Feuer“, wie er es gelegt zu haben zugab, einen so großen Schaden anrichten? Wie kam es, daß zuerst nur der Bühnenraum ausbrannte, dessen Eiserner Vorhang zum Zuschauerraum hin zwar ausgeglüht war, aber eisern gehalten hatte? Warum brannte es am Tag danach im Farblager, das durch zwei Brandmauern vom Bühnenraum getrennt war und dann später auch noch auf der anderen Seite des Gebäudes? Warum brannte es in dem Haus, in dem es vorher nie gebrannt hatte, in diesem Sommer schon wieder? Das Tonstudio, so war zu hören, sei bei Schweißarbeiten in Brand geraten. Und es brannte auch im Oktober, vor wenigen Wochen, noch einmal. Das nach Angaben von Insidern mit 100 Millionen Mark unterversicherte Gebäude geriet dabei wieder in Gefahr.

Skeptiker wiesen darauf hin, daß die Alarmanlage fast eine Stunde brauchte, um die Feuerwehr zu alarmieren. Andere wiederum fanden, daß „in so kurzer Zeit“ kein Feuer mit einer Hitze von rund 1.400 Grad hätte entstehen können. Gerüchte besagen, daß unter der Bühne neben anderen Requisiten Phosphorfackeln lagerten. Es stellte sich die Frage, ob die Brandwache, die gegen ein Uhr noch ihre Runde drehte, geschlafen hat. Den Brand, sagte Wortha, habe er zwischen 1.30 und 2.30 Uhr gelegt. Die Feuerwehr traf gegen 3.25 Uhr ein.

Im Prozeß gegen Wortha wurden diese Fragen nicht geklärt. Die Ermittlungsbehörden gaben sich weitgehend mit seinem Geständnis zufrieden, Vorsitzender Richter Bohlinger verlegte sich nicht auf intensives Nachfragen.

Wortha kam 1983 aus der DDR in die Bundesrepublik. Dort hatte er sich vorher mit asiatischer Mystik befaßt und gegen den Staat opponiert. Er kam ins Gefängnis und wurde von der Bundesrepublik freigekauft. Er wird hier wie dort nicht heimisch, jobbt als Vertreter, fällt der Polizei auf und wird wieder laufen gelassen. 1985 überquert er illegal die Grenze von West nach Ost, um einen Freund „rauszuholen“. Er wird erwischt und zu 18 Monaten Haft verurteilt, dann abgeschoben. Im Februar 1987 ist er wieder in der Bundesrepublik, findet Arbeit in München und fliegt mit dem verdienten Geld nach Sri Lanka, um ein neues Leben zu beginnen. Der Versuch scheitert.

Es fehlte ihm das Geld zur Weiterreise nach München, wo er, wie vorher schon, als gutbezahlter Kellner hätte arbeiten können. Nachdem Behörden ihn abgewiesen hatten, sei er sehr zornig, hungrig und müde gewesen. Im Bahnhofsviertel zündete er die Fußmatte vor der Tür der Fluggesellschaft „Lanka Airs“ und dann einen Müllcontainer an. Anschließend sei er auf der Suche nach Essen durch ein offenes Kippfenster in die Oper eingestiegen, habe nichts gefunden und in einem kleinen Raum mit einem alten Hemd, Handtüchern und einer Zeitung Feuer gelegt. Er habe gedacht, er sei in ein Bürohaus eingestiegen. Es war der Vorraum zum Orchestergraben. Dann sei er geflohen. Von einer Telefonzelle aus rief er die Polizei an und ließ sich festnehmen.

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