Alte Lodenröcke und neue Fliegerjacken

■ Die extreme Rechte in der BRD probt das Bündnis von traditionellen „nationalen Kräften“ und jungvölkischen „Revolutionären“ / taz-Serie: Teil II

Klaus-Peter Klingelschmitt

Die „Sammlung aller nationalbewußten Deutschen“ ist das erklärte Ziel des Dr. Gerhard Frey. Und der 1933(!) geborene Verleger der 'Deutschen Nationalzeitung‘ (DNZ) und Vorsitzende der „Deutschen Volksunion - Liste D“ (DVU-Liste D) ist diesem Ziel in den letzten drei Jahren ein großes Stück näher gekommen. Trotz - wie der hessische Verfassungsschutz anmerkt - „gegensätzlicher Auffassungen in den Bereichen der äußeren Sicherheit und der Verteidigungspolitik“ schaffte es der Altnazi aus dem Bayerischen Wald, die stagnierende „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) an sich und sein rechtsradikales Sammelbecken zu binden. In der DVU hatten sich unter Frey bereits Anfang der 80er Jahre sechs neonazistische Splittergruppen zur „Aktionsgemeinschaft“ zusammengeschlossen: die „Volksbewegung für Generalamnestie“ (VOGA), die 1980 gegründete „Initiative für Ausländerbegrenzung“ (IfA), die „Aktion deutsches Radio und Fernsehen“ (ARF), die „Aktion Oder-Neiße“ (AKON) oder „Aktion Deutsche Einheit“, der „Ehrenbund Rudel“ und der „Schutzbund für Volk und Kultur“, der vor seiner Umbenennung 1986 „Schutzbund für Leben und Umwelt“ hieß.

Nach der Pfeife von Geldgeber Frey, der neben der 'Nationalzeitung‘ auch noch den 'Deutschen Anzeiger‘ und die 'Deutsche Wochenzeitung‘ herausgibt (Gesamtauflage 120.000 Exemplare), tanzen derzeit angeblich rund 16.000 alte und neue Nazis, die zu etwa zwei Dritteln Mitglieder der NPD sind. Spitzenfunktionäre der NPD traten in den letzten Jahren verstärkt in die DVU-Liste D ein, insbesondere vor und nach dem spektakulären Wahlerfolg der Liste bei den Bremer Bürgerschaftswahlen im September '87. Aufgrund des Stimmenanteils in Bremerhafen (5,4%) rutschte die DVU-Liste D in die Bürgerschaft - unter dem Beifall der NPD -Funktionäre, deren Partei bereits in den Jahren 1967 bis '71 schon einmal in der Bürgerschaft der Hansestadt vertreten war. Rund 2 Millionen Mark hatte Frey in den Wahlkampf gepumpt. Mit der Einbindung der NPD in den monatelangen Wahlkampf war es Frey und seinen Volksgenossen gelungen, den rechten Wählerrand in Bremen voll aufzuwischen. Bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen in Bremen errang die DVU-Liste D in Bremerhafen gleich zwei der zu vergebenden 48 Stadtverordnetensitze.

Dabei war das erste Experiment einer Wahlbeteiligung der Aktionsgemeinschaft DVU-Liste D/NPD auf Länderebene nur Monate zuvor gescheitert. In Rheinland-Pfalz wurde die kandidierende NPD von der DVU-Liste D materiell und auch personell unterstützt, doch das rechte Bündnis kam im Mai '87 „nur“ auf 0,8 Prozent der abgegebenen Stimmen. Nach dieser „Niederlage“ (Selbsteinschätzung) mehrten sich in beiden Lagern die Stimmen, die auf die Betonung der Differenzen zwischen NPD und DVU-Liste D insistierten. Doch die Spitzenfunktionäre beider Parteien - Frey und der NPD -Vorsitzende Martin Mußgnug - drängten auf weitere „Aktionseinheiten“, denn „gemeinsam haben wir eine größere Durchschlagskraft“ (Frey).

Die Kritiker der Zusammenarbeit vor allem innerhalb der „etablierten“ NPD, die - im Gegensatz zum „natotreuen“ Frey

-einen „nationalen Neutralismus“ propagieren, wurden nach dem „Durchbruch“ (Frey) in Bremen leiser, auch wenn der „Geldsack“ Frey bei den alten NPD-Volksgenossen noch immer nicht beliebt ist und ihm „auf Profit ausgerichtete Geschäftemacherei“ vorgeworfen wird. Nicht vergessen ist bei der NPD, daß Verleger Frey vor Jahresfrist auch ihr braunes Blatt, die 'Deutsche Wochenzeitung‘ (Auflage 16.000 Exemplare) schluckte. Der legendär-berüchtigte NPD -Vorsitzende Adolf von Thadden hatte seine Partei schon in den 60er Jahren vor Frey und seinen Anhängern gewarnt. Frey sei ein „Strolch“, dem man nicht einmal die Hand geben dürfe. Doch bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, als wiederum die NPD von der DVU-Liste D massiv im Wahlkampf unterstützt wurde, gelang der vereinigten Rechten im März '88 ein zweiter spektakulärer Wahlerfolg, wenn es auch (noch) nicht zum Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde reichte. Mußgnug stellte danach denn auch nüchtern und für seine von Frey noch immer nicht überzeugten alten Kämpfer fest, „daß das nationale Lager weit mehr Bürger umfaßt, als in der NPD zu organisieren sind“. Um dieses „nationale Lager“ voll ausschöpfen zu können, müsse die „Einheit der Nationalen“ (Mußgnug) weiter vorangetrieben werden: „Seit der Bremer Bürgerschaftswahl ist klar, daß wir in der Lage sind, die Fünf-Prozent-Hürde im Sturm zu nehmen.

Ausgrenzung als

Minimalkonsens

DVU-Liste D und NPD haben sich programmatisch an einem Ziel ausgerichtet, das von den „Partnern“ als Minimalkonsens bezeichnet wird: Beiden Parteien geht es um die Vertreibung respektive die „Begrenzung“ der ausländischen MitbürgerInnen und vor allem der AsylbewerberInnen. In von der DVU-Liste D im Bremer Wahlkampf geschalteten Anzeigen hieß es unmißverständlich: „Deutschland den Deutschen. Stopp der weiteren Zuwanderung von Heerscharen fremder Menschen. Begrenzung des Ausländeranteils. Ausweisung von kriminellen Ausländern und Asylbetrügern. Deutsche Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer. Da die beschworene Wende ausgeblieben ist und die gegen die Lebensinteressen des deutschen Volkes gerichtete Politik fortgesetzt, ja verstärkt wird, muß jetzt gehandelt werden. Das Maß des Erträglichen ist übervoll.“ Und im „neuen“ Programm der NPD - verabschiedet im November '87 in Höchstadt an der Aisch - wird darauf insistiert, daß „der innere Friede durch den Massenzustrom von Ausländern gefährdet“ sei. Mit den Methaphern „Recht auf kulturelle Identität“ und „Integration ist eigentlich ausländerfeindlich, weil Zwangsgermanisierung“, will die NPD dem theoretischen Ansatz der Neuen Rechten (Thule -Gesellschaft u.a.) gerecht werden und gleichzeitig ihre ausländefeindlichen Mitglieder programmatisch befriedigen. Weiter heißt es deshalb eindeutig, „daß den Angehörigen anderer Völker die Möglichkeit gegeben werden muß, ihre kulturelle und nationale Identität zu wahren; nicht zuletzt, um ihnen die Rückkehr in ihre Heimatländer zu erleichtern“. Martin Stadelmeyer schrieb im vom sozialdemokratischen Pressedienst herausgegebenen 'blick nach rechts‘ im Februar '88: „Das neue Programm der NPD verkauft alte Ladenhüter in modernisierter Aufmachung. Hinter der adretten, dynamischen, zukunftsorientierten Fassade drückt bei näherem Hinsehen die braune Soße durch.“

Wiederholt wurde sowohl bei der NPD als auch bei der DVU -Liste D auf die Erfolge von Le Pen bei den letzten Wahlen in Frankreich verwiesen. Doch weder der NPD-Vorsitzende Mußgnug noch Frey selbst können sich mit dem als „charismatisch“ apostrophierten Le Pen messen: Mußgnug bleibt der bürokratische Funktionär und schlechte Redner, der selbst nach spektakulären Erfolgen seinen Anhängern kaum „elektrisierende“ Emotionen zeigt. Und der „hinterwäldlerische“ Frey ist innerhalb des legalen rechten Lagers als Geldgeber zwar gerne gesehen, doch identifizieren können sich mit ihm allenfalls die alten „Lodenröcke“ und die jungen Aufsteiger aus dem nationalen Lager. Schließlich florieren Freys Geschäfte, gleichgültig ob er Kassetten und Schallplatten mit den „Liedern unserer Fallschirmspringer“ vertreibt, für 139,50 DM die Reichskriegsflagge unters Jungvolk bringt oder mit seinem „Deutsche-Reisen-FZ-Verlag“ für knapp 5.000 Mark „deutsche Patrioten nach Südwest“ karren läßt - „wo einst die Soldaten der deutschen Schutztruppe gegen aufständische Hottentotten kämpften“.

Bündnis mit

„Republikanern“?

Die „Hottentotten“ von heute waren für Frey lange Zeit die Republikaner des Franz Schönhuber. Frey und Schönhuber gifteten sich über Jahre hinweg öffentlich an, und der Republikaner-Chef nannte den „Herausgeber“ lange Zeit nur den „Vereinsmeier“. Schönhubers „verfassungskonforme Partei“ (Schönhuber) grenzt sich denn auch (noch) vom rechten Bündnis NPD/DVU-Liste D ab. Schließlich, so Schönhuber während einer Rede im baden-württembergischen Wahlkampf, stünden die anderen im Verfassungsschutzbericht und seine Republikaner nicht. Doch die Wahlerfolge der vereinigten Rechten und die Niederlagen der Republikaner in Bremen und in Baden-Württemberg haben die starren Fronten aufgeweicht. Die NPD - unbelastet von der persönlichen Feindschaft zwischen Frey und Schönhuber - soll den Mittler spielen, damit die „nationalen Parteien“ spätenstens Anfang der 90er Jahre „an einem Strang ziehen“ können. Schon im Mai '88 erklärte der NPD-Bundesvorsitzende Mußgnug, daß das Bündnis NPD/DVU-Liste D mit den Republikanern „in nicht allzu ferner Zukunft auf eine Schiene kommen“ werde. Noch liege Schönhuber „quer“, doch die Erfolge des Bündnisses hätten eine gewisse Sogwirkung. Innerhalb der Republikaner, so die Einschätzung von Mußgnug, werde der Widerstand gegen Schönhubers Isolationskurs immer stärker. Die Zusammenarbeit zwischen der NPD und der DVU-Liste D sei „beispielhaft“: „Wir haben die Regelung getroffen, daß wir wechselweise kandidieren und alles miteinander absprechen.“ Das sieht auch der Verfassungsschutz so: „Das Zusammenwirken zwischen NPD und DVU-Liste D ist das wichtigste Ereignis des letzten Jahres im Bereich rechtsradikaler Bestrebungen.“ Eine Einschätzung, die nach Meinung von Mußgnug für die Republikaner doch Ansporn genug sein müßte, sich anzuschließen, „ob mit oder ohne Schönhuber“. Sollte sich diese Hoffnung erfüllen, würde die dann vereinigte Rechte mit einer Mitgliederzahl von etwa 20.000 ein auch wahlarithmetisch ernstzunehmender Machtblock rechts von CDU/CSU werden. Schon jetzt zielt Mußgnug auf die WählerInnen am rechten Rand der Union: „Da ist viel für uns drin. Die versprochene Wende hat ja nicht stattgefunden, die Zahl der enttäuschten CDU-Wähler wächst. Die CDU betreibt ja keine konsequente Politik, zum Beispiel in der Asylpolitik. Aber wir kriegen auch vermehrten Zulauf in reinen Arbeitergegenden und da, wo Unterprivilegierte wohnen. Und natürlich viele junge Leute, die nie CDU gewählt haben, sondern entweder SPD oder sogar die Grünen.“

Neonazistische

„Revolutionäre“

Aber nicht nur die legale Rechte blickt voller Hoffnung nach Frankreich. Auch der Ex-Leutnant und ambitionierte „Führer“ der militanten Neo-Nazis, Michael Kühnen, träumt von Le Pen -ähnlichen Erfolgen. In einem Gespräch mit der taz im Mai dieses Jahres beschrieb er bereits die nun erkennnbare Strategie seiner „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“: „Ich sehe in der BRD Chancen, hier ähnliches zu schaffenb wie Le Pen in Frankreich. Le Pens Siegeszug begann mit Erfolgen auf lokaler Ebene, die von den Medien hysterisch aufgenommen wurden. Bei uns ist die gleiche Atmosphäre wie in Frankreich vorhanden: die Unzufriedenheit unter den Bauern, alten Leuten, Vertriebenen und arbeitslosen Jugendlichen wächst. Ein Erfolg bei den hessischen Kommunalwahlen könnte ein ähnliches Signal setzen wie Le Pen vor Jahren in Frankreich.“ Einen „Erfolg“ hat Kühnen aber vor allem aus persönlichen Gründen nötig. Denn während der dreijährigen Haftzeit des „Führers“ - er wurde im März dieses Jahres entlassen - zerfiel seine „revolutionäre Kampfgemeinschaft“ in zwei Teile.

In Nord- und Westdeutschland schwang sich ein Jürgen Mosler aus Duisburg zum neuen „Führer“ auf. Und gegen Kühnen wurde von der Gruppe um Mosler eine „Verleumdungskampagne“ (Kühnen) losgetreten mit dem Ziel, den einsitzenden Gründer kaltzustellen. Die Gruppe um Mosler bezichtigte Kühnen der Homosexualität. Der Streit verschärfte sich noch, als Mosler behauptete, Kühnen habe auch Aids. Mosler forderte die „Säuberung der Partei von Homosexuellen“. Der Machtkampf zwischen den Flügeln tangierte auch die bereits 1979 von dem Stuttgarter Kaufmann Martin Pape gegründete „Freiheitliche Arbeiterpartei“ (FAP), weil mehrere Mitglieder der verbotenen ANS/NA bei Pape Unterschlupf gefunden hatten. Der hessische Verfassungsschutz hält die FAP inzwischen für „unterwandert von Ex-ANS/NA-Mitgliedern“.

Die meisten FAP-Anhänger und Mitglieder der „revolutionären Bewegung“ distanzierten sich nach der Kampagne von Kühnen; nur seine hessischen Gesinnungsgenossen standen ihm weiter loyal zur Seite. Der FAP-Kreisverband Frankfurt, dem nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes etwa 20 Personen angehören, wurde von Kühnen aus der Zelle heraus gesteuert: Der „Führer“ verschickte monatlich einen „Schulungsbrief“ und hielt mit seinen rund 80 Anhängern Verbindung über die FAP-Monatszeitschrift 'Die neue Front‘. In der Haft verfaßte Kühnen außerdem die Bände I und II seiner Broschüre Die zweite Revolution, die von der in den USA residierenden „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei - Auslands Aufbauorganisation“ (NSDAP-AO) herausgegeben wurde. In Band I behandelt der Mann, der nicht der „neue Führer“ sein will, „Form und Gestaltung des neuen Reiches aller Deutschen“: „Er fordert die 'Aufhebung des NS-Verbotes‘ und die 'Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Großdeutschen Reichs‘. Mit einer Revolution von rechts sollen die 'Träume von Recht und Freiheit, von Lebensraum und Weltmacht, von Rasse und Nation, vom Abendland und der Endlösung der Judenfrage, vom dritten Weg jenseits von Kapitalismus und Kommunismus, von der Volksgemeinschaft der Deutschen‘ erreicht werden. Um dem deutschen Volk einen ausreichenden Lebensraum zu sichern, soll im gesamten Mittelmeerraum ein 'europäisches Reich errichtet werden - unter Führung eines nationalsozialistischen Deutschlands auf dem Fundament von Antizionismus, Antikommunismus und Antikapitalismus'“ (Quelle: Verfassungsschutzbericht Hessen 1987).

Aus dem Knast heraus sorgte Kühnen auch für die Reorganisation seiner treuen hessischen Volksgenossen. Mit der Gründung immer neuer „Vorfeldorganisationen“ nahm der „Führer“ die „dritte Etappe des Wiederaufbaus der Gemeinschaft“ in Angriff. Der Nazi Thomas Brehl aus Fulda wurde von Kühnen zum „Stellvertreter“ ernannt. Und Brehl wurde auch Kühnens „Statthalter“ in der südhessischen Kleinstadt Langen, die Kühnen - nach der Haftentlassung zur neuen „Hauptstadt der Bewegung“ erkoren hat.

Zwischenetappe

Kommunalwahlen

In Langen und in Frankfurt will Kühnen nun mit der „Liste Ausländer raus - Nationale Sammlung (N.S.)“ zu den hessischen Kommunalwahlen am 12.März 1989 antreten. Kühnen als „Wahlkampfleiter“ für Langen, und für Frankfurt, Brehl als „Statthalter“ und Kandidat in Langen und der Langener Altnazi Heinz Reisz (Jahrgang 1938) als „Spitzenkandidat“. Zu Reisz heißt es in einem „Stürmer-Flugblatt“ der Truppe, die seit Monaten in Langen einen aggressiven Wahlkampf vor allem gegen die ausländischen MitbürgerInnen der Stadt führt: „Er war zu jung, um in einer nationalsozialistischen Organisation tätig sein zu können, doch wuchs er als deutscher Junge in einem wirklich deutschen Staat auf, was ihn für sein Leben prägte.“ Die Ehefrau von Reisz ist übrigens „Gauführerin der Deutschen Frauenfront.“ Reisz selbst war NPD-Mitglied und trat 1987 der FAP bei.

In Verfassungsschutzkreisen wird die Kandidatur der N.S. unter dem „Wahlkampfleiter“ Kühnen als „letzte Chance“ für den durch die Aids-Kampagne imagegeschädigten Naziführer angesehen, sich bei der Anhängerschaft der „Neuen Front“ und der FAP wieder in Szene setzen zu können. Ein spektakulärer Wahlerfolg in Langen und/oder in Frankfurt würde den Chefideologen der eindeutig nazistischen Rechten wieder an die Spitze der „Bewegung“ katapultieren.

Daneben könnte Kühnen - nach drei Jahren Haft - auch von der vom Verfassungsschutz diagnostizierten „Führungsschwäche“ des FAP-Bundesvorsitzenden Pape profitieren. Die in die FAP eingesickerten ehemaligen Mitglieder der ANS/NA lehnen Pape und das Programm der FAP mehrheitlich ab, weil sich die FAP nicht öffentlich zum Nationalsozialismus bekennt. Dennoch bleibt die FAP mit etwa 500 Mitgliedern die Mitgliederstärkste Organisation der nazistischen Rechten.

Auch der Kühnen-Konkurrent Mosler war ideologisch und aktionistisch nicht untätig. Für seine etwa 200 Anhänger verfaßte Mosler in Duisburg eine Schrift über die „Grenzen der legalen Arbeit“. So werden in einem Beitrag zu den Todesschüssen auf Polizisten an der Startbahn West des Frankfurter Flughafens nicht die Schüsse selbst, sondern die dahinter vermuteten „falschen taktischen Überlegungen“ kitisiert. Mosler: „Niemals darf ein legaler Organisationsrahmen - in diesem Fall eine Bürgerinitiative als Basis für terroristische Aktionen benutzt werden.“ Zwischen „legaler Propaganda und illegalen Aktionen“ sei streng zu trennen. Nach diversen Aktionen der Mosler-Gruppe hatte der NRW-Innenminister Herbert Schnoor von Bundesinnenminister Zimmermann bereits im September '87 ein Verbot der FAP gefordert. Auch in Hessen verlangten SPD und Grünen - nach den Vorfällen in Langen (die taz berichtete) ein Verbot der Organisation. In seinem Brief an Zimmermann wies Schnoor allerdings auch darauf hin, daß man extremistisches Gedankengut nicht in erster Linie mit einem Verbot bekämpfen könne: „Die Auseinandersetzung muß hauptsächlich im gesellschaftlichen Raum und mit politischen Mitteln geführt werden.“

Völkischer Background:

das Thule-Seminar

Programmatische Klammer aller rechtsradikalen und neonazistischen „Bewegungen“, Organistionen und Parteien ist die Ausländerfeindlichkeit, die sich bei den radikaleren Gruppierungen, aber auch an den Rändern von NPD und DVU mit Antisemitismus paart. Daneben greifen die rechten Parteien aber auch „Führer“ Kühnen - immer häufiger Entwürfe der „neuen Rechten“ auf, die zum Beispiel vom „Thule-Seminar“ entwickelt wurden. Das „Thule-Seminar“ ist eine Nachfolgeorganisation der 1912 gegründeten „Thule Gesellschaft“, deren „ehrenwerte“ Mitglieder in den 20er Jahren Adolf Hitler in die „besseren Kreise“ der Finanzbourgeoisie und der hohen Politik einführten und den ideologischen „Background“ für die Reden des „Führers“ lieferten. Die „neue Weltsicht“ der „neuen Rechten“ impliziert durchaus ideologische Parallelen zu den Entwürfen der westdeutschen Linken. Das Feindbild der „neuen Rechten“ ist nicht mehr der „Bolschewismus“, sondern das „Yankeetum“, dem mit der Schaffung eines „Großeuropa“ das Wasser abgegraben werden müsse. In den Publikationen der „neuen Rechten“ - etwa in der Zeitschrift 'Klartext‘ oder auch in der Zeitung der Jungen Nationaldemokraten - ist immer häufiger von der „Nation Europa“ die Rede. Und die NPD als größte rechtsradikale Partei hat in ihrem neuen Programm den „Neutralismus“ der europäischen Nationen bereits als Forderung festgeschrieben. Auch Kühnen insistiert die Volksgenossen auf Europa - „unter der Führung eines nationalsozialistischen Deutschlands“.

Doch der „europäischen Wiedergeburt“ stehe die „Vermischung der Rassen“ in Europa entgegen, meinte einer der führenden Ideologen der „neuen Rechten“, Pierre Krebs, auf einer Veranstaltung des „Thule-Seminars“ im April in München. Der „größte Völkermord aller Zeiten“ sei diese „Vermischung der Rassen“ in Europa. Und gerade Deutschland sei durch „Überfremdung“ seiner „ethnischen Identität beraubt“ worden: „Deutschland ist in die schlimmste Agonie dieses Jahrhunderts getrieben worden.“ Verantwortlich für diese „Zustände“ sei der nach dem Krieg aus den USA importierte „Universalismus und Egalitarismus“, der zur „Zerstörung der Volksidentität“ geführt habe.

Krebs predigte den etwa 80 versammelten Anhängern den „Befreiungsnationalismus“, den die „neue Rechte“ auch den Völkern der Dritten Welt zugestehen will, denn auch deren Bestreben sei es, die „Fesseln der Überfremdung“ abzuschütteln. So würde etwa ein „Schulterschluß mit der arabischen Welt“ die US-Amerikaner zur Aufgabe ihrer Militärstützpunkte im gesamten Mittelmeerraum zwingen. Und ein Bündnis mit den Chinesen könnte das „Vordringen des Sowjet-Imperialismus auf diesem Erdball“ dauerhaft verhindern. Michael Kühnen hat die neuen/alten Weltbilder des „Thule-Seminars“ bereits in Band II seiner Broschüre Die zweite Revolution aufgegriffen („Ein europäisches Reich im gesamten Mittelmeerraum“). Und Kühnen hat auch grob die aus der rechtsradikalen Sicht „notwendigen Vorbedingungen“ für die Schaffung eines solchen Reiches unter „nationalsozialistischer Führung“ benannt: Die Säuberung Deutschlands von den „Fremden“. Denn ein starkes Volk könne nur in der „Abgrenzung nach außen und mit der Solidarität nach innen“ heranwachsen. Danach werde Deutschland zwangsläufig zum „Sendboten eines neuen Indoeuropäischen Glaubensbekenntnisses“ (Krebs).

Mit dem „indoeuropäischen Glaubensbekenntnis“ will die vereinigte „legale“ Rechte denn auch zu den Europawahlen im Juni '89 antreten. Die DVU möchte - unterstützt von der NPD

-in allen Wahlkreisen Kandidaten aufstellen und so die Fünf -Prozent-Hürde bundesweit überspringen. Aufgrund der zu erwartenden geringen Wahlbeteiligung rechnet sich das rechte Bündnis eine „realistische Chance“ (Mußgnug) aus. Die Rechte spekuliert auf die enttäuschten CDU/CSU-Wähler, die - bei den in ihrer Bedeutung geringer eingeschätzten Europawahlen

-ihrer Stammpartei problemlos einmal einen Denkzettel verpassen könnten. Ohnehin, so Mußgnug, sei der CDU -Generalsekretär Heiner Geißler einer der „besten Wahlhelfer“ für die NPD/DVU, weil er die CDU nach links geöffnet und so den rechten Rand der Union düpiert habe.

Europa ist auch die ideologische „Schnittstelle“ in den Vorstellungswelten von NPD und FAP/N.S., auch wenn die legale Rechte und die „revolutionäre“ Rechte nur selten in realiter zu Aktionseinheiten finden. Wiederholt hatten in der Vergangenheit allerdings FAP- und Skinhead -Schlägertrupps den „Saalschutz“ für die Veranstaltungen der legalen Rechten übernommen. Kühnen selbst interpretiert den Aufschwung der legalen Rechten bei den zurückliegenden Landtagswahlen denn auch nicht als Erfolg für die angetretenen Parteien, sondern als ein Zeichen dafür, daß das rechte Protestpotential weiter anwachse.

Noch ist das Lager der selbsternannten nationalen „Revolutionäre“ nicht so groß, daß es für die vereinigten rechten Parteien an der Zeit wäre, den neonazistischen Kräften innerhalb der „Bewegung“ Konzessionen zu machen. Die Abgrenzung von NPD/DVU und „Republikanern“ erlaubt es den rechten Parteien darüberhinaus, sich in der Öffentlichkeit als Teil des etablierten Parteienspektrums präsentieren zu können, als „Alternative, rechts von der CDU/CSU“ (Mußgnug).