Politische Ohnmacht

■ Zur Veröffentlichung des Briefes von Walter Momper, Berliner SPD-Vorsitzender, über den Verfassungsschutz

Nachdem er nun schon seit Tagen kursierte und zitiert wurde, hat jetzt die Berliner SPD den „Momper-Brief“ der Öffentlichkeit übergeben. Ein erstaunliches Dokument, ein einziger großer Köder für die Rechercheure der Republik. Der Brief dokumentiert eine terrierhafte Jagdwut des Verfassungsschutzes auf alle möglichen Dissidenten der FDGO, mit einem Totalitätswahn, der sich nur noch an der Stasi messen kann. Er zeigt, daß für den Verfassungsschutz weder Anwalts- noch Redaktionsgeheimnis noch sonstige Geheimnisse zählen; er zeigt vor allem aber, daß es für den Verfassungsschutz auch kein Amtsgeheimnis mehr gibt, vor allem nicht für die eigene Behörde. In Berlin weiß inzwischen fast jeder, was der Verfassungsschutz weiß – nur das Parlament darf es nicht wissen.

Der „Momper“-Brief nennt keine Namen, aber gibt mit jeder Zeile zu verstehen, daß man sehr wohl über Details aus dieser Behörde informiert ist. Er bestätigt den gehässigen Satz des Liberalen Oxfort, wonach der Berliner Verfassungsschutz einst „das liebste Kind der SPD“ war. Nun verrät das einstige liebste Kind, ein Teil der Behörde, den anderen Teil, die Erfüllungsgehilfen einer Exekutive. Dieser Brief steht am Ende einer Selbstkastration des Parlamentes, aller parlamentarischen Kontrolle. Er ist selbst ein Dokument politischer Ohnmacht. Er zeigt, daß über den Berliner Verfassungsschutz soviel bekannt ist, wie in sagen wir – Sizilien über die Mafia. Aber wer will schon Zeuge sein?

Nun hat der Regierende Bürgermeister eine unabhängige Persönlichkeit zur Erforschung des Verfassungsschutzes angeboten. Einerseits eine Ohrfeige für seinen Innensenator Kewenig, der immer nur singt „Alles erstunken und erlogen“ andererseits ein Zynismus im Amt, denn schließlich akzeptiert er damit, daß seine Koalitionsparteien das Parlament entmündigt haben. Außerdem: Der Vorschlag ist ein öffentliches Beruhigungsmittel, das die CDU über die Wahl rettet.

Klaus Hartung