Packt die UNO ihre Koffer?

■ Nachdem die USA Arafat ein Visum verweigert haben, will die UNO-Mehrheit nach Genf ausweichen

Alle sind sie entrüstet (die arabischen Staaten) oder zumindest verstört (die US-Verbündeten) - durch die einsame Entscheidung, die US-Außenminister Shultz gegen den Rat fast aller seiner Berater getroffen hat: PLO-Chef Arafat wird die Einreise wegen „Unterstützung des Terrorismus“ verweigert. Da Arafat nun in dieser Woche nicht vor der UNO -Vollversammlung auftreten kann, um die jüngsten Beschlüsse des Palästinensischen Nationalrats zu erläutern, wird eine deutliche UNO-Mehrheit wohl heute beschließen, für eine Extra-Session nach Genf zu ziehen. Selbst das State Department will sich nicht dagegen wehren. Die Frage ist nur: Wer soll das bezahlen? Schließlich leidet die Organisation unter der Säumigkeit ihrer Beitragszahler. Mit Abstand größter Schuldner sind die USA.

Ausgerechnet der Anti-Terrorismus-Experte der Rand Corporation brachte George Shultz‘ Entscheidung auf den Punkt: „Man kann sich auch so stocksteif aufrecht hinstellen, daß man auf den Hintern fällt.“ Der US -Außenminister, so meint Brian Jenkins, wollte eben die „Terrorismus-Bekämpfung“ mal ganz oben auf die Prioritätenliste stellen, weil die Glaubwürdigkeit der USA durch die Iran-Contra-Affäre so arg gelitten habe. Doch jetzt sind fast alle außer ihm selbst der Meinung, daß der Schuß nach hinten losgegangen ist: In den Vereinten Nationen sind die USA jetzt isoliert. „Ein einziges freundliches Gespräch“ habe er heute gehabt, klagte am Montag ein US -Diplomat in den Wandelgängen des New Yorker Glaspalastes mit einem Israeli.

Sonst kamen nur harsche und verstörte Reaktionen. Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien bedrängten die US-Amerikaner, ihre Entscheidung zu revidieren. Und der Präsident der UNO-Vollversammlung, Argentiniens Außenminister Dante Caputo, gab am Montag eine Erklärung heraus, in der er die Verpflichtung der USA hervorhob, Arafat als Gast der UNO ein Einreisevisum zu erteilen (siehe unsere Dokumentation aus dem Vertrag zwischen USA und UNO). Am gleichen Tag traf sich dann auch die Gruppe der arabischen Staaten. Ihr Beschluß: „Wenn diese Entscheidung nicht in spättens 48 Stunden rückgängig gemacht wird, dann haben wir keine andere Wahl, als in ein Land zu gehen, das seine Verpflichtung gegenüber den Vereinten Nationen einhält.“ Offenbar trifft dieses Ultimatum auch die Stimmung der großen Mehrheit der 159 UN-Mitglieder. Im UNO-Ausschuß für die Beziehungen mit dem Gastgeberland fand sich ebenfalls keine Stimme zugunsten von Shultz. Der britische Botschafter Anthony Aust lobte sogar ausdürcklich die jüngsten PLO-Beschlüsse, also die indirekte Anerkennung Israels, als „bescheidenen, aber wichtigen Schritt vorwärts“.

Eben dieser Einschätzung wollte George Shultz mit seiner vielleicht letzten wichtigen Entscheidung einen Paukenschlag entgegensetzen. Höhere Beamte des State Departments zuhauf beeilten sich, der Presse zu berichten - selbstverständlich anonym -, wie die Entscheidung zustandegekommen war. „Shultz stand da auf einer Seite, der Rest auf der anderen“, läßt sich ein „gut informierter Beamter“ zitieren, der auch noch weiß, daß Sicherheitsberater Colin Powell, Verteidigungsminister Frank Carlucci sowie die CIA- und Nahost-Experten des Außenministeriums dagegen waren, Arafat das Visum zu verweigern. Wohlweislich hatte Shultz weder den Vize-Präsidenten und künftigen Präsidenten Bush noch dessen designierten Außenminister James Baker vorher gefragt. Eingeweihte wissen warum: damit der es im Januar leichter hat, die Entscheidung wieder rückgängig zu machen.

Einen Verbündeten soll Shultz - neben einer erklecklichen Anzahl von Kongreßmitgliedern - allerdings noch gehabt haben: die Anti-Terrorismus-Abteilung im eigenen Hause. Deren Chef Paul Bremer, von dem vor allem bekannt ist, daß er als früherer Botschafter in den Niederlanden von Nahost -Fragen wenig Ahnung hat, soll Shultz zu einer „dramatischen Geste gegen den Terrorismus“ überredet haben.

Und dieses Drängen traf auf einen George Shultz, dessen persönliche Abneigung gegenüber dem PLO-Chef schon sprichwörtlich ist. Da spielte es denn auch keine Rolle mehr, daß auch Noch-Präsident Reagan nicht vorher gefragt wurde, sondern erst anschließend öffentlich nicken durfte.

Als kleiner Gewinner der Blamage könnte sich schließlich noch George Bush erweisen: Die Erwartungen der Araber an Washingtons Nahost-Politik sind so auf dem Tiefpunkt angelangt, daß sein Nachfolger nur noch Lorbeeren ernten kann.

Michael Rediske