Halbe Milliarde mehr für THTR

■ Die Betreiber des „Reaktors der Zukunft“ in Hamm-Uentrop wollen ihr Finanzdebakel aus Steuergeldern bezahlen lassen / Stillegung als taktische Drohung / Düsseldorfer SPD-Regierung unter Druck / Grüne erwägen Strafanzeige wegen „Transportbereitstellungshalle“

Berlin (taz) - Die Betreiber des Hochtemperaturreaktors THTR 300 verbinden ihren finanziellen Offenbarungseid mit einem offenen Erpressungsversuch. Mit der Drohung, den THTR stillzulegen versuchen sie, das Land Nordrhein-Westfalen und den Bund zu einem weiteren Milliarden-Engagement zu zwingen.

Nach einer Gesellschafterversammlung am Montagabend erklärte die Hochtemperatur-Kernkraftwerk Gmb H (HKG), man werde die Stillegung des THTR „vorsorglich“ beantragen, wenn sein Weiterbetrieb „wirtschaftlich nicht nachhaltig gesichert wird“. Konkret geht es um die Aufstockung des sogenannten „Risikobeteiligungsvertags“, mit dem sich Bonn und Düsseldorf 1983 verpflichtet haben, die Defizite des Prototypreaktors bis zu einer Summe von 450 Millionen Mark zu übernehmen. Inzwischen halten die Hammer Atomiker, Hauptgesellschafter sind die Vereinigten Elektrizitätswerke (VEW) in Dortmund, eine Risikoabdeckung durch die öffentliche Hand von einer Milliarde Mark für unausweichlich.

Nachdem sich die Kostenexplosion bei der Errichtung des Vorzeigereaktors während der dreijährigen Betriebsphase ungebrochen fortgesetzt hat, sehen sich die in der HKG engagierten lokalen und regionalen Stromversorger durch das „Faß ohne Boden“ in Hamm in ihrer Existenz bedroht. Versuche der Stadtwerke in Wuppertal und Bielefeld, den Hauptgesellschafter VEW zur Übernahme ihrer Anteile zu veranlassen, wurden von dem westfälischen Stromkonzern bisher brüsk zurückgewiesen. (siehe taz vom 25.11.)

Der Hammer Pressionsversuch bringt insbesondere die Düsseldorfer SPD-Regierung in Schwierigkeiten. Zwar existiert seit Tschernobyl ein nicht termingebundener Ausstiegsbeschluß, der den THTR 300 ausdrücklich einschließt. Dennoch hat die Rau-Regierung seither wenig unternommen, ihrem einstigen Vorzeigeprojekt ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Eine Stellungnahme zu dem Beschluß der HKG war bis Redaktionsschluß weder von der Landesregierung noch aus der SPD-Fraktion zu erhalten. Das Kabinett wollte sich noch am Dienstag mit der Angelegenheit beschäftigen.

In ihrer Erklärung benennt die HKG „veränderte Umstände, insbesondere von der HKG nicht abwendbare Verzögerungen in der Brennelementversorgung“ als Ursache für das Finanzdebakel. Der Brennelemente-Vorrat in Hamm reicht jedoch nach Informationen von 'dpa‘ noch mindestens bis Mitte 1991. Die Firma Siemens/KWU hat außerdem vor wenigen Tagen erklärt, sie werde die HTR-Brennelemente-Produktion von der teilstillgelegten Hanauer Skandalfirma Nukem übernehmen.

Tatsächlich führen konzeptionelle Mängel, die den Atommeiler immer wieder zu kostenintensiven Stillständen zwingen, sicherheitstechnisch notwendige Nachrüstmaßnahmen, noch ausstehende Forderungen der Reaktorbauer, Stillegungskosten von unbekannter Höhe und eine völlig ungeklärte Entsorgungssituation dazu, daß die HKG auch in Zukunft keine schwarzen Zahlen schreiben wird.

Unterdessen droht den Betreibern neues Ungemach im Zusammenhang mit der auf dem THTR-Gelände errichteten aber noch nicht genehmigten sogenannten Transportbreitstellungshalle. Sollte die Landesregierung das Zwischenlager für schwach- und mittelaktiven Atommüll wie geplant ohne atomrechtliches Verfahren und ohne verbindliche Beteiligung der Öffentlichkeit genehmigen, wollen die Grünen in Nordrhein-Westfalen Strafanzeige gegen die Landesregierung stellen: Wegen Beihilfe zum unerlaubten Betrieb einer kerntechnischen Anlage.

Gerd Rosenkranz