: Das HB-Männchen starb im Sommer
■ Testmarkt Berlin: Neues Outfit für eine langweilige Zigarette / Ein Telefonat mit Folgen
Ganz kurz vor der Tagesschau klingelt das Telefon. „Marktforschungsinstitut Buche in Frankfurt, guten Abend“, meldet sich höflich eine Frau. „Wir veranstalten eine Umfrage unter Rauchern von Filterzigaretten. Wenn Sie rauchen - wären Sie bereit, uns für 20 bis 30 Minuten für ein Interview zur Verfügung zu stehen?“
Marktforschung? Dem Kapital, ausgerechnet auch noch der Zigarettenindustrie, Daten zur Verfügung stellen? Den Ausbeutern auf den Plantagen Indonesiens und West-Virginias, den kostenträchtigen Zerstörern unserer Lungen und Speiseröhren, den Arbeitsplatzvernichtern in Bremen und Subventions-Abzockern in Berlin? Da fallen einem Wirtschaftsredakteur viele Gründe für die Verweigerung ein. Aber es ist bigott, schließlich qualme ich selbst auch nicht schlecht. Außerdem ist es ja interessant, was die so alles wissen wollen...
Die Frau am Telefon hält mich für mißtrauisch. „Zwischen 18 und 21 Uhr dürfen Umfragen gemacht werden“, sagt sie und läßt ihre Stimme ein bißchen auffordernder klingen.
-„Ja, mache ich“, sage ich.
-„Rauchen Sie denn Filterzigaretten?“ Jetzt klingt sie selber mißtrauisch.
-„Klar, wir rauchen viiiele Filterzigaretten“, locke ich. Wenn das kein Angebot ist...
-„Dann warten Sie bitte einen Moment.“
Als Testmarkt ist Berlin immer noch geeignet, wenn auch die abweichende Altersstruktur und die hohen Anteile von Arbeitslosen und AusländerInnen die Vorteile der abgrenzbaren Insellage stark beeinträchtigt haben. So prüfen vor allem die hier auch produzierenden Marken-Artikler ihre neue Ware auf heimischem Terrain. Entscheidend für den Rückgang der Testmarkt-Aktivitäten ist aber vor allem der Sitz der beauftragten Werbeagentur - „und der ist oft (wieder) in Westdeutschland. „Berlin ist ein werbliches Dorf“, sagt Werner Alexander von der Berliner Geschäftsstelle des „Deutschen Kommunikationsverbandes“.
Durch den Telefonhörer ist im Hintergrund ständig ein Klappern zu vernehmen, das jetzt lauter wird. Offenbar setzt die Frau sich an ein Terminal. Mit Datenverarbeitung geht die Auswertung ja auch viel schneller; das Klappergeräusch kommt vom Anschlag der Tasten, wenn ihre Kolleginnen Antworten eingeben.
-„So“, sagt sie.
-„Gut“, sage ich, inzwischen etwas gesammelter. „In wessen Auftrag arbeitet Ihre Firma?“
-„Das wissen wir grundsätzlich nicht.“ Sie zögert kurz. „Aber... Es ist HB, glaube ich. Aber das habe ich nicht gesagt“, schiebt sie hinterher. Zu spät.
-„Und wieviele Interviews machen Sie pro Abend?“
-„Zwei bis drei.“
-„So wenig?“ Auf mein Erstaunen hin sagt sie bedauernd, daß viele Leute nicht zu Auskünften bereit sind. Aber sie werde als freie Mitarbeiterin stundenweise bezahlt.
-„Da kommt's nicht so drauf an.“
-„Mit wievielen Leuten arbeiten Sie denn zusammen?“
-„Momentan sind es... Moment... Eins, zwei, drei“, beginnt sie halblaut zu zählen und endet mit „37“.
-„Alle in einem Raum?“
-„Ja.“
-„Und - wird bei Ihnen geraucht?“
-„Ja, einiges. Ich selbst bin Nichtraucher, aber es stört mich nicht.“ Konziliant.
-„Und wieviele Nichtraucher erwischen Sie bei Ihrer Umfrage?“
Jetzt gilt ihr Bedauern mir: - „Das tut mir leid, das weiß ich nicht. Ich quote nicht selber aus.“
Wieviel RaucherInnen gibt es in Berlin? Beim Senator für Gesundheit sind nur die bundesweiten Zahlen bekannt: 34 Prozent Raucher, 17 Prozent Ex-Raucher, 49 Prozent Nie -Raucher. Doch der „Deutschen Herz- und Kreislauf -Präventionsstudie“ ist genaueres zu entnehmen. WissenschaftlerInnen haben den Bezirk Spandau untersucht, der für Berlin als halbwegs repräsentativ gilt, und dabei interessante Entdeckungen gemacht. Während nämlich unter den 25- bis 69jährigen bundesweit 42 Prozent der Männer und 27 Prozent der Frauen rauchen, sind es in Spandau deutlich mehr: 53 Prozent der Männer und 36 Prozent der Frauen.
Noch frappanter sind die Abweichungen bei den Altersgruppen, jetzt Männer und Frauen zusammen: In der BRD rauchen 48 Prozent der Männer und Frauen zwischen 25 und 29 Jahren, während es in Spandau 67 Prozent sind. Besonders viel quarzen auch die 60- bis 69jährigen SpandauerInnen: 46 Prozent gegenüber 31 Prozent im Bundesgebiet.
Woran liegt's? Erst in einem Jahr werden die SoziologInnen ihre Interpretationen veröffentlichen. Das Alter, der soziale Status, Ausbildung und Einkommen spielen eine Rolle. Doch ob die hohen Quoten spezifisch berlinisch oder allgemein städtisch sind, ist noch ganz unerforscht „jedenfalls durch staatliche oder halbstaatliche Stellen“.
Dann ist meine Anruferin mit ihren Fragen dran. Schnell geht sie ihre Liste durch. Ob ich mindestens zweimal im Jahr Cognac trinke? Kaugummi esse? Eine Kreditkarte habe? Einmal monatlich einen Schoko-Riegel, oder öfter? Wie oft Filterzigaretten? Wohl noch mal eine Kontrollfrage. Mehr als einmal pro Woche Deodorant? Nach einem Haufen Fragen zur Zigarettenwerbung plötzlich: „Ist Ihnen die neue HB aufgefallen?“
Die neue HB? Nein. Diese tüddelige Zigarettenmarke? Darum geht es also. Als einzige Tüddelmarke, die sich heftig um ein neues Image müht, habe ich Lord Extra bemerkt, die mit der Yuppie-Werbung im Kino. Verblüffenderweise scheint ja an der Lord-Packung überhaupt nichts verändert worden zu sein.
Aber an der HB-Packung. Denn HB, einst unangefochtener Marktführer, verliert Jahr für Jahr Marktanteile an den Konkurrenten Marlboro und ist gegenüber 1977 katastrophal abgestürzt (siehe Tabelle). „Die Marke war nicht mehr aktuell genug“, drückt es Hermann Feldgen, Sprecher des HB -Herstellers BAT, vorsichtig aus - „ein neues Outfit mußte her. So ist auf der neuen Packung die Krone in den Mantel integriert, der zugleich stilisiert wurde: „Da ist sehr viel Ballast runtergangen“, sagt Feldgen. In Berlin ist das HB -Männchen vor den Kiosken in der zweiten Augusthälfte gestorben; bis Mitte September hat sich das gesamte Erscheinungsbild geändert, war die „Pipeline“ von der Fabrik bis zum Automaten und zum Händler mit den neuen Packungen gefüllt. Einen „Vorlauf wie wohl selten“ hat der drittgrößte Zigarettenhersteller für sein schwer angeschlagenes Flaggschiff gehabt: zweieinhalb Jahre lang wurden viele Dutzend Packungs-Variationen unter die RaucherInnen gebracht, bis die neue Werbelinie feststand.
Berlin ist diesmal nicht nur Test-, sondern gleich auch HB -Vorweg-Markt: Überprüft werden nicht nur die Reaktionen, sondern auch die Infrastruktur-Kosten für die Einführung, den Vertrieb und die neue Werbung. Im einstelligen Millionenbereich liegen die Kosten für Berlin, räumt Feldgen ein. Der Profi ist nach den ersten drei Monaten „sehr zuversichtlich, daß das greift“ - „wenn es auch eine Zeit braucht, bis die Leute das merken“. Etappenweise wird die geliftete Schachtel dann auch in Westdeutschland eingeführt.
Die Frau am Telefon liest mir jetzt Werbeslogans vor. „Offen für coole Typen“? Kenne ich nicht. „Der Geschmack des Nordens“? Prince Denmark. „Ich rauche gern“? R 6. Stimmt nicht, ist R1. Die Hälfte der Sprüche kenne ich, andere überhaupt nicht, vor allem die „offenen“ nicht: „Offen für geniale Streiche“? „Offen für Leute mit Biß“? Handelt es sich um Reklame für Würstchen, oder sollen die Glimmstengel gekaut werden?
Welche Zeitungen und Zeitschriften ich in den letzten drei Monaten, acht Wochen, vier Wochen, zwei Wochen, fünf Tagen, gestern gelesen habe, will sie nun wissen. Dann bringt sie mich doch aus der Fassung. Ich soll mich an die Aussagen einzelner Reklamen erinnern, von denen ich vor zehn Minuten gesagt habe, sie gesehen zu haben. Mir fällt tatsächlich keine einzige ein, gestehe ich zerknirscht. „Das ist doch nicht schlimm, das geht vielen so“, tröstet sie und fragt gleich weiter:
-„Würden Sie die neue HB kaufen?“
-„Sieht die nur anders aus, oder ist da auch was anderes drin?“
-„Ich weiß es nicht. Ich habe das Rauchen aufgegeben“, sagt sie etwas zusammenhanglos. „HB war sowieso nie meine Marke.“
-„Ich werde sie nicht kaufen“, erkläre ich fest.
-„Warum nicht?“
-„HB ist eine Stammtisch-Zigarette für Vierzig- bis Fünfzigjährige.“
-„Stimmt auch“, sagt sie, holt noch einige statistische Angaben ein und verabschiedet sich dann. Überflüssig, ihr zu sagen, daß ich nur Selbstgedrehte rauche. Aber seit diesem Gespräch fällt mir jede, wirklich jede Zigaretten-Reklame auf.
Dietmar Bartz
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