„Atlantis“ als Hoffnungsträger der US-Raumfahrt

Die US-Raumfahrt auf der Suche nach ihrer verschwundenen Vormachtstellung im Weltraum / Heute soll die Raumfähre „Atlantis“ starten, um einen Spionagesatelliten in den sowjetischen Sternenhimmel zu hängen / Geplante Shuttle-Flüge dienen der SDI-Vorbereitung / Satelliten als außerathmosphärische Geschoßzentralen  ■  Von Michael Fischer

Zum zweiten Mal seit fast drei Jahren, startet heute am US -Weltraumbahnhof Cape Canaveral eine Shuttle. Bereits am 29. September hatte die „Discovery“ zu dem ersten erfolgreichen Flug ins All abgehoben, nachdem die „Challenger“ samt ihrer Crew kurz nach dem Start im Januar 1986 explodiert war und das amerikanische Raumfahrtprogramm für 32 Monate lahmlegt hatte.

Mit dem Start der „Atlantis“ wollen die amerikanischen Militärs endlich beginnen, ihre seit Monaten in teuren Lagerhallen wartenden, speziell für den Shuttle-Transport konzipierten Spionage- und Kommunikationssatelliten auf ihre Umlaufbahnen zu schießen. Doch schon deutet sich im Rennen um die Vorherrschaft im All ein neues Problem an: Den US -Weltraumfahrern steht nicht genug Treibstoff für die Shuttles zur Verfügung, nachdem bei Explosionen Anfang Mai diesen Jahres eine Fabrik in Nevada zerstört wurde, in der 50 Prozent der in den USA hergestellten Mischung aus Aluminiumpulver und Eisenoxyd (Ammonium Perchlorate) produziert wird. Der feste Treibstoff der Shuttle -Antriebsraketen besteht zu 70 Prozent aus diesem Gemisch. Obwohl über die Ladung militärischer Shuttle-Flüge größte Geheimhaltung angeordnet ist, rechnen Experten damit, daß die Atlantis einen Spionagesatelliten über der Sowjetunion placieren soll. Der eine halbe Milliarde Dollar teure „Lacrosse„-Satellit gehört zu den Spitzenprodukten amerikanischer Radar-Aufklärungssatelliten, die selbst bei Dunkelheit und dicken Wolkenschichten die Bewegung von feindlichen Panzern, Flugzeugen und Raketen überwachen können.

Außerdem soll Lacrosse, so John Pike von der regierungskritischen US-Wissenschaftlerorganisation „Federation of American Scientists“, Ziele für den neuen Stealth-Bomber ausfindig machen.

Mit ausgefahrenen Solarzellen und Antennen hat der Satellit eine Spannweite von 50 Metern - eine riesige Spinne, die 80 Prozent der sowjetischen Landmassen kontrollieren kann.

Höhenflüge mit niederen Beweggründen

Trotz der Diskussion über eine möglicherweise gemeinsame sowjetisch-amerikanische bemannte Mission zum Mars auf der Suche nach galaktischem Leben stehen bei dem gegenwärtigen Wettlauf ins All niedere Beweggründe im Vordergrund. Mindestens vier der nächsten neun Shuttle-Flüge haben militärischen Charakter. Zwar wurde es von Reagans SDI -Protagonisten immer abgestritten, inzwischen ist es aber offiziell: Sechs Jahre, nachdem Reagan seinen Mitbürgern den Traum eines Schutzschildes gegen feindliche Raketen aus dem All offenbarte, fordert die Republikanische Partei „schnellstens“ die Stationierung offensiver Anti -Satellitenwaffen im Weltraum.

Schon Anfang der neunziger Jahre, viel früher als das vorgeschlagene Raketenabwehr-System SDI, könnten Anti -Satellitenraketen einsatzbereit sein, erklärte der Chef der SDI-Befehlszentrale in Huntsville, General Robert Hammond, Mitte November.

Dazu benötigen die Sternenkrieger allerdings eine entwickelte Infrastruktur von Satelliten, die die Geschosse auch ins Ziel lenken können. Diese Satelliten sollen aber nicht nur von den Shuttles in den Weltraum gehoben werden. Bis 1995, so entschied Reagan 1986 unter dem Eindruck des Challenger-Fiaskos, werden für insgesamt 14 Milliarden Dollar 80 unbemannte Trägerraketen gebaut. Bis dahin behilft sich das Pentagon mit umgebauten Langstreckenraketen vom Typ Titan 2. Anfang September hatte die US-Luftwaffe erstmals eine dieser Raketen erfolgreich ins All geschossen, nachdem vorangegangene Versuche gescheitert waren.

Zweieinhalb Jahre verfügte das Pentagon über keinerlei Möglichkeiten, Satelliten ins All zu transportieren.

Ironischerweise tritt inzwischen auch die Nasa, die jahrelang erbittert den Bau anderer Raketensysteme verhinderte, als Interessentin für die Raketen von Martin Marietta, General Dynamics und Douglas auf. Mit diesen Raketen will die Weltraumbehörde ihre anspruchsvollen Ziele verwirklichen und Bauteile einer internationalen Weltraumstation oder eines Marsschiffes ins All transportieren.

Harte Konkurrenz im All

Private Firmen und ausländische Regierungen bilden die dritte Gruppe von Kunden, die um Raketenflüge und Transportkapazitäten konkurrieren. Martin Marietta hat bereits drei Titan-Raketen für kommerzielle Zwecke in Planung, die bis 1990 gestartet werden sollen. Mit General Electric wurde der Start von 15 Satelliten vereinbart, während Douglas schon sieben zahlungskräftige Kunden, darunter die Nato, Indien und Indonesien bedient.

In Ermangelung eigener Transport- und Forschungsmöglichkeiten im Weltraum sah sich die US -Regierung in letzter Zeit auch gezwungen, die Benutzung chinesischer Raketen und sowjetischer Forschungskapazitäten für westliche Projekte zuzulassen. Erstmals erhielt das US -Unternehmen „Payload Systems Inc.“ von der US-Regierung eine auf zwei Jahre befristete Lizenz, um ab 1989 Versuche in der sowjetischen Raumstation „Mir“ (Frieden) durchführen zu lassen. Der Antrag der General-Motors-Tochter Hughes Aircraft, ihre Satelliten von sowjetischen Raketen ins All befördern lassen zu dürfen, wurde allerdings noch nicht bewilligt.

Der Kreml erwägt jetzt sogar die Benutzung eines Raketenflughafens in Australien, um westliche Kunden anzulocken. „Am Anfang unseres Weltraumprogramms ging es um Forschung, jetzt geht es um kommerzielle Nutzung“, erklärte der für internationale Kontakte zuständige Mitarbeiter der zivilen sowjetischen Raumfahrtbehörde Stephan Bogodyazh die neue Politik. „Es geht um die Industrialisierung des Weltraums.“

Die US-Regierung ziert sich noch aus angeblichen Geheimhaltungsgründen, eine Bewilligung für solche außerirdischen Ost-West-Projekte mit der Sowjetunion auszusprechen. In einem anderen Fall übernahm sie allerdings die Führung bei den Verhandlungen.

Kommerzielle US-Satelliten sollen mit chinesischen Raketen vom Typ „Langer Marsch“ in den Weltraum transportiert werden.

Beamte der Europäischen Weltraumbehörde ESA beschwerten sich unlängst in einem scharfen Brief an die US-Regierung über das Vorhaben. Zwei Jahre hatten sie nach eigenen Angaben versucht, die US-Regierung zu Verhandlungen über die Nutzungsmöglichkeiten der europäischen Rakete „Ariane“ zu bewegen - bisher vergeblich.