„Berlin Hauptstadt der Spione“

■ Berlins Innensenator Wilhelm Kewenig weist Mompers Vorwürfe zurück / taz angeblich weder „im ganzen überwacht“ noch von V-Leuten bespitzelt / SPD beantragt Sondersitzung des Abgeordnetenhauses / AL will Mißtrauensantrag gegen Kewenig stellen

Berlin (taz) - Sein „Ehrenwort“ wollte Berlins Innensenator Wilhelm A. Kewenig (CDU) dann doch nicht geben. Und das, nachdem er gestern mit der ihm eigenen Arroganz der Öffentlichkeit erklärt hatte, die Vorwürfe von SPD-Chef Momper gegen den Verfassungsschutz würden allesamt nicht stimmen. Die Behauptung der SPD, die taz sei „im Ganzen“ überwacht worden sei „falsch“. Auch seien zu keinem Zeitpunkt V-Leute in der taz eingesetzt gewesen, nachrichtendienstliche Mittel ebenfalls nicht.

Allerdings - diese Einschränkung machte Kewenig - seien Journalisten nicht grundsätzlich von der Beobachtung durch den Verfassungsschutz ausgenommen. Im Klartext: Ob und wieviele RedakteurInnen der taz bespitzelt wurden oder werden, bleibt offen. Auch die Frage, ob denn dann die Alliierten - die in Berlin das alleinige Recht auf Telefon und Postüberwachung haben - diese Aufgabe übernommen hätten und der Verfassungsschutz dieses Material ausgewertet hat, beantwortete Kewenig nicht.

Auch eine Antwort auf die Frage einer möglichen Zusammenarbeit mit westdeutschen oder anderen Geheimdiensten blieb der Innensenator schuldig. Er sei Gott sei Dank nur für den Verfassungsschutz zuständig, sagte Kewenig mit Nonchalance.

Zu konkreten Einzelfällen wollte der Senator ebenfalls nichts sagen. Indes der Leiter des Amtes für Verfassungsschutz, Wagner, verplapperte sich: Ja, die Akte des 'Zeit'-Journalisten Michael Sontheimer habe er vernichten lassen, nachdem die Parlamentarische Kontrollkomission sie habe sehen wollen. Damit wurde zum ersten Mal öffentlich bestätigt, daß es diese Akte tatsächlich gegeben hat. Über weitere Aktenvernichtungen war dann wieder Stillschweigen.

Die Vorwürfe der SPD, Fluchthilfeakten von derzeit aktiven CDU-Politikern seien im Reißwolf verschwunden, würden nicht deshalb wahrer, weil sie dauerndwiederholt würden, wand sich der Innensenator aus der Situation.

Kewenig gab aber zu, daß es Dossies über die SPD gegeben habe - allerdings nur im Zusammenhang mit „Annäherungen“ von Seiten der SEW. Doch sei er selbst es gewesen, der die Vernichtung angeordnet habe. Auf die Frage wann und ob sie inzwischen tatsächlich vernichtet seien, antwortete der Innensenator dann allerdings mehr als vage. „Vor mehreren Monaten“ habe er die Vernichtung angeordnet, aber er könne ja nicht bei jeder Akte prüfen, ob dies auch wirklich geschehe.

Wanzen-Willy...

Zur Alternativen Liste stellte Innensenator Kewenig nur lapidar fest, er halte sie nicht für eine verfassungsfeindliche Partei, sie sei deshalb auch nicht Gegenstand der Beobachtungen durch das Landesamt für Verfassungsschutz.

Doch daran denkt Walter Momper gar nicht. Er forderte gestern, führende Mitarbeiter des Verfassungsschutzes vom Dienst zu suspendieren. Gemeint sind der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Wagner, der Hauptabteilungsleiter, Bakker, samt dem zuständigen Staatssekretär der Innenverwaltung, Müllenbrock. Weiterhin beantragte die Berliner SPD eine Sondersitzung des Abgeordnetenhauses für nächsten Mittwoch. Die AL will bei dieser Sitzung den Antrag stellen, dem Innensenator das Vertrauen zu entziehen.

Der derzeitige Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission in Bonn, Wilfried Penner (SPD), wollte bei dem neuerlichen Verfassungsschutzskandal nicht ausschließen, daß „auch die Bundesebene tangiert“ sein könnte. Dem Berliner Innensenator Kewenig legte er nahe, sich umgehend zu den Vorwürfen im Innenausschuß zu erklären. Darüber hinaus sehe er eine Debatte im Plenum „dringend geboten“. Für den Bundesverstand der Grünen erneuerte Johannes Müller-Gazurek die Forderung seiner Partei nach Abschaffung des Verfassungsschutzes. Zu Kewenigs Äußerungen erklärte er: „Diese Lügereien kennen wir ja schon.“

Brigitte Fehrle/Wolfgang Gast