Protest auf dem sinkenden Schiff

■ Seeleute-Nachwuchs protestierte gegen Zweites Register für Billigheuern / Schlechte Berufschancen für Schiffsmechaniker / Aussichten nur noch unter ausländischer Flagge

Bis zum Hals stand gestern zwölf angehenden Seeleuten das schmutzige und kalte Weserwasser. Aus einem Rettungsboot ihres Schulschiffes „Deutschland“ hatten sie die Leckpropfen herausgedreht. Munter sprudelte die Brühe aus dem Boden des Kahns, immer tiefer sank das Boot ins eisige Wasser.

In ihrer Not reckten die zwölf zukünftigen Schiffsmechaniker ihre Fäuste in die Höhe. Darin hielten sie ein Transparent umklammert: „Weg mit dem Zweiten Schiffsregister!“ Naß sind sie bei ihrer Aktion nicht geworden. Sie trugen leuchtend rote Kombis mit integrierten Handschuhen und Stiefeln, „Überlebensanzüge“.

Für das Überleben des Seemannnsberufs wollten sich die mehr als 30 Schiffsmechaniker einsetzen, die auf dem Schul

schiff an der Stefanibrücke theoretisch ausgebildet werden. Wenn das Zweite Schiffsregister kommt, wird es bald keine deutschen Seeleute mehr auf den Weltmeeren geben, meint Holger Bartsch, der kurz vor Weihnachten seine Abschlußprüfung ablegen wird.

Denn: Das Gesetz über das Zweite Register erlaubt es den deutschen Reedern, ausländische Seeleute zu den billigen Tarifen ihrer Heimatländer zu beschäftigen. Dazu brauchen sie ihre Schiffe nicht - wie bisher - im Ausland registrieren zu lassen, sondern können weiter „Schwarz-Rot -Gold“ am Heck ihrer Dampfer führen. Statt „teurer“ deutscher Seeleute werden die Reeder dann nur noch billige Ausländer anheuern, befürchtet Holger Bartsch.

Mit seinem Schiffsmechani

ker-Patent in der Tasche geht er nach Weihnachten in eine ungewisse Zukunft - „zur Heuerstelle des Arbeitsamts und dort ein Schiff suchen“. Aussichten bestehen aber eigentlich nur unter ausländischer Flagge, also unter erbärmlichen sozialen Bedingungen. Wie viele seiner Kollegen hat Holger Bartsch das Gefühl, mit seiner Berufswahl auf einem sinkenden Schiff gelandet zu sein. Mit zumindest einem Auge hält er Ausschau nach einem Arbeitsplatz an Land, obwohl er seinen Beruf vielseitig und interessant findet. Die schlechten Chancen der Seeleute haben sich inzwischen herumgesprochen: 1987 blieben mehr als ein Viertel der angebotenen Lehrstellen an Bord unbesetzt. In diesem Jahr gehen nach Schätzungen der ÖTV noch weniger junge Männer zur See.

mw