„Benazir kann die Scharia nicht verändern“

■ Interview mit Professor Kurshid Amahd, dem Vizeminister der religiös-fundamentalistischen Jamaat-Partei in Pakistan

Professor Kurshid Amahd ist Vizeminister der religiös -fundamentalistischen Jamaat-Partei, die dem Regime Zia-ul -Haqs während der elfjährigen Diktatur ideologische Rückendeckung gegeben hat. Der langjährige Parteidenker Maulana Maududi lehnte vor 41 Jahren die Forderung nach einem separaten Muslim-Staat aus politischen und ideologischen Gründen ab. Damals waren es in vorderster Front Großgrundbesitzer und die städtische Bourgeoisie, die zusammen mit ihren tatkräftigen Frauen den Islam als klassenübergreifende Kraft in ihre Dienste nahmen. Diesen Schichten war nach der Unabhängigkeit am Erhalt ihrer Privilegien gegenüber der Hindumajorität gelegen. Maududi traute ihnen nicht zu, daß sie Pakistan nach den Grundsätzen einer islamischen Theokratie aufbauen würden.

taz: Widerspricht die Tatsache, daß eine Frau Regierungschefin von Pakistan wird, den Leitlinien ihrer Politik?

Amahd: Die PPP konnte von den 237 Parlamentssitzen lediglich 94 auf sich vereinigen und verfügt damit nicht über eine klare Mehrheit. Mit der Ernennung zur Premierministerin erhält Benazir nun eine Chance, sich eine Mehrheit im Parlament zu sichern und - falls ihr dies gelingt - die Regierung zu stellen. Pakistan ist eine demokratische Gesellschaft. Unser außenpolitisches und sozioökonomisches Parteiprogramm unterscheidet sich grundsätzlich von dem der PPP; dennoch sind wir bereit, eine PPP-Regierung zu akzeptieren.

Widerspricht ein weibliches Staatsoberhaupt den Prinzipien eines islamischen Staates?

In einem idealen islamischen Staat sollte eine Frau nicht das Amt einer Premierministerin ausüben. Obschon der Islam Frauen eine politische Rolle einräumt, existiert doch eine Rollendifferenzierung und Verantwortungsteilung, die ein weibliches Staatsoberhaupt ausschließt. Aber Pakistan ist zur Zeit keine perfekte islamische Gesellschaft: Trotz der genannten Vorbehalte kann eine Frau gemäß der pakistanischen Verfassung Regierungschefin werden. Man darf allerdings nicht vergessen, daß Frauen zwei Rollen haben und in diesem Falle ihre Rolle als Mutter vernachlässigt wird. Abgesehen davon mißt der Westen dieser Frage zu großes Gewicht bei, anstatt nach den grundlegenden Werten und Zielen einer Gesellschaft zu fragen. Und ich erinnere mich nicht, daß Sie in Deutschland je eine Kanzlerin gehabt hätten. Weshalb spielen die westlichen Medien diesen Punkt so sehr in den Vordergrund?

Sehen Sie mit einer Frau an der Spitze des Landes nicht eine große Chance, sehr fortschrittlich zu wirken?

Ja, in diesem Fall geriete der Westen ins Hintertreffen. Nach diesem Kriterium müßten Sri Lanka und die Philippinen als die entwickeltsten Länder gelten - dies kann also kein Kriterium für intellektuelle, politische oder ökonomische Entwicklung sein.

Weshalb sollte eine Frau kein staatstragendes Amt haben?

Gemäß unserer Rollenzuweisung gehen wir davon aus, daß gewisse Rollen besser von Männern, andere besser von Frauen übernommen werden können. Abgesehen davon kann auch nicht jeder Mann Premierminister werden. Wissen, Integrität, politische Erfahrung und Reife sollten Voraussetzung sein, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. In einer islamischen Gesellschaft bevorzugen wir jedenfalls Frauen, die ihrer Rolle als Frau gerecht werden und nicht versuchen, mit Männern zu konkurrieren. Denn es ist eine falsche Vorstellung von Gleichheit, daß Männer und Frauen das gleiche tun müssen, um gleichberechtigt zu sein.

Widerspricht dies nicht den islamischen Quellen, nach denen Frauen an prominenter Stelle politisch tätig waren?

Natürlich waren unsere Frauen in Medina bereits vor 1.400 Jahren stimmberechtigt. In Europa konnte sich dieses Recht erst nach dem ersten Weltkrieg durchsetzen, und in der Schweiz gibt es bis heute Kantone, in denen Frauen nicht einmal ins Kantonsparlament einziehen dürfen. Dieses Problem haben wir nicht; deshalb sollten aber Frauen nicht ihre Rolle im Haus an den Nagel hängen und einer Vollzeitbeschäftigung mit schwerer Verantwortung nachgehen.

Wird Benazir für eine Säkularisierung Pakistans eintreten und die Scharia-Gesetze ändern?

Ich darf mit Sicherheit sagen, daß sie die Scharia nicht verändern kann. Das gläubige pakistanische Volk wird dies nicht zulassen. Benazir hat nicht einmal die einfache Mehrheit und konnte lediglich 40 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. Wie sollte sie also die Grundlagen der pakistanischen Verfassung ändern? Selbst wenn sie die Mehrheit hätte, dürfte sie es nicht wagen, an den islamischen Grundfesten Pakistans zu rütteln.

Das Interview führte Simone Lenz