Militärs, Mullahs, Mohadschirs - und eine Frau

Das künstliche Staatengebilde Pakistan hatte nur selten eine reale Chance zur Demokratie: Islamischer Klerus und feudaler Landadel zogen die Herrschaft des Militärs vor / Die Ereignisse im Iran und in Afghanistan machten Pakistan zum wertvollen Bollwerk des Westens  ■  Von Rolf Paasch

„Es ist ein Traum, daß sich Hindus und Moslems jemals in einer Nation vereinigen können.„ Mohammed Ali Jinnah, 194

„Ich halte es für ausgesprochen falsch, die Menschen aufgrund ihrer Religion voneinander zu trennen.“ Mahatma Gandhi, 194

Großbritannien in den 30er Jahren: Das Prunkstück des britischen Empire steht vor dem Zusammenbruch, die Tage des britischen Raj in Indien sind gezählt. Der Indische Kongreß steht - ein halbes Jahrhundert nach seiner Gründung

-vor der Verwirklichung seines Traums von einem unabhängigen indischen Subkontinent. Doch eine Gruppe junger moslemischer Intellektueller an der Universität Cambridge traut der Idee eines von Hindus dominierten säkularen Indien nicht; sie entwerfen ein künstliches Staatengebilde Pakistan, in dessen Namen und Grenzen sich die Völker des Pandschab, Afghanistans, Kashmirs, Belutschistans und des Sind wiederfinden sollen. Dieser schmale Landstreifen, der sich vom Arabischen Meer bis zum Himalaya erstreckt, soll den rund 70 Millionen Moslems des Kontinents zur Heimstatt werden. Doch wie fast immer, wenn sich eine intellektuelle Elite im Exil eine Revolution oder gar einen Staat ausdenkt, ging es auch diesmal schief. Als dieses Pakistan 1947 Wirklichkeit wurde, stellte sich recht bald heraus, daß die Religion als einziger gemeinsamer Nenner nicht ausreichte, die historisch, geographisch und ethnisch sehr verschiedenen Provinzen zu einem kohärenten und demokratischen Staatengebilde zusammenzuschweißen. Dem Architekten Pakistans, Mohammed Ali Jinnah, konnte der Geburtsfehler des neuen Staates nicht mehr auffallen. Der in London ausgebildete Anwalt, der niemals aus dem Schatten des großen Mahatma treten konnte, starb bereits ein Jahr nach der Verwirklichung seines Traums. Während die Kongreß -Bewegung auch ohne Gandhi die Unabhängigkeit erreicht hätte, wäre Pakistan ohne die Figur Jinnahs möglicherweise nie auf den Landkarten erschienen. Daß der erfolgreiche Anwalt, ein liberaler Patrizier, der auch einen Whisky nicht verschmähte, im islamisierten Pakistan der 80er Jahre die meiste Zeit unter Hausarrest verbracht hätte, ist wohl nur eine Ironie des Schicksals. Jinnah war tot, aber Pakistan atmete - wenn auch nur schwach.

Ein Staat im Brutkasten

Recht bald - spätestens seit dem Militärputsch Ayub Khans 1958 - erwies sich, daß die beiden wirklichen Väter der Mißgeburt Pakistans, die Ulema (der islamische Klerus) und der feudale Landadel, einen militärischen Brutkasten über das Neugeborene stülpen mußten, um es am Leben zu erhalten. An eine demokratische Sozialisierung des Kindes war von nun an nicht mehr zu denken; die beiden „Stützen der Gesellschaft“ und die aus Indien eingewanderten Moslems, die Mohadschirs, die sich mit ihrem Finanzkapital bereits erfolgreich in der Geschäftswelt niedergelassen hatten, zogen die Militärs vor. Eine Demokratie mit Zivilrecht, Landreform oder gar Verstaatlichungen kam für sie nicht in Frage. Nur als die militärische Schlappe gegen Indien in Ostpakistan und die sich anschließende Abspaltung Bangladeshs die latenten sozialen und innenpolitischen Konflikte an die Oberfläche brachten, wurde vorübergehend ein „klassenübergreifender Populismus“ in Form der „nützlichen zivilen Marionette Zulfikar Ali Bhutto“ (so beschreibt ihn Tariq Ali) benötigt, um das Bengalens beraubte Westpakistan über die Runden zu bringen. Doch der von Ali Bhutto gegründeten „Pakistan People's Party“ (PPP) mangelte es an einem demokratisch aufgebauten Parteiapparat.

Statt dessen dominierten auch hier Eigeninteressen, Familienbeziehungen, die Bindung an den Clan und feudale Besitzverhältnisse. Bald trübten der durch einen übertriebenen Zentralismus entfachte Bürgerkrieg in Belutschistan, Wahlbetrügereien und die Inhaftierung von politischen Gegnern das Bild des Volkshelden Zulfikar Ali Bhutto und ließen die Umrisse eines „arroganten Machtmenschen“, so dessen Biograph Salman Taseer, hervortreten. Nachdem Ali Bhutto das Volk so um seine Hoffnung auf mehr Demokratie und sich selbst am Ende um sein Leben gebracht hatte, kehrte Pakistan unter Bhuttos Henker und Nachfolger, General Zia-ul-Haq, wieder zu seinen Anfängen zurück: Uneingeschränkt herrschten wieder Mullahs und Militärs, unterstützt von einer neuen opportunistischen Elite aus Administration und Geschäftswelt.

Dem zunächst etwas blassen General mit dem vielversprechenden Namen Zia (Licht), der mit 23 Jahren selbst als Mohadschir in den Punjab gekommen war, sich in der dortigen Militärclique schnell akklimatisiert hatte, der sich im Bürgerkrieg in Belutschistan seine Sporen verdiente und dann zum Vertrauten Bhuttos wurde - ihm hatte nach seiner Machtübernahme kaum jemand eine politische Karriere zugetraut.

Bollwerk des Westens

Neben seiner schnellen Lernfähigkeit retteten ihn die Islamische Revolution im Iran und der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan. Plötzlich war das 80 -Millionen-Volk mit seinem Territorium als Bollwerk gegen den Osten so wichtig geworden, daß Zia im Juni 1981 mit der strategischen Bedeutung seines Staates in Washington hausieren gehen konnte. „Wenn Pakistan fällt, dann gibt es zwischen der Türkei und Vietnam kein einziges mit den USA befreundetes Land mehr“, erklärte er der US-Öffentlichkeit. Von nun an war sein Regime vom Westen sanktioniert, auch der „menschenrechtliche“ Druck der westlichen Welt ließ spürbar nach. Stärker wurde dagegen die Bereitschaft Washingtons zu mehr Wirtschafts- und Militärhilfe. Die Ökonomie auf Pump, die in den 70er Jahren einen Exodus von Gastarbeitern, Söldnern und Prostituierten zu den ölreichen Glaubensbrüdern in Saudi-Arabien heraufbeschworen hatte, mit deren Überweisungen dann der Bankrott vermieden wurde, war wieder gesichert. Zia-ul-Haq konnte sich in den letzten Jahren ganz der Konsolidierung seiner innenpolitischen Stellung widmen.

Resultat war die vorsichtige Öffnung zu einer Scheindemokratie. Unter restriktiven Rahmenbedingungen wollte der schnauzbärtige General das Volk in diesem November gar zu den Wahlurnen lassen. Doch erst Zias plötzlicher Tod und das von ihm hinterlassene Machtvakuum ließen aus der elektoralen Spielerei plötzlich demokratischen Ernst werden. Doch auch wenn sich die Bevölkerung Pakistans nun eindeutig gegen Zias Statthalter ausgesprochen hat, wird sich nach dem Amtsantritt Benazir Bhuttos erst noch erweisen müssen, ob sich Militärs, Mullahs, Mohadschirs und eine demokratischen Traditionen verpflichtete Frau an der Spitze Pakistans auf die Dauer vertragen.