Das Aus für viele ABM-Stellen

■ Heute will die Bundestagsmehrheit das neue Arbeitsförderungs-Spar-Gesetz beschließen

Jahrelang trug die Bundesanstalt für Arbeit ihr Scherflein dazu bei, die Arbeitslosenzahlen ein wenig zu senken. Doch jetzt sind der Bundesregierung die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen(ABM), Umschulungen und Eingliederungshilfen zu teuer geworden. Ab 1.Januar kommenden Jahres sollen 1,8 Milliarden Mark gespart werden. Sozial- und Selbsthilfeprojekte müssen künftig ein Viertel der ABM-Kosten selber bezahlen. Kleinere Projekte und freie Träger können sich - anders als der Öffentliche Dienst diese Eigenbeteiligung nicht leisten und werden ihre ABM -Programme einstellen müssen.

Per Handzeichen werden heute im Bundestag die Abgeordneten der Regierungskoalition einer Massenentlassung von der doppelten Größenordnung Rheinhausens zustimmen. die amtlich errechnete Zahl der eingesparten Arbeitsplätze: weit über 25.000. Die Parlamentarier von CDU/CSU und FDP brauchen dafür kein Stahlwerk zu schließen und keine Werft. Sie müssen nur einem Gesetz zustimmen. Sie werden als Reaktion auch keine Betriebsbesetzungen oder Streiks zu befürchten haben. Denn diejenigen, die entlassen werden, haben eigentlich gar keinen Arbeitsplatz zu verlieren, sie sind längst arbeitslos. Nur hatten sie bisher über das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) eine Chance, wenigstens einen Job auf Zeit zu bekommen.

Seit Jahren regelt dieses Gesetz nicht nur Höhe und Dauer der Arbeitslosenunterstützung, sondern schafft auch mit Umschulungen und Fortbildung, mit Einarbeitungszuschüssen und befristeten „ABM-Stellen“ neue Arbeitsmöglichkeiten für langjährige oder schwer vermittelbare Arbeitslose. So wurden lange Zeit nicht nur kleine Teile der Arbeitsamts-Klientel von der Straße geholt, sondern auch die Arbeitslosenstatistiken herunterfrisiert. Nun aber muß gespart, sprich: gestrichen werden. Ein 5,9 Milliarden -Defizit wird die Bundesanstalt für Arbeit im kommenden Jahr vorzuweisen haben. Rund 1,8 Milliarden in diesem Finanzloch sollen durch die drastischen Kürzungen gestopft werden.

Wohl einschneidendste Neuerung dieser Novellierung des AFG, die schon am 1.Januar '89 in Kraft treten soll: Die Zuschüsse, die Nürnberg für die ABM-Stellen zahlt, sollen erheblich gekürzt werden. Nur noch zu 75 Prozent will die Bundesanstalt die Gehälter der ABM-Kräfte finanzieren. Den Rest sollen die jeweiligen Arbeitgeber - als da sind Wohlfahrtsverbände, Kirchen, gemeinnützige Vereine, soziale Initiativgruppen oder Frauenprojekte - in der Regel selber tragen. Nur noch in maximal 15 Prozent der Fälle sollen die Träger diese Lohnkosten voll ersetzt bekommen. Zwar wurden auch schon bisher nicht sämtliche ABM-Stellen zu 100 Prozent durch die Bundesanstalt in Nürnberg bezahlt. Doch von den rund 120.000, die in diesem Jahr durch das ABM-Programm von den Arbeitsämtern weggeholt wurden, waren es im Bundesdurchschnitt immerhin knapp 39 Prozent, die voll finanziert wurden.

Bremen: Zwei Prozent

mehr Arbeitslose

Allerdings gab es dabei erhebliche regionale Unterschiede. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise wurden dieses Jahr 73 Prozent aller ABM-Löhne ganz von der Bundesanstalt gezahlt und auch im Raum Niedersachsen/Bremen sowie im Saarland waren es mehr als die Hälfte. Wenn jetzt diese Zahl auf 15 Prozent gesenkt wird und die Arbeitgeber in allen anderen Fällen jeweils ein Viertel der Lohnkosten selber tragen müssen, droht gerade den kleineren Projekten der finanzielle Kollaps.

In Nordhrein-Westfalen laufen zahlreiche ABM-Stellen mit der 100-Prozent-Förderung bis Mitte nächsten Jahres weiter. Als Folge der Zuschußkürzungen ab 1.Januar werden die Träger in wenigen Monaten bereits ihren Etat ausgeschöpft haben, und für neue ABM-Stellen wird kaum Geld mehr da sein. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Nordrhein-Westfalen müßte zum Beispiel 15 Millionen Mark mehr aufwenden, wenn ihre 2.000 ABM-Kräfte künftig nur noch zu 75 Prozent gefördert würden. In Duisburg, so hat die AWO errechnet, würden dann sämtliche 120 Stellen gestrichen werden müssen. Bremen, das derzeit 5.000 ABM-Stellen aufweist, rechnet mit einer Mehrbelastung von 30 bis 50 Millionen Mark und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit um zwei Prozent.

Daß die Träger diese Mehrbelastungen nicht aus eigener Tasche aufbringen können, und dadurch ABM-Stellen rigoros gestrichen werden müssen, bestreitet auch das Bundesarbeitsministerium nicht. Rund 10.000 Arbeitsplätze, so schätzt man im Hause Blüm, werden wegfallen und ihre möglichen Inhaber großenteils wieder bei den Arbeitsämter auf der Matte stehen. Das kostet zwar wiederum Arbeitslosengeld, ist aber immerhin noch billiger als der ABM-Lohn.

Wohlfahrtsverbände, Kirchen, freie Träger, Arbeitsloseninitiativen und Gewerkschaften haben in zahllosen Protestbriefen und in den Anhörungen vor dem Bundestag gewarnt, daß diese Gesetzesänderung nicht nur den Wegfall von mehreren tausend ABM-Arbeitsplätzen bedeutet, sondern auch das „Aus“ für zahllose Sozialprojekte. Altenbetreuungen und Umweltwerkstätten, Schularbeitshilfen und Stadtplanungsgruppen, Frauenhäuser und psychologische Beratungsstellen - die Liste der längst zum Alltag gewordenen Einrichtungen, die ohne ABM-Kräfte nicht überlebensfähig wären und die nun akut gefährdet sind, ist lang. Zahllose Träger haben den Politikern schon aufgezählt, welche sozialen Maßnahmen sie einstellen müßten, darunter etliche Jugendausbildungsprojekte, die wiederum ihrerseits ein Stück Arbeitslosigkeit auffangen. Die Reaktion aus Bonn war gleich Null.

„Nur vordergründig

wird gespart“

„Ratlosigkeit und Irritation“ äußerte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in einer Stellungnahme - auch gegenüber anderen Streichungen, die das neue Arbeitsförderungsgesetz vorsieht. Und selbst die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände schüttelt den Kopf: Als „unausgewogen“ und „arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv“ bezeichnet sie die Maßnahmen, bei denen „nur vordergründig gespart“ werde. Vordergründig gespart wird zum Beispiel bei den Eingliederungsbeihilfen und den Einarbeitungszuschüssen, die die Firmen bisher animieren sollten, Arbeitslose einzustellen, die schon lange aus dem Beruf ausgeschieden sind und sich notgedrungen wieder neu qualifizieren müssen. Hier werden die Zuschüsse aus Nürnberg von bisher 70 auf 50 Prozent gesenkt. Allein diese Einsparung schafft nach offiziellen Berechnungen rund 7.000 neue Arbeitslose, die dann wieder auf Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe angewiesen sind.

Unter den Hammer kommt schließlich auch derjenige Teil der staatlichen Arbeitsförderung, der von den Arbeitsämtern als langfristig am erfolgversprechendsten bewertet wird: das Umschulungs- und Fortbildungsprogramm. Hie soll es in Zukunft keinen Rechtsanspruch mehr auf die Erstattung der Sachkosten geben, sondern nur noch eine Kann-Regelung. Sprich: In der Regel werden die TeilnehmerInnen an Umschulungs- und beruflichen Fortbildungsmaßnahmen künftig die Kosten für ihre Ausbildungsstätte und die Anreise aus eigener Tasche zahlen müssen. Anzahl der Betroffenen, die nach Schätzung des Bundesarbeitsministeriums - unter diesen Bedingungen auf eine Weiterqualifizierung dankend verzichten und wieder auf Arbeitslosengeld umsteigen werden: rund 8.000. Hinzurechnen kann die Bundesanstalt für Arbeit gleich noch die zahlreichen Pädagogen und Handwerksmeister, deren Ausbildungsstätten dank dieser genialen Einsparung dann die Kundschaft fehlt.

Vera Gaserow