Nicht für den Markt bauen

■ Jörg Kirschenmann interviewt für die taz den Bremer Architekten Kristen Müller Von der industriellen Bauweise und das „GW2“ der Uni bis zur Heinrichstraße

taz: Du bist im Architektenführer häufig verteten z.B. mit dem eigenen Wohnhaus, mit dem Cafe im Rhododendronpark, mit dem Schulzentrum Rübekamp, aber nicht mit Projekten aus den letzten Jahren. Ist Deine Architetur schlechter geworden?

Kristen Müller: Ich habe mich weiterentwickelt in meinem Wollen und Gestalten, aber ich habe keine Auftraggeber mehr gefunden. Ich habe mich allerdings auch nie bemüht, Aufträge zu bekommen. Wenn jemand denkt, daß er mit mir bauen will, dann soll er zu mir kommen.

Deine gebauten Beispiele sind sehr unterschiedlich. Du hast Ende der 50er Jahre Häuser in Worpswede gebaut, an der Bremer Universität warst Du am GW 2 beteiligt, danach in eigenwilliger Formensprache ...

Müller: Ich bin in meiner Entwicklung stark vom Jugendstil geprägt. Mein Onkel, Walter Müller, ist ein Schwiegersohn von Heinrich Vogeler und der hat auch als Architekt gearbeitet. Dadurch habe ich angefangen, in einer handwerklichen Tradition zu planen, obwohl ich selbst kein Handwerk gelernt habe. Diese Entwicklung habe ich ziemlich kontinuierlich gemacht, sie ist unterbrochen worden, als ich Anfang der 70er dem industriellen Bau erlegen bin. Das betrachte ich heute rückwirkend als eine große Fehlentwicklung. In der 2.

Hälfte der 70er Jahre habe ich mich davon abrupt ab - und wieder dem handwerklichen, dem gestalterischen Bauen zugewendet.

Beteiligst Du Dich noch an Wettbewerben, um an Aufträge zu kommen?

Müller: In unserer Gesellschaft ist alles zum Markt geworden, auch die Architektur wird vermarktet. Diese Art, sich zu betätigen, lehne ich kategorisch ab. „Architektur soll den Betroffenen leben helfen“

Gibt es heute noch Partizipation in der Architektur?

Müller: Architektur ist Spiegel der Gesellschaft. Das heutig moderne Spezialistenwesen zwingt den Nutzern der Architektur seine Vorstellungen auf. Ich bin ein Gegner davon. Meine Architektur ist nicht typisch für das Bauen in unserer Gesellschaft. Dieses partizipatorische Bauen, wie es vor einigen Jahren stark betrieben wurde, ist heute zum erliegen gekommen, paßt nicht in den Markt der Architektur. Ich bin aber nach wie vor der Meinung, daß Architekten und Handwerker nicht nur Spezialisten sein sollen, sondern ihr Wissen dazu einsetzen, den Betroffenen, die ja in den Häusern leben sollen, zu helfen. Allerdings sind die Nutzer in ihrem Denken sehr eingeschränkt und geprägt von Werbung in Bauzeitungen, von Bildern im Fernsehen. Sie wissen meist nicht so ge

nau, was ihre eigentlichen Bedürfnisse sind. Das ist ein großes Problem in der Umsetzung von Architekturen mit Nutzern.

Man hat Dich in den letzten zehn Jahren nicht mehr auf den großen Baustellen gesehen, aber beim Wendland-Haus am Kennedy-Platz, beim Lagerhaus Schildstraße, jetzt in der Heinrichstraße. Was sind das für Erfahrungen?

Müller: Das ist ein Teil meines Weges. Ich bin im Lagerhaus tätig, in der Selbstversorger-Kooperative und im Hausrat, und bestimme darüber auch mit, was im Lagerhaus passiert. In der Heinrichstraße bin ich beratend tätig als Planer, manchmal helfe ich auch auf der Baustelle, in der Woche habe ich da fünf Stunden zur Verfügung gestellt. Denn in der Heinrichstraße verwirklicht sich Bauen so, wie ich mir das vorstelle. „Es sei denn, sie

schlagen Krach“

Auffällig in der aktuellen Architektur, vor allem in der Innenstadt, ist der schöne Schein. Da scheinen Investoren vorhanden zu sein..

Müller: Es wird sehr viel mit Verglasungen gearbeitet. Ich kann nicht sehen, daß dies eine ökologische Maßnahme ist. Die Kaufkraft der City soll angehoben werden, mehr nicht. Bremen wächst nicht mehr, leider plant man noch Wirtschaftswachstum - wir ha

ben die Chance, unsere Stadt bewohnbarer zu machen, mehr Grünanlagen zu schaffen. Wenn die Bevölkerung nicht mehr wächst, sollten wir nicht mehr bauen, sondern das Vorhandene sinnvoll bewahren und qualitativ verbessern und vor allem die Probleme von den Energiefragen her lösen.

In Bremen machen große Bauprojekte von sich reden. Kehrt die aktuelle Stadt-Architektur zur Kunst zurück?

Müller: Es gibt mit dem Kongreßzentrum, dem Teerhof und der Markthalle drei relevante städtische Projekte. Dafür besteht aber kein Bedarf, wir können wunderbar ohne sie bestehen, wenn auf dem Teerhof ein Park gemacht würde, auf dem Platz der zukünftigen Markthalle genauso. Aber das Grundstück des ehemaligen Stadtbades muß verwertet werden, und dann werden Investoren gesucht und es wird eben künstlich ein Markt geschaffen - und schon stehen die Dinger da und werden dementsprechend auch genutzt. Nicht das Bedürfnis steht im Vordergrund, sondern die Verwertung. Bei repräsentativen Bauobjekten wird entsprechend auch für Gestaltung Geld ausgegeben. Bevölkerungsgruppen, die keine Geld-Macht haben, für die wird weniger ausgegeben. Es sei denn, die fangen an zu schreien und Krach zu schlagen.

Interview: Jörg Kirschenmann