Der eine für alle

■ Heinz Rudolf Kunze war Donnerstag zur „Einer für alle„-Tournee in der Stadthalle: Lieder zum Kleinbürgerkrieg

„Es macht keinen Spaß, sich zu verändern.“ (Heinz Rudolf Kunze in SOUNDS 8/82)

Heinz Rudolf, geb. 1956 in Osnabrück, Studium Germanistik und Philosophie (natürlich Lehramt, natürlich in der Heimatstadt), per Referendardienst mit 24 vorbereitet auf Beamtenverhältnis und Pensionsanspruch, Heinz Rudolf mochte nicht Lehrer sein. Heinz Rudolf wird lieber Popmusiker. „Es ist einfacher Lehrer zu sein als Musiker“, sagt Heinz Rudolf, „aber auch langweiliger.“ Fortan leidet er an langen Nächten, Katern, Blasenentzündungen, Unpünktlichkeit seines Gitarristen, dem Aufstehen erst am Mittag. Lotterleben macht wehleidig. „Ich bin ständig krank“, sagt Heinz Rudolf.

Heinz Rudolf nun war gestern in Bremen, die Stadthalle dazu halb gefüllt („Vor etwas intimerer Kulisse“, sagt Heinz Rudolf) mit mächtig uninteressant gekleideten Herrschaften, die beim Tanzen mit dem Körper nichts Rechtes anzufangen verstehen; darum wackelt meist bloß der Kopf obendrauf, bodenständige Beinchen knicken guter Dinge gerade noch im Takt und Mitklatschen können wir auch, ooohhh, wie aufregend: ein Popkonzert.

Heinz Rudolf hat ein schwarzes Mao-Hemd und langgelocktes Nackenhaar. Die blonde Dame hinter mir „mag langes Haar eigentlich ganz gerne“. Aber gepflegt muß es sein. So macht sie mit ihrer Freundin und dem ganzen blöden Feuerzeuge -hochhalten-Rest brav Boooaaaah und Hohoho, als Heinz Rudolf im Rahmen seiner immer mal wieder ins dürstende Volk gestreuten kritischen Kurzprosa erfindet, er hätte

sich nicht mehr die Haar gewaschen, seit der Vater ihm beim Ausritt über die Familien-Besitzungen mitgeteilt habe'daß ihm frischgewaschenes Haar nicht stünde.

Das ist nicht mehr Irritation durch Pop, das ist ein musizierender Gymnasiallehrer. Einer von der Sorte, die mit 17 bei der Tante in Bielefeld ins Sofa-Kissen pupen und das für irrsinnig subversiv halten. Heute muß er nicht mehr pupen, heute hat er Erfolg mit vertonter Dichtkunst, die alles furchtlos ausspricht, was niemand wirklich wissen will: Recht muß Unrecht bleiben (aus „Regen in Berlin/Für Rattay und die anderen“). Lebensweisheit in Aphorismen - ein Johannes Groß deutscher Populärmusik.

Heinz Rudolf grübelt, aber nie hat er eigene Ideen: Er verdaut Eindrücke. Schlauköpfisches immer bloß aus zweiter Hand. Das macht Heinz Rudolf so fade und uninteressant. Dabei ist er viel zu gebildet und belesen, um wirklich blöd zu sein. In Interviews etwa macht er die richtigen Einwürfe ungefragt zu rechter Zeit, und die bunte Brille/bunter Anzug -Kombination ist perfekte Visualisierung des 80er-Jahre -Kleinbürgers, dieses Das-ist-doch-mal-was-anderes tragenden Würstchens aus der LBS-Werbung. Heinz Rudolf kennt auch die Grundbegriffe der kritischen Theorie (Adorno -Zitate auf dem Cover zur „Einer für alle„-LP).

Als Intro benutzt dieser ehrlich und öde alles ans Licht der Wahrheit zerrende Pop-Faust den Titeltrack von Raumpatrouille. Alles kommt irgendwann in schlechte Gesellschaft.

Petra Höfer