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Zahnersatz gegen Heimcomputer

Irene Hanappi ZAHNERSATZ GEGEN

HEIMCOMPUTER

Eine Flut von Waren trägt zur Annäherung der beiden Donaumetropolen Wien und Budapest bei / Private Budapester Boutiquen locken mit modischen Einzelstücken - zwischen preisgünstig und Ramsch - Kauftouristen aus Ost und West

Dem Flohmarkt in Budapest kann man nur wünschen, daß jeder so schwer hinfindet wie ich. Dann bleibt er noch länger so wie er ist: schmutzig, armselig und desolat. Wie ein Flohmarkt auch sein sollte. Wer die 10 km über die Stadtgrenze hinaus hinter sich gebracht hat, wird nicht enttäuscht sein. Unter den vielen Schrauben, den Autoreifen und Durchlauferhitzern findet sich auch Imperiales. Alte Photographien, Münzen, Krawattennadeln, Uhrketten und Porzellanteller zum 50.Regierungsjubiläum von Kaiser Franz -Josef. Bürgerliche Schlafzimmer stehen als unangetastetes Ganzes mitten in der G'stätten, und wie zurückgelassene Hühnerknochen auf einem Teller liegt daneben die Karosserie eines Automobils. Sammler sind es nicht, die hier ihre Runden drehen, eher frustrierte Konsumenten auf der Suche nach einem Ersatzteil. Mit Nostalgie hat das auch nichts zu tun, es ist Vergangenheit in ihrer noch nicht ästhetisierten Form.

Auch das österreichische Kulturinstitut in Budapest widmete sein alljährliches Symposium der Vergangenheit. Die österreichische Schule der Nationalökonomie lautete das Thema zu dem österreichische wie ungarische Wissenschaftler referierten. Ein Versuch, sich der gemeinsamen Wurzeln zu besinnen? Sicherlich, aber auch so etwas wie ein Plädoyer für eine Wirtschaft, die ohne Staatseingriffe auskommt. Für ungarische Hörer könnten solche Vorträge als Rechtfertigungsversuche für das angesehen werden, was gegenwärtig im Land vorgeht: Bestrebungen in Richtung Privatisierung des Bankenwesens und seit Januar 1988 Einführung der Mehrwertsteuer und Abschaffung der Visapflicht.

Wien-Führer, Wien-Karten und Wien-Bücher prangen an erster Stelle in den Auslagen der Budapester Buchgeschäfte. Wien als dekadente Metropole, Wien als Einzugsgebiet jüdischer Intelligenz, Wien als Keimzelle neuer Entwicklungen, Wien als Versuchsstation des Weltunterganges, wie Karl Kraus es nannte. Ob es dieses Wien ist, das die westwärts fahrenden Ungarn ansteuern, bleibt dahingestellt. Anders als die Italiener, suchen sie statt der Atmosphäre grandiosen Dahinsterbens eher handfeste Dinge: Hi-Fi-Geräte, Heimcomputer und Videorecorder, die sie dann über die ganze Mariahilferstraße zum hoffentlich richtig geparkten PKW tragen. Wie sich dies mit den 3.000 zur Ausfuhr erlaubten Forint vereinen läßt, bliebt unklar.

Das Kaufverhalten der ungarnreisenden Österreicher ist ein anderes. Es konzentriert sich auf Grundnahrungsmittel, Dienstleistungen und Kulturgüter. Mehl, Wurst, Brot und Wein werden den Ungarn aus den Regalen geräumt, aus mitgebrachten Stoffen läßt man sich Maßanzüge fertigen und für einen Batzenstiel ruinöse Zahnschäden beheben.

Sonntag abend am Grenzübergang Klingenbach. Aus einem moosgrünen Range-Rover lugen seitlich die Hirschgeweihe heraus. Am Dach eines weißen Mercedes schaukelt ein Bauernkasten über die Grenze.

„Es gibt ka Alternative. Wollen's die Grenzen wieder zusperren?“, meinte man seitens der österreichischen Handelsvertretung zu Kanzler Vranitzky, der damit getröstet wurde, daß die Westungarn nun regelmäßig in Österreich Ski fahren werden und sich die Handelsbilanz dadurch wieder ausgleichen wird.

Eine Flut von Waren, an der man da wie dort verdient, trägt zur Annäherung zwischen den einst rivalisierenden Donaumetropolen bei. Seit jeher ist Budapest wegen seiner vielen privaten Geschäfte in Ost und West als Einkaufsstadt beliebt. Früher galten die in den Hinterhöfen der Vaci Utca gelegenen Boutiquen als Geheimtip, nun werben sie bereits mit aufblinkenden Lichtreklamen. Und schon ist die Weltstadt der Melancholie, diese Stadt aus Brokat, wie Peter Rosei sie nannte, nur mehr halb so melancholisch. Disco-Musik, Spiegel und Glas im schuhschachtelgroßen Verkaufslokal, geübtermaßen arrogante Verkäuferinnen - das vermittelt Boutiquenfeeling. Was es da zu kaufen gibt? Stark an den Modetrends orientierte Einzelstücke, Accessoires, breite Ledergürtel, handgestrickte Baumwollpullover und ähnliches. Natürlich ist auch Ramsch darunter. Alta Moda ist es keine. Eher Pret-a -porter im wahrsten Sinne des Wortes. Anprobiert und schon gekauft, denn die Preise sind für Westtouristen dementsprechend. Die Waschanleitung - sie ist auf ungarisch

-wurde noch nicht auf den international üblichen Zeichenkodex abgestimmt. Da sollte lieber kein Risiko eingegangen werden. Bevor Sie diese Seidenbluse in die Waschmaschine tun, werfen Sie sie lieber weg und fahren Sie wieder einmal nach Budapest, es lohnt sich.

Warum wollen's denn unbedingt über Mode schreiben?“, fragte mich gequält meine Tischnachbarin beim Mittagessen im österreichischen Kulturinstitut. Nach vier Jahren Außendienst in Budapest hatte die elegante Dame es offenbar aufgegeben, in den hiesigen Geschäften etwas für sich Brauchbares zu finden, sie zeigte auf den dezenten Zweiteiler im Esterhazy-Muster. „Müssen Sie schon umgerechnet 7.000-8.000 Schilling rechnen. Das kostet's in Wien auch. Ohne Stoff natürlich.“ „Warn's schon bei der Clara Rothschild? Angeblich hat sogar die Frau Vranitzky dort ein Abendkleid gekauft. Ich glaub's ja nicht.“

Ich auch nicht. Der renommierte Salon mit dem so kapitalistisch klingenden Namen ist seit dem Tod seiner Begründerin, 1976, ein Staatsbetrieb und einer der Geschäfte in der Vaci Utca an denen man leicht vorübergeht. Die einzige Schaufensterpuppe in der Auslage erinnert mehr an Queen Elisabeth als an unsere First Lady. Das ist englisches Understatement gepaart mit dem im realen Sozialismus üblichen Puritanismus. Oder ist das, was ich für puritanisch halte, einfach nur dezent?

Ein paar Häuser weiter stehe ich vor zwei durch einen schmalen Eingang miteinander verbundenen Schaufenstern, deren Sinnbildhaftigkeit nur allzu manifest ist. Rechts ein üppiger Wolfspelzmantel an vorderster Stelle einer Stange, wo auch ein Nerzmantel, ein Griesfuchs und ein schneeweißer Traumpelz auf ihre Käufer warten. In der Auslage daneben Schuherzeugnisse, bei deren Herstellung man es versäumt hatte, einen Designer hinzuziehen. Über dem rechten Portal hängt ein Schild mit der Aufschrift „Imperial Pelz österreichisch-ungarische Ges.m.b.H.“, über dem linken ist ein schlichter ungarischer Firmenname zu lesen. Zur Zeit existieren 18 Joint-ventures mit österreichischen Firmen.

Neben dem Pelzhaus Liska, das nach österreichischen Entwürfen in Ungarn arbeiten läßt, gibt es noch Reisebüros, Banken, die Casino AG und eine Federn und Daunenproduktion, die in Ungarn ihre Partner gefunden haben. Auch Julius Meinl, von dem es in der Monarchie 176 Niederlassungen gegeben hat, feierte sein Comeback. Die nach der Enteignung von der staatlichen Lebensmittelkette „Csemege“ übernommenen Meinlgeschäfte dürfen seit zwei Jahren wieder Meinlwaren führen. Zähe Verhandlungen waren dazu notwendig. Denn „alles geht nicht“. Es gibt Vorschriften, Reglementierungen und für den kleinsten Schritt braucht man eine Bewilligung von Ministerium.

„Und bewilligt wird nur, was das Land braucht“, so Dr.Ladislaus Wagner von der österreichischen Handelsvertretung. „Pelzmäntel?“ „Warum gerade Pelzmäntel?“ „Unterschätzen Sie die Ungarn nicht“, wendet Dr.Wagner ein. „Wer mehr arbeitet, soll mehr essen, das hat schon Lenin gesagt. Wenn Sie diesen Gedanken konsequent zu Ende führen, kommen Sie zur Leistungsgesellschaft westlicher Prägung. Natürlich, von einem Gehalt allein kann man noch keinen Nerzmantel kaufen. Aber die Ungarn haben alle mindestens zwei, wenn nicht drei Jobs. Einer allein würde nicht ausreichen, um ein Auto anzuschaffen und Kredite gibte es nur für Waren, die vorhanden sind. Autos, zum Beispiel, werden in Ungarn nicht erzeugt. Wenn einer von einem Mercedes träumt, so muß er schon ein ehemaliger Ping -Pongweltmeister sein. Außergewöhnliche Leistungen auch auf dem Gebiet der Wissenschaft und Forschung werden honoriert. Leute, die sich für Ungarn verdient gemacht haben, bekommen auch sofort einen Gewerbeschein und eröffnen ihr eigenes Geschäft.“

Vor der Boutique „Eleganzia“ auf der „Tanacs Körut“ drängen sich die Schaulustigen. Das Geschäft, offensichtlich mit ausländischem Kapital errichtet, hat erst vor kurzem eröffnet. Waren werden ausgepackt, die aufwendige Schaufensterdekoration sendet starke Kaufimpulse aus, doch wer kann bei diesen Preisen mithalten? Ein Hosenanzug 8.100 Forint, eine Abendtoilette in Grau - 15.900 Forint, 8.1000 Forint ein Blazer und 6.790 ein Pullover. Für Ungarn, wo ein Ministerpräsident 35.000 Forint, ein Minister 30.000 Forint, ein Fabrikdirektor 25.000 Forint, ein Facharbeiter 10.000 Forint und ein normaler Sterblicher 8.000 Forint verdient, unerschwinglich.

Auf dem Weg zu einem Vortrag in der Wirtschaftsuniversität klingt mir das Lied des Leierkastenmannes nach: „Mei Mutterl woar a Weanerin.“ Auf Budapests Straßen herrscht Österreich -Ungarn, an der Universität der Marxismus-Leninismus. Wie lange noch? Kaum einer der Redner konnte der Versuchung widerstehen, auf das drei Meter hohe Bild hinzuweisen, das den Sitzungssaal der Karl-Marx-Universität zierte. Vor dem Hintergrund eines abfahrenden Dampfers steht Marx in Lebensgröße. Er trägt einen taubengrauen Reiseanzug, hat Hut und Handschuhe in der Hand und den Mantel über die Schulter geworfen. Es ist - darin besteht kein Zweifel - eine Abschiedsszene.

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