We've got the key

Jubiläum bei VIRAGO in London: vom Küchentischprojekt zum größten feministischen Verlagshaus der Welt  ■  Von A.Winter und A.Horakh

In der Nelson-Mandela-Street in Camden Town, London, herrscht ein Ambiente wie in den Filmen des neuen britischen Kinos. Zwischen schwarzen Müllsäcken, Baugerüsten und Schutt, gegenüber dem Büro der Anti-Apartheidsbewegung, liegt beinahe unauffindbar der Eingang zu VIRAGO, dem größten feministischen Verlagshaus der Welt. VIRAGO feiert in diesem Jahr seinen 15.Geburtstag - mit Parties in London und anderswo, einer Jubiläumsausgabe (Writing Lives).

1972 entwickelte Carmen Callil die Idee, 1973 erfolgt die Eintragung ins Handelsregister, 1975 produziert sie mit Ursula Owen das erste Buch - dann erfolgt die Expansion. In diesem Jahr publizieren Callil/Owen 100 Titel und können stolz einen Stab von 20 Mitarbeiterinnen sowie sechs Millionen Mark Umsatz vorweisen - paradoxerweise zu einer Zeit, in der man den Begriff „Feminismus“ zum „dirty word“ degradierte. „Wir hatten uns zur Konfrontation entschlossen, denn wir wollten den Mythos killen, daß feministische Bücher sich nicht verkaufen. Und es funktionierte“, erklärt Carole Spedding, die Organisatorin der jährlich stattfindenden „Feminist Book Fortnight“.

Von Beginn an verfolgten die Verlegerinnen zwei Ziele: das eine, Profit zu machen, diente dem anderen, Sprachrohr der Frauenbewegung zu sein. Dies wurde zum Schlüssel ihres Erfolges: „Wir beabsichtigten ein breites Publikum von Männern und Frauen zu erreichen, auch solche, die von der Idee des Feminismus nie gehört hatten, sie ablehnten oder sogar verabscheuten. Es war uns nicht genug, für uns allein zu produzieren.“ (Carmen Callil) Mit diesem Konzept beschritten sie einen Weg, der sie in die „high streets“ führte; seitdem sind VIRAGOs Produkte von W.H.Smith (Englands McDonald's der Schreibwaren) bis hin zu den Bücherständen in Heathrow Airport präsent.

Die englischen Pionierinnen waren und sind innovativ: In einem feministischen Verlag nur Frauen zu beschäftigen und fast ausschließlich Frauen zu drucken, (Shaw ist eine der Ausnahmen) gilt heute als selbstverständlich, aber ein Blick auf's Verlagsprogramm zeigt das Bemühen, vergessene Bücher wiederzuentdecken, zeitgenössisches feministisches Gedankengut zu artikulieren und darüberhinaus zu demonstrieren, daß „women's issues“ etwas Zentrales darstellen und sich keineswegs mit einer Position am Rande begnügen müssen. Dies geschieht in verschiedenen Serien: New Non-Fiction umfaßt Reisebücher, Autobiographien, Photo- und Kunstbände. Pioneers würdigt legendäre Frauengestalten, Upstarts richtet sich an Acht- bis Zwölfjährige, und dann sind da noch die Modern Classics. All das läßt ahnen, warum VIRAGO es sich leisten kann, unabhängig zu sein. Der Erfolg allerdings trug den Unternehmerinnen auch Kritik seitens der Frauenbewegung ein; ihre Arbeit sei nicht politisch genug, wurde ihnen vorgeworfen. Immer mehr Bedeutung wird den Veröffentlichungen schwarzer und asiatischer Frauen beigemessen. Aber wen erstaunt das angesichts der Tatsache, daß die schwarze Maya Angelou die hauseigene Bestseller -Liste mit ihrer Autobiographie The heart of the race anführt.

Der Zukunft sieht VIRAGO optimistisch entgegen. Seit geraumer Zeit werden Verhandlungen mit den Verantwortlichen für Lehrpläne und Prüfungsordnungen geführt. Auf die Frage, ob denn im Zeitalter des lesben- und schwulen-feindlichen Gesetzeszusatzes Section 28 bereits ein Klimawechsel im Buchhandel zu registrieren sei, meinte C.Spedding: „Es gibt Stimmen, die befürchten, daß die größte Bedrohung nicht von außen kommt. Die eigentliche Gefahr stellt nicht die legale Behinderung dar, sondern die Selbstzensur, zu der HerausgeberInnen, Buchhandlungen, Büchereien gezwungen werden, die schon jetzt Repressalien ausgesetzt sind.“

Warum sind gerade die britischen Verlegerinnen so erfolgreich? Ständig neue Ideen und Impulse in einer oft beklemmenden politischen Atmosphäre, Rekorde hinsichtlich Qualität und Quantität, Omnipräsenz und verheißungsvolle Umsatzzahlen - sie haben sich etabliert, ohne ihre Maximen preisgegeben zu haben. Vielleicht haben die britischen Verlegerinnen ein ausgeprägteres Bewußtsein für Marketing oder ihr Lesepublikum ist ganz einfach prädestiniert für Frauenliteratur, schließlich wurde auch Frankenstein von einer Engländerin der literarische Odem eingehaucht.

„We've got the key“, kommentiert VIRAGO und träumt vom absoluten Bestseller, der neuen finanziellen Freiraum bietet - so geschehen bei „The Women's Press“ mit Die Farbe Lila.