Es barschelt in Berlin SPD: Innensenator Kewenig lügt

SPD-Innenpolitiker Pätzold plaudert aus der Parlamentarischen Kontrollkommission / Rechtfertigung des Verfassungsschutz-Senators Stück für Stück widerlegt / Verfassungsschutz bestätigte am 19.Oktober Überwachung der taz  ■  Aus Berlin Brigitte Fehrle

„Innensenator Kewenig hat vor der deutschen Öffentlichkeit gelogen“. So kommentierte gestern die Berliner SPD die Rechtfertigungen des Innensenators der Regierung Diepgen, mit denen Kewenig alle Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz der Stadt zurückgewiesen hatte. Gleichzeitig warteten die Sozialdemokraten mit weiteren Einzelheiten des Skandals auf und machten dabei erstmals Informationen aus der Parlamentarischen Kontrollkommission für den Verfassungsschutz (PKK) öffentlich.

Entgegen der mehrfach wiederholten Versicherung von Innensenator Kewenig, die taz sei nie im Ganzen vom Verfassungsschutz überwacht worden, erklärte der SPD -Sicherheitsexperte Pätzold gestern, die taz sei als ein „verfassungsfeindliche Ziele verfolgendes Organ“ eingeschätzt worden: Deshalb sei die Zeitung bis Mitte der achtziger Jahre im Ganzen überwacht worden. Konkret bedeute das, daß Leute nur deswegen in die Akten des Verfassungsschutzes gelangt seien, weil sie bei der taz gearbeitet oder sonst mit ihr in Zusammenhang gestanden hätten. Das habe das Landesamt für Verfassungsschutz auf der Sitzung der vertraulich tagenden Parlamentarischen Kontrollkomission am 19.Oktober 1988 bestätigt. Zu den möglichen V-Leuten in der taz sagte Pätzold, Kewenig habe zwar bestritten, daß in der Redaktion V-Leute eingesetzt worden seien. Allerdings bestehe ein Zeitungsbetrieb aber noch aus anderen Abteilungen.

Die SPD konkretisierte auch ihre Behauptung, der Verfassungsschutz beschäftige Journalisten als Informaten. Kewenig habe nur bestritten, daß der Verfassungsschutz Journalisten anwerbe, er habe aber nichts über anders zustandegekommene Informantentätigkeit gesagt. Tatsächlich habe der Verfassungsschutz Informanten, die gegen Entgeld arbeiteten und als Journalisten tätig seien. Einer von ihnen trage den Tarnnamen „Merker“, sein richtiger Name sei der SPD bekannt.

„Kistenweise“, so Pätzold, habe man der PKK Journalistenakten vorgelegt. Die Behauptung von Kewenig, niemand sei nur wegen seiner Tätigkeit als Journalist Objekt der Beobachtung geworden, sondern weil er sich in verfassungsfeindlicher Art betätigt habe, bestreitet Pätzold. Alleinige Anlässe für Überwachungen, nicht nur der Journalisten der taz, seien beispielsweise die Teilnahme an einer spontanen Solidaritätsdemonstration für Benny Härlin und Michael Klöckner vor dem Knast in Berlin-Moabit oder eine Sitzblockade der Friedensbewegung gewesen. Die Akten enthielten sowohl Artikelsammlungen als auch Bewertungen der Personen. Diese Vorgänge seien der SPD in den Sitzungen der PKK am 30.September und 19.Oktober 1988 bekannt geworden. Ausführlich ging Pätzold auf die Akte des früheren taz-Redakteurs und heutigen 'Zeit‘ -Reporters Michael Sontheimer ein. Die PKK habe einstimmig beschlossen, das Landesamt für Verfassungsschutz zu bitten, diese Akte nicht - wie alle anderen - routinemäßig zu vernichten und habe sie zur Einsicht angefordert. Sie sei trotzdem vernichtet worden - ohne Möglichkeit zur Einsicht. Das habe die PKK in einer späteren Sitzung gerügt. Hierüber gebe es Protokollnotizen. Vor einem parlamentarischen Untersuchungsauschuß, vor dem Falschaussagen strafbar seien, müßten Zeugen aus der PKK und aus dem Landesamt die Darstellungen der SPD bestätigen, sagte Pätzold und forderte die sofortige Einrichtung dieses Ausschusses. Er werde öffentlich keine weiteren Einzelheiten sagen.

Währendessen versucht die Innenverwaltung das „Loch“ im Verfassungsschutz zu finden. Schon Anfang der Woche hätten „bedrängende Verhöre“ unter Mitarbeitern des Landesamtes stattgefunden, sagte Pätzold. Ein Angestellter habe um Rechtsschutz bei der Gewerkschaft ÖTV nachgesucht. Der werde gewährt, bestätigte der Vorsitzende der ÖTV Berlin. Ihm sei bekannt, daß die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz „Mißtrauen“ unter den Mitarbeitern verbreite. Der Sprecher von Innensenator Kewenig, Hans Birkenbeul, bestätigte die Nachforschungen der Verwaltung, findet es jedoch merkwürdig, daß Mitarbeiter dies als Einschüchterung begreifen würden. Wer ein „reines Gewissen“ habe, brauche nichts zu fürchten.

Innensenator Kewenig läßt inzwischen durch einen Juristen prüfen, ob er noch der Geheimhaltungspflicht unterliegt. Das Verhalten der SPD nannte er strafwürdig nach Paragraph 393 StGB, der die Geheimhaltungspflicht regelt. Ungeklärt ist, ob Staatssekretär Müllenbrock, Verfassungsschutzchef Wagner und Abteilungsleiter Bakker wie angekündigt Strafanzeige gegen Walter Momper stellen werden, der der Leitung des Amtes „kriminelle Energie“ nachgesagt hatte.