Standing Blödsinn

■ Das Theater des Schmerzes oder des Brotes gab Samstag im Lagerhaus eine irrwitzige Premiere: 90 Minuten Unsinn über Gott und die Welt und Leberwurstbrote. Mit Musik

Für ein absurdes Musiktheater ist es bestimmt ganz großartig. Der Haken ist, ich mag absurdes Musiktheater nicht besonders. Schon gar nicht, wenn es gut 1,5 Stunden dauert und ich dazu stehen muß, weil begeisterte Absurdes -Musiktheater-Anhänger offenbar gern pünktlich den Saal stürmen, so daß man mit nur fünf Minuten Verspätung im 1. Stock des Lagerhauses vor einem hübschen „Der Saal ist voll„-Schild steht und solch Stehen an kühler Säule neben vollbesetzten Klappstühlchen fortsetzen muß.

Trotzdem sind „los gringos caramell“, das neue absurde Stück Muisktheater des mächtig geschätzten Bremer theatre du pain, bestimmt einfach klasse. Man darf nur nicht so verbiestert nach einem Sinn hinter 90 stehend verbrachten Minuten suchen. Das verdirbt einem die Aufführung.

Ja, der Geist liebt die Vision, aber dieser vergißt nicht: Kein Zustand ist das Ewig . Lachen Sie über Ihr Gehirn und genießen Sie den Sinn.

So steht es neben Leibniz-Zitat, Besetzungsliste und dem Hinweis „Hemden und Anzüge der GRINGOS CARAMELL stellte das Sozialamt Paderborn“ auf braunem Packpapierstreifen, der in bürgerlichen Spielstätten wahrscheinlich als Programmheft gehandelt werden würde. Aber es leitet fehl. Wer Sinn sucht, zu genießen, steht 90 Mi

nuten dumm rum.

Es beginnt mit Francke. Horst Werner Thomas auf Video und zum Thema Kalmücken, eine Art Endlosschleife, bis alles sitzt (oder steht), wo es hingehört. Und dann nochmal richtig mit Musik: Taschenrechnersound aus zelttuchverhangenen Feldherrenhütten oder Duschkabinen, die einem die Sicht versperren beim Stehen neben den Reihen. Auch wer ganz außen sitzt, sieht bloß, wenn sich der ganze Quatsch schön auf die Mitte des Bühnenraumes konzentriert, was je nach Charkter verreckte Hälse oder Hörspielatmosphäre bewirkt.

Dann: Rrrrummmms. Fein heftig und unvermittelt, daß ich kurz hoffe, es würde jemand vor Schreck aus seinem Sesselchen kippen: LOS Gringos sind angekommen - wo wissen sie nicht. Wir natürlich auch nicht, lauschen aber unwissend und erwartungsfroh recht irrwitzigen Dialogen zwischen vier selbstredend wieder anzuggekleideten Herrschaften: Vat ( Vater Inhaber eines Literaturlexikons und eines Autoschlüssels Hans Fritzsche), Prachtsack ( Prachtsack + zelttuchverhangenes Erinnerungsgespenst, das Leuten mit schlechtem Gedächtnis die Verabreichung von, ich glaube, Weichspüler androht zart und garstig: Stefan Walkau), Dem Jungen Göthe (Mateng Martin

Pollkläsener als eine Art Tara Schanzara der Region Bremen&Umzu) und Felix (Ulrich Pollkläsener erkenntniserregter Naturwissenschaftler spaßiger Draht zum redenden Toaster mit niedlich kluger Frauenstimme).

Dazwischen klingeln Telefone in Hutschachteln zwischen blaßlila Chiffontüchern (oder Federn oder ähnlich Zartem), schrillen Wecker zum Leberwurstbrotessen, findet leicht abgewandelte Stadtlandfluß-Wettkämpfe mit Hinwerfen um einen Autoschlüssel statt, werden Schicksals-Karten verteilt und über Eimer, Feudel und Quadratlumpen sinniert.

Alles ein mächtiger und strek- kenweise auch im Stehen ulkiger Krach gegen Sprache als sinnvermittlendes Kommunikationsmedium. Nicht dümmer als die übrigen Geister dieser seltsamen Welt.

Und Musik gemacht haben sie auch. Dann wird der Unsinn eben gesungen, es klappern die Kastagnetten und chorsingt zu vergnügter, wenig zimperlicher Musik mit solch idiotischen Zeilen wie Wenn es irgendwo klingelt, verkochen tausend Linsen oder so. Bei heftigem Sinnlos-Gewitter ist es bisweilen etwas schwierig, den genauen Wortlaut zu bemerken. Besonders im Stehen.

Petra Höfer

„los gringos caramellos“: noch 3 Wochen (bis 23.12.) täglich außer Mo & Di um 20.30 Uhr im Lagerhaus. Kommen Sie pünktlich.