Kalter Freitag in der warmen Drobs

■ Was die eigentlich machen: Aus dem Alltag der Drogenberatungsstelle in der Bauernstraße / Sozialarbeit mit warmem Essen, offenem Ohr und Hausverboten / Wer dealt oder drückt fliegt erstmal 'raus

Im Cafe sind Neue eingetroffen. „Ich hab ne Therapie, halbes Jahr, echt geil, und voll anerkannt, Freitag fang ich an.“ Der Mann, sehr jung, der seine warmen braunen Lederfäustel vor sich auf den Tisch gelegt hat, wendet sich an die beiden auf der Sitzbank. „Geht Ihr auch in Therapie?“ „Doch“, sagte die blasse Frau, die die Beine auf der Sitzbank ausstreckte. „Wo?“ - „Bremer Hilfe“. - „Das ist der reine

Streß, fünfmal hab ich mit denen geredet. Das geht da total streng ab, ay, einmal ein Glas Wein, und Du fliegst gleich raus.“ - „Meine Freundin ist auch rausgeflogen. Die ist jetzt tot. Sonntag, Mareike,“ sagt die Frau auf der Sitzbank.

Es war einfach gewesen. Ich hatte endlich mal wissen wollen, was die in der Drogenberatungsstelle in der Bauernstraße eigentlich machen, nicht nur in der Zei

tung schreiben, daß dreieinviertel Stellen unbesetzt, aber nötig und jetzt ausgeschrieben sind. War auf Heinz und Ulrike getroffen. Ja, mich einfach hersetzen, das ginge. Heinz, Sozialarbeiter, mit dreieinhalb Jahren und dem dritten, im Frühjahr auslaufenden Zeitvertrag geradezu ein Fossil an Beständigkeit hier, hatte mich mit ins Büro genommen. Das Cafe würde um halb eins aufmachen, vorher ist dies und das: Beratung in Einzelgesprächen oben und hier hinten im Büro Organisatorisches, manche holen sich ihre Post hier ab. „Willste haben? Zehn Mark das Paar“, bietet der Glückliche mit dem Therapie platz gerade seine Lederfäustel einem Rausgehenden an, „habe ich noch vierzig andere von, in allen Farben.“

Kurz nach 12: Wir sitzen im Cafe vorne. Es ist beinahe gemütlich, warm und resopalgedeckt sauber. Die Köchin, mit 8 -Stundenvertrag, hat Rotkohl und Salzkartoffeln mit einer Frikadelle gemacht. Essen, gegen Entrichtung von Dreifünfzig erst für die MitarbeiterInnen und gleich, wenn die fertig sind, für die Junkies.

Ulrike ist Sozialpädagogin , acht Stunden hier unten im offenen Bereich tätig und 32 Stunden oben in der Beratung. Manchmal macht sie auch U-Haft-Betreuung, „alles Flickwerk“. Heute erfährt sie, daß ihre Stelle, die über Modellversuch läuft, bis 1991 verlängert ist. Mit am Tisch sitzt noch Johann, arbeitet als Berater, ist umgesetzt aus der Jugendwohnheim-Betreuung - die Wohnheime hat der Rotstift aufgelöst, - gelassen, vertraueneinflößend, ein alter Hase. Mit am

Tisch, den zweiten Tag hier und auch in der Drogenarbeit neu, eine junge Äztin, mit der endlich die lange eingesparte halbe medizinische Stelle wieder besetzt ist.

Immerhin, ein bißchen tut sich an der zu kurzen Personaldecke der Drobs. Allerdings bis jetzt noch nicht genug, um das Cafe jeden Tag zu öffnen. Das Cafe der Drobs ist Dienstags, Donnerstags und am Wochenende zu, nix Mittagessen, nix Schutzraum gegen die schneidende Kälte im Moment. Weshalb gestern die Frau des „guten Bäckers Garde“ verzweifelt bei Susanne Urbahn, der Vorsitzenden der Interessengemeinschaft Ostertor, angerufen hat: all die frierenden Junkies hatten den schönen warmen Laden als Drobs -Ersatz benutzt und rappelvoll gefüllt!

Halb eins. Im Nu ist der Raum voll, die Junkies kriechen förmlich durch die Durchreiche in die Küche, eine Frau kommt, ganz jung, runde Kinderstirn, hat ein etwa dreijähriges Kind an der Hand, das putzmunter aus der dicken Wäsche lugt. „Ja, Kinder haben manche hier,“ sagt Heinz. Nein, hatte die nicht. Einer mit gediegenem Hut auf erzählt einer Beraterin wieder und wieder, daß er nicht will, daß seine Braut draufgeht: „Alle, aber die nicht.“ Bißchen später muß Johann hin und ihm mit Hausverbot drohen, weil er offen mit Pillen dealt.

Cordula muß in den Flur, sagen, daß hier nicht gedealt wird: „25 bin ich gerade geworden“ lallt eine Frau am Nebentisch, die die Hälfte der Zähne ausgeschlagen hat, die junge mit der Kinderstirn versorgt sie später mit Essen, weil die andere das allein nicht packt. Eine Frau steht da, in

den Knien eingeknickt, elastisch schwankend, wahrscheinlich nicht voll von Heroin, - Johann: „Das sind die wenigsten hier“, - sondern unter der Wirkung irgendeines Cocktails aus aufgelösten Pillen und Barbituraten, lauthals wimmernd.

Die Mischcocktails nehmen zu. Sie sind billiger als Heroin. Vor allem die Drogenprostituierten haben zunehmende Schwierigkeiten, die 300 bis 500 Mark täglich für Heroin zusammenzubekommen. „Ich kenne eine Frau“, erfahre ich von einem Berater, die ist HIV-positiv, die tut es für 5 Mark und ohne Gummi. Und es gibt immer noch Männer, die das ausnutzen.

Johann geht zu einer Frau, die das Gesicht voller blauunterlaufener Schlagstellen hat. Sie hat sich am Mittwoch mitten im Caferaum einen Schuß gesetzt. Seitedem hat sie Hausverbot. Johann sagt ihr das nochmal und auch, daß das Cafe für alle geschlossen wird, wenn sie nicht geht. „Geh doch selber und stell Dich mal ne Stunde draußen hin,“ schreit die wütend. Sie will das Hausverbot abgelten, wenn es nicht mehr so kalt ist. „Über Hausverbote verhandeln wir nicht“, sagt Ulrike. Das Team arbeitet ruhig und sehr aufeinander abgestimmt. Die Frau bleibt erstmal sitzen. Sicher wird auf den Toiletten gedrückt, aber es ist im Drobs ebenso verboten, wie das Dealen. Und das Team hält darauf, sanft aber bestimmt, daß das, jedenfalls dort, wo es sichtbar ist, nicht passiert. Wer sich offen oder wiederholt darüber hinwegsetzt, bekommt Hausverbot. Zeitlich gestaffelt.

„Dies soll ein Schutzraum sein“, sagt Johann. Und: „Ich

möchte ja auch, daß wer will, clean werden kann.“ Die Gruppe hat sich deshalb nach Diskussionen auch gegen einen Raum in der Beratungsstelle entschieden, wo die Abhängigen sich ihren Schuß setzen können. Die Zeiten der harten Linien in Drogenberatung und Therapie sind, jedenfalls in der Bauernstraße vorbei. Die Junkies müssen nicht erstmal mehr möglichst tief in die Gosse und dann in den möglichst brutalen kalten Entzug und völlig clean sein, ehe vielleicht eine beinharte Therapie beginnen kann.

Von einem, der seit acht Jahren clean ist, berichtet Johann. Er hätte es nie geschafft, hat der ihm gesagt, wenn nicht jede Chance zum Ausstieg genutzt worden wäre. Jede Chance zum Ausstieg zu nutzen mit leichter zugänglichen Therapieangeboten, ist deshalb die Devise und Rückfälle, die dabei auftreten und die Schuldgefühle, mit denen sie sich verbinden, gemeinsam aufarbeiten. Dazu gehören aber auch Signale, die zeigen, daß die Drogenberatung die Drogenabhängigen akzeptiert, aber nicht ihre Abhängigkeit fördert.

Die Stimmung ist inzwischen umgekippt. Vorher hatten sich einige vor dem Konflikt lieber verdrückt. Jetzt machen drei von den Junkies, Männer, die deutlich nicht halb so kaputt sind wie die Betroffene, ihr: „Du bist zu weit gegangen, P.“ Die Frau schimpft: „Was haben denn die anderen damit zu tun“ und verläßt fluchend den Raum.

Eine Viertelstunde später steht die Frau mit dem verbläuten Gesicht wieder im Raum. Ulrike, nach der sie gerufen hat, geht zu ihr.

Uta Stolle