Die Antwort kennt nur der Schnee

■ Hertha-Fans wollen in Zukunft auf Nazi-Parolen und Randale verzichten / Spielausfall gegen Fortuna Köln verhinderte die Erkenntnis auf Einlösung des Versprechens / Manager Wolter redete beschwörend auf die „Hertha-Frösche“ ein

Sie waren nicht wiederzuerkennen, die „Hertha-Frösche“. Nicht im Jeansanzug, mit Hertha- und Bier-Fahne, sondern nett, adrett und freundlich trafen sich 35 Fan-Gruppen -Vertreter des Fußball-Zweitligisten zu einem Gespräch mit Verantwortlichen „ihres“ Clubs in einer Gaststätte am Wannsee. Auf der Tagesordnung stand ein offener Brief des AL -Abgeordneten Hans-Jürgen Kuhn. Der hatte in einem Schreiben an den Hertha-Vorstand appelliert, daß „alles in der Macht stehende“ getan werden müsse, um Vorfälle, wie sie bei einem Heimspiel gegen den VfL Osnabrück geschehen waren, in der Zukunft zu verhindern. Beim besagten Spiel hatten Hertha -Fans die gegnerische Mannschaft und den Schiedsrichter mit „Jude'Jude„-Rufen und „Sieg Heil„-Chören beschimpft.

Um es vorwegzunehmen, das Ergebnis des Abends dürfte alle Beteiligten zufriedengestellt haben. Denn: Die Hertha-Fans versprachen, in Zukunft auf Begriffe aus dem Nazi-Jargon zu verzichten. Aber: Bevor es zu dieser Einigung kam, hatten Horst Wolter, der Hertha-Manager, und Trainer Fuchs eine schier unglaubliche Diskussion führen müssen.

Da sagte bespielsweise ein Fan: „Der Begriff 'Jude‘ hat das Wort 'Schieber‘ in Bezug auf den Schiedsrichter abgelöst. Das ist doch nicht schlimm. Würden wir 'Katholik‘ schreien, hätte doch niemand etwas dagegen.“ Auch für Verwüstungen im Bahnhof Friedrichstraße, so derselbe Hertha-Anhänger, hätte er Verständnis: „Da werden wir jedesmal von unseren Feinden (gemeint sind Grenz-Soldaten der NVA; d.Red.) in einer ganz schlimmen Weise provoziert. Daß da mal jemand draufhaut, ist nur natürlich.“ Beschwörend mußte bei solcherlei Aussagen der Manager dazwischenfahren. Wolter mit hochrotem Kopf: „Mir kann niemand erzählen, Begeisterung könne nur bei solchen Begriffen und Taten aufkommen. Das ist doch kompletter Blödsinn.“ Und Werner Fuchs sagte diplomatisch: „Singt lustige Lieder, macht euch einen Spaß aus dem Fußball -Nachmittag. Dann lacht das ganze Stadion mit.“ Das saß, bewirkte jedoch wenig. Ein anderer Fan: „Ich trage den Sticker 'Deutschland den Deutschen‘. Das ist schließlich nicht verboten. Ich bin eben nationalbewußt. Außerdem wird dadurch klar, daß ich mit dem Scheiß-Verein aus Mariendorf nichts zu tun habe.“ Lokalrivale Blau-Weiß 90 wird an diesem Abend mehrmals als die „letzte Scheiße“ abgetan...

Noch einmal interessant wurde es, als sich Hans-Jürgen Kuhn, der sich wegen Beratungen im Abgeordnetenhaus verspätete, zur Diskussion gesellte. Mit gespannter Aufmerksamkeit hörten die Fans ihm zu. Kuhn verdeutlichte, daß „sicherlich nicht alle Fans“, an der Verbreitung nationalsozialistischem Gedankengutes teilhaben, und forderte: „Nehmt solche Leute nicht in eure Clubs auf. Hertha-Fans und Nazi-Parolen haben nichts gemeinsames. Nur wenn ihr in der Lage seid, diese beiden Sachen zu trennen, könnt ihr damit rechnen, daß das Image der Hertha-Fans verbessert.“

Wie weit das Versprechen der Hertha-Fans, auf Nazi-Parolen zu verzichten, ernstzunehmen ist, weiß zur Zeit niemand. Das ausgefallene Samstag-Spiel gegen Fortuna Köln hätte Aufschlüsse bringen können. So weiß die Antwort nur der Schnee.

Holger Schacht