Meuterei stellt Alfonsin vor erneute Machtprobe

■ 400 argentinische Soldaten und Offiziere an der Revolte beteiligt / Präsident Alfonsin ordnet Niederschlagung der Rebellion an / Regierungstreue Truppen umstellen Stützpunkt der Rebellierenden / Generalamnestie für verurteilte Militärs gefordert

Buenos Aires (afp/dpa/ap/taz) Etwa 400 meuternde Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten halten weiterhin Argentiniens Öffentlichkeit in Atem. Am frühen Sonntag morgen trafen in Buenos Aires regierungstreue Truppen ein und umstellten die Bastion der Meuterer, eine Kaserne im Vorort Villa Martelli. Mehrere tausend Menschen der näheren Umgebung wurden evakuiert. Die vom rechtsextremen Oberst Mohamed Ali Seineldin angeführten Meuterer forderten die anwesenden Journalisten auf, das Gebiet um die Kaserne zu räumen, da sie einen Angriff der Armee erwarten würden. Inzwischen hat sich die Meuterei auf insgesamt drei Militärstützpunkte ausgeweitet. In Mercedes nahe der Hauptstadt nahmen Soldaten eines Panzergrenadierregiments ihren Kommandeur fest und erklärten sich mit Oberst Seineldin solidarisch. Auch die Soldaten eines Bataillons in der Provinzstadt Cordoba schlossen sich der Militärrevolte an.

Es handelt sich um die dritte Meuterei von Soldaten, seit 1983 die Militärs nach siebenjähriger Diktatur die Regierungsgeschäfte an den gewählten Präsidenten Alfonsin abgegeben haben. Ostern 1987 meuterten von Oberstleutnant Aldo Rico angeführte Soldaten. Erfolgreich. Denn kurz danach wurde ein Gesetz verabschiedet, das den Folterknechten der Diktatur einen Befehlsnotstand zubilligte, nachdem bereits das „Schlußstrichgesetz“ einer umfassenden Bestrafung der Verbrechen der Diktatur einen Riegel vorgeschoben hatte. Im vergangenen Januar revoltierte Rico ein zweites Mal. Die etwa 400 Soldaten, die nun seit Donnerstag rebellieren, fordern nicht nur die Freilassung Ricos, sondern eine Generalamnestie für die verurteilten Militärs schlechthin. Im Dezember 1985 wurden die neun Mitglieder der drei Militärjunten, die das Land von 1976 bis 1983 regierten und die für die Ermordung von 10.000 bis 30.000 Oppositionellen verantwortlich sind, zu langjährigen, zum Teil lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Präsident Alfonsin weigert sich bislang, auf die Forderungen der Meuterer einzugehen. Am Samstag abend um 23 Uhr Ortszeit ordnete er wenige Stunden nach seiner vorgezogenen Rückreise aus den USA - aus dem schwer bewachten Präsidentenpalast in einer kurzen, landesweit ausgestrahlten Rede die militärische Niederschlagung der Militärrevolte an. Etwa 150.000 Menschen hatten sich am selben Abend vor dem Parlamentsgebäude versammelt, wo eine Sondersitzung der Abgeordneten über Lautsprecher übertragen wurde. Das staatliche Fernsehen hatte in sein Programm immer wieder eingeblendet: „Die Vergangenheit darf nicht wiederkehren - alle zum Parlament!“ Die meisten der DemonstrantInnenen harrten die ganze (hochsommerliche) Nacht vor dem Gebäude aus. Am Sonntag morgen riefen sämtliche Parteien und Gewerkschaften zu Massenaufmärschen für die Demokratie auf.

Die Revolte hatte am Donnerstag begonnen, als etwa 50 Soldaten der Elitetruppe „Albatros“ der Marinepräfektur von Buenos Aires schwer bewaffnet ausrückten und sich in der nahe gelegenen Infanterieschule Campo de Mayo verschanzten. Dort erhielten sie die Unterstützung einiger hundert Offiziere und Soldaten. Am Freitag schien die Meuterei ein Ende zu nehmen, nachdem der oberste Heereschef, General Dante Caridi, mit Oberst Seineldin Verhandlungen aufnahm und - die Angaben sind widersprüchlich - möglicherweise eine Amnestie zusagte. Auch Vizepräsident Victor Martinez hatte bereits das Ende der Meuterei verkündet. Doch rückten die Meuterer am Samstag dann völlig unbehelligt schwer bewaffnet aus der von herbeibeorderten Heerestruppen belagerten Infanterieschule ab und zogen mit sechs Panzern und Kriegsgerät in die zehn Kilometer entfernte Kaserne in Villa Martelli um, die über ein umfangreiches Waffenlager verfügt. Dort befanden sich die rebellierenden Soldaten bei Redaktionsschluß immer noch, obwohl der Präsident längst die Niederschlagung der Revolte angeordnet hatte. Offenbar mangelte es Alfonsin noch an genügend Truppen für die Beendigung der Meuterei. Die mobilisierten Heereskräfte, darunter auch Panzereinheiten, haben sich den Meuterern zwar nicht angeschlossen, weigern sich aber andererseits, auf ihre Kameraden zu schießen. „Die Krise muß noch heute beendet werden“, hatte Alfonsin - so dessen Sprecher Jaroslavsky - am Samstag dem Heereschef General Caridi befohlen. „Dann muß ich kämpfen“, soll dieser geantwortet haben. Alfonsin habe nur knapp erwidert: „Sie müssen tun, was getan werden muß.“ Während die katholische Kirche, die mit der Militärdiktatur weitgehend kollaboriert hatte, am Sonntag zum nationalen Dialog aufrief, kündigte der gewerkschaftliche Dachverband CGT für den Montag einen 24stündigen Generalstreik an.

thos