„Der Vorstand wurde der Öffentlichkeit geopfert“

Ex-Vorstandssprecher Rainer Trampert, Vordenker der Ökosozialisten, zur Abwahl des Bundesvorstands in Karlsruhe  ■ I N T E R V I E W

taz: Hat dich die Abwahl des Parteivorstands überrascht?

Trampert: Der Fakt selbst hat mich nicht so überrascht, an der Parteispitze sollte ja aufgeräumt werden. Überrascht hat mich, daß die ursprünglich geplante Neuwahl im April nicht abgewartet werden konnte. Überrascht hat mich auch der Grad an Niveaulosigkeit, mit der der Sturz geschah.

Aber warum wählt ein Parteitag, der bisher den Ökosozialisten und Radikalökologen immer zu einer Mehrheit verholfen hat, diesen Bundesvorstand plötzlich ab?

Die Bundesversammlung wollte auf der Vorstandsebene nachvollziehen, was sich in den Grünen schleichend durchgesetzt hat: das ist die Anpassung an den Staat, an seine Doktrin, an den Kapitalimus, an den Konsens der Demokraten und an deutsches Durchschnittsbewußtsein. Eine Ditfurth ist ein Dorn im Auge, wenn sie öffentlich sagt, sie habe abgetrieben - das paßt katholischen Wählern nicht. Die Entwicklung der Grünen letzter Zeit zeigte sich bereits an den Abgeordneten, die die Grünen überwiegend in die Parlamente wählten. Jetzt wurde die Korrektur auch auf Parteiebene vollzogen.

Aber vor gut einem Jahr hat Jutta Ditfurth auf eben dieser Bundesversammlung noch eine satte Mehrheit bekommen.

Die Grünen haben sich verändert, sie setzen heute auf eine andere grüne Partei. Heute propagieren der 'Spiegel‘ und auch andere Organe nicht mehr rot-grün. Heute besteht an den Grünen dieses funktionale Interesse nicht mehr, sie können kaputtgehen. Die Partei erlebt eine Phase des äußeren Desinteresses, das sich auch auf der Straße ausdrückt. Die Anpassung an diesen deutschen Durchschnitt hat die Grünen langweiliger gemacht. Gleichzeitig haken viele Linke, Autonome und Feministinnen die Grünen ab, als sozialdemokratische Wiederholung der Geschichte. In dieser Langeweile haben es Grüne schwer, Politik zu machen, und im Vergleich zu früher kommt die nackte Angst vor Wählerschwund hinzu. Deshalb mußte ein Opfer erbracht werden, in der Hoffnung, daß die Öffentlichkeit die Grünen anschließend wieder lieben würden.

Der Bundesvorstand stand der grünen Anpassung im Weg. Die Abwahl ist deshalb ein vorläufiger Sieg der Realos, eine Anpassung auf personeller Ebene, an eine Politik, die sich in den Grünen durchgesetzt hatte.

Nun gehst du über die gesamten Vorwürfe, daß der Parteivorstand mit finanziellen Unregelmäßigkeiten die Glaubwürdigkeit der Partei beschädigt hat, ziemlich hinweg.

Der Finanzskandal ist als „Skandal“ widerlegt. Das täuscht nicht darüber hinweg, daß der Parteivorstand auch Fehler gemacht hat. Ein Fehler war auch, daß er unter Druck kurzfristig versucht hat, die Schuld woanders zu suchen, statt zu sagen, wir haben die Steuern aus politischen Gründen nicht abgeführt. Aber über diese Fehler ist der Bundesvorstand nicht gestürzt. In anderen Zeiten wären die Grünen solidarischer mit ihrer Parteispitze umgegangen, wenn sie von außen so angegriffen worden wären. Die Sachverhalte selbst gaben für ihren Sturz nichts her, aber eine sachliche Widerlegung spielte keine Rolle. Gerade da macht sich die Niveaulosigkeit bemerkbar: Es wurden diejenigen abgewählt, die sich nicht bereichert haben, und diejenigen beklatscht, die bei den Grünen Karriere machen. Wenn der 'Spiegel‘ Skandal schreit, dann ist es egal, ob der 'Spiegel‘ recht hat oder nicht, es schadet in jedem Fall dem grünen Stimmenfang. Darum mußte ein Opfer gebracht werden. Der politische Skandal ist, daß rückdatierte Arbeitsverträge mit Flick und Lambsdorff verglichen wurden. So dumm kann kein Mensch sein, dahinter steckt Kalkül oder eine abgründige Staatsmoral.

Welche Perspektive gibt es künftig für die Ökosozialisten in den Grünen?

Neu ist, daß die undefinierbare Mitte, die bisher ausgleichendes Element gespielt hat, zu den Realos gewechselt ist, und das bei einer „Rechts-Entwicklung“ der Realos. Die Linken waren in den Grünen immer in der Minderheit, aber sie hatten im Programm und personell noch einen Anhaltspunkt für ihre Politik. Das hat einen deftigen Schlag bekommen. Wir müssen jetzt ein Signal setzen, damit Linke in den Grünen nicht einfach resignieren und wegbleiben. Wir werden deshalb im Januar unseren eigenen Kongreß machen. Wir brauchen mehr Eigenständigkeit für linke Politik, statt permanent auf die nächsten Schritte der Realos zu schielen. Es ist nicht sinnvoll, die Grünen den Realos und dem Machtzirkel „Aufbruch 88“ frei Haus zu servieren. Allerdings darf die grüne Partei für die Linke kein Selbstzweck sein. Sind die Grünen noch ein Faktor der Desintegration oder überwiegend ein Faktor der Integration der Gesellschaft, in diesen Staat und in den Kapitalismus? Sinken Linke in den Grünen in eine Rolle wie die der Jusos ab, oder nehmen sie noch bestimmend an der Ausrichtung der Partei teil? Diese Fragen müssen wir ehrlich beantworten.

Interview: Ursel Sieber