Betriebsversammlung der Gekürzten

■ Zum ersten Mal versammelten sich gestern die Angehörigen des „Zweiten Arbeitsmarktes“: Erwerbslose, ABMler, Umschüler und Ausbilder / Einig gegen AfG-Novelle / Urabstimmung über Streik vorgeschlagen

Rund 500 Angehörige des, wie es in der Begrüßungsrede hieß, „absonderlichsten Betriebes in Bremen“ (Dokumentation auf S.20) waren gestern nachmittag in die Aula des ehemaligen Alten Gymnasiums in die Dechanatstraße gekommen. In langen Bankreihen, auf Fensterbrettern sitzend und an den bröckelnden Putz der Schulwände gelehnt drängelte sich eine bunte Szene vom rauschebärtigen Alt-Freak über den smarten Alternativ-Kultur-Manager, die kurzgeschorene Feministin und eine Gruppe kaugummiblasender Jugendlicher bis hin zu ein paar Kindern und zwei Hunden, die zwischen den Beinen der Versammlung herumstreunten.

Erwerbslose, ABMler, TeilnehmerInnen an Ausbildungs-, Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen, deren LehrerInnen und Mitglieder vieler Initiativen hatten sich zur „Betriebsversammlung der Gekürzten“ getroffen. Alle haben sie Schlechtes von der gerade in Bonn verabschiedeten Novelle des „Arbeitsförderungs-Gesetzes“ (AfG) zu erwarten, und alle wollten sie die letzte Möglichkeit zum Protest vor der endgültigen Entscheidung im Bundesrat am 16. Dezember nicht ungenutzt verstreichen lassen. Und schließlich ging es ihnen auch darum, ihre Forderungen an die heute beginnenden Bremer Haushaltsberatungen aufzustellen.

„Soll Bremen nur noch eine Firma von Daimlers Gnaden sein, oder wollen wir uns ein Stück Lebensqualität erkämpfen?“ stellte Niko Diemer vom Netzwerk seine rhetorische Frage. „ABM war eine Krücke, mit der Bremens 300 bis 400 selbstverwaltete Projekte einigermaßen humpeln konnten; das ist jetzt vorbei“, faßte er die Folgen der AfG-Novelle zusammen und forderte unter großem Applaus: „Wir brau

chen eine Personalmittelfinan zierung aus Bremer Haushaltsmitteln.“

Weniger einig war sich die Versammlung, ob, wie Diemer es vorschlug, künftig „selbstorganisierte Projekte bei der ABM -Vergabe bevorzugt“ werden sollen. Schließlich waren unter den versammelten „Betriebsangehörigen“ auch viele MitarbeiterInnen und KlientInnen großer Weiterbildungsträger, z.B. des gewerk schaftlichen Berufsfortbil dungswerks (bfw).

Völlig gespalten war die Versammlung schließlich, als das CDU-Mitglied in der Arbeits-Deputation, Georg Urban, mit Blick auf die akademische ABM-Szene erklärte, er habe „kein Verständnis, daß in Bremen acht Prozent der Arbeitslosen 60 Prozent der ABM-Mittel verbrauchen“. Die Reaktionen schwankten zwischen lauten „Buh„-Rufen und wissend

nickenden Köpfen. Kurz zuvor hatte Urban noch alle Lacher auf seiner Seite, als er sagte: „Die CDU wäre wirklich bescheuert, wenn sie Frauen, Arbeitslose und sozial Benachteiligte ausgrenzen wollte.“ Doch genau dies sei das CDU-Konzept, berichtete Marieluise Beck-Oberdorf aus ihrer Erfahrung als grüne Bundestagsabgeordnete. Nicht nur die AfG -Novelle, auch die neuen Gesundheits- und Sozialgesetze zeigten: „Die CDU hat zwei bis vier Millionen Arbeitslose einfach abgeschrieben.“

Dennoch wurde dem CDU-Politiker zugute gehalten, daß er überhaupt erschienen war. Denn die ebenfalls eingeladenen Bonner Parlamentarier Richter (FDP), Koschnick und Grunenberg (SPD) fehlten ebenso wie VertreterInnen des Arbeitsressorts und des Bremer Parlaments. Nur der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Paul Tiefenbach war anwesend und forderte die „Betriebsversammlung“ auf, die Anträge seiner Partei zu einem Bremer „Ausgleichsgesetz“ für die AfG -Kürzungen „mit Aktionen zu begleiten“, wenn sie im Februar zur Debatte stehen.

Bis dahin wollte ein anderer Redner nicht warten. „In unserer Firma ist die Zeit reif für eine Urabstimmung über Streik“, rief er unter hunderte ABMler, UmschülerInnen und Erwerbslose klatschten.

Dirk Asendorpf