30 Millionen Dollar und ein Haufen Scheiße

Täglich fließen 300.000 Kubikmeter Scheiße ungeklärt in die Bucht Montevideos / 120-Millionen-Dollar-Klärprojekt vorläufig gescheitert  ■  Aus Montevideo Gaby Weber

Es geht um 30 Millionen Dollar und 300.000 Kubikmeter Scheiße, die täglich ungeklärt in die Bucht der uruguayischen Hauptstadt fließen: Wenige Meter von den zahlreichen Einmündungen der Kloaken entfernt wird im Sommer gebadet, obwohl die Strände stinken und an den Felsen Papier, Präservative, Damenbinden und Plastiktüten kleben. Der Gesundheitsminister des lateinamerikanischen Staates rät vor einem Sprung ins kühle Naß dringend ab. Darin schwimmen

-so haben die Messungen ergeben - 5.000mal mehr Kolibakterien, als für den menschlichen Organismus zulässig sei. Man riskiere Hirnhautentzündung, Hepatitis, Bronchitis, Durchfall und Hautausschlag.

Die Stadtverwaltung wollte die Haushaltsabwässer sammeln und sie mit einem 2.300 Meter langen Abflußrohr in den breiten Rio de la Plata leiten. Die Abfälle sollten durch ein Gitter gepumpt werden, dessen Maschen zweieinhalb Zentimeter Durchmesser haben. So wollte man verhindern, daß der Südwind die sperrigen Gegenstände wieder ans Ufer zurückweht.

Das Projekt ist die größte Investition in der Geschichte Montevideos. Die Gesamtkosten werden mit 120 Millionen Dollar veranschlagt. Zu wenig, sagt die Opposition, denn ein Gitter könne keine Kläranlage ersetzen. Beim heutigen Stand der Technik sei zumindest eine chemische Kläranlage notwendig oder sogar eine elektronische, mit der alle Mikroorganismen unschädlich gemacht werden könnten.

1985 wurde das Projekt ausgeschrieben, und der Auftrag für den Bau des 2.300 Meter langen Abflußrohres ging an die Firma „Hochtief“, die mit einem Kostenvoranschlag von 10,3 Millionen Dollar das billigste Abgebot eingereicht hatte.

Während alle anderen beteiligten Firmen ihre Vorarbeiten fristgemäß abgeschlossen haben, hat „Hochtief“ nach eigenen Angaben erst 300 Meter Rohr fertiggestellt. Das Rohr hätte vor über anderthalb Jahren fertig sein müssen, doch dann hatte das Essener Unternehmen angekündigt, daß es mindestens noch drei Jahre benötige. Für die Verzögerung macht Bauleiter Carlos Rohde „ungenügende Ausschreibungsunterlagen“ verantwortlich.

„Wir haben hier Bedingungen vorgefunden, mit denen wir nicht gerechnet haben“, behauptet der Deutsch-Argentinier. Wegen des schlechten Wetters habe man eine Ausfallzeit von 50 Prozent, während man von nur 30 Prozent ausgegangen war. Man habe eine Hubinsel und Schlepper herbringen müssen. Und bevor die Säulen konstruiert werden konnten, mußte man den Felsuntergrund analysieren; dazu waren mehr als dreißig Bohrungen bis in 60 Meter Tiefe notwendig.

Auch Arbeitskämpfe seien für die Verzögerung verantwortlich. Seit dem Beginn der Bauarbeiten im Juni 1986 gab es drei gewerkschaftliche Konflikte. Da auf vier Schiffen unter argentinischer und acht unter deutscher Flagge gearbeitet wird, verbot das Unternehmen seinen Arbeitern die Teilnahme an Streiks, da sie unter ausländischer Flagge tätig seien. Wer auf nationale Arbeitsgesetze poche und etwa tarifliche Sondervergütungen oder Arbeitsschutz einfordere, so heißt es aus Gewerkschaftskreisen, werde eben einfach entlassen. Zwar verlor „Hochtief“ die arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen, aber zumindest kann das Unternehmen jetzt zur Begründung der Verschleppung auch auf Streiks verweisen.

„Hochtief“ habe statt der veranschlagten 10 Millionen Dollar schon 30 Millionen in das Rohr gepumpt, argumentieren die Essener, und das wollen sie - bevor sie weiterbasteln von den Uruguayern bezahlt haben. Warum man in den Kostenvoranschlag nicht von Anfang an eine höhere Summe eingesetzt hatte? „Tja“, sagt Bauleiter Rohde knapp, „später kann man immer sagen, daß man es hätte von vorneherein wissen müssen.“ Wenn es keine Nachzahlung gebe, so hatte „Hochtief“ der Stadtverwaltung geschrieben, „bestehe die Gefahr, daß die Bauarbeiten unterbrochen werden“. Am Wochenende scheiterten indes die Verhandlungen zwischen „Hochtief“ und der Stadtverwaltung. Nun wird der Baumulti wohl das Handtuch werfen und für seine Bauruine die bereits beantragte Vertragsstrafe in Höhe von 3,3 Millionen Dollar bezahlen müssen.

Oberbürgermeister Iglesias säubert die Strände jetzt auf seine Weise: Die diesjährige Badesaison hat bereits begonnen, und es wird die letzte vor den nächsten Wahlen sein. Viele Uruguayer können sich einen teuren Urlaub außerhalb Montevideos nicht leisten. Für sie sind die städtischen Strände das einzige, weil kostenlose Vergnügen. Am 8. Dezember, am „Tag der Strände“, wird das Abflußrohr die Kloake statt der geplanten 2.300 Meter nur 300 Meter von der Pumpstation entfernt in den Rio de la Plata leiten. Zwar werden die Bakterien durch die Wirbel im Fluß, so haben sämtliche Untersuchungen ergeben, wieder zurück an die Strände gespült; allerdings werden die festen Gegenstände wie Kondome und Damenbinden durch das Maschengitter herausgesiebt. Die Strände werden also zumindest optisch sauberer.