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Jetzt, wo der Betrachter nackt ist

■ Nach dem Boom der männlichen Aktfotografie

Ulf Erdmann Ziegler

Für den großen Durch bruch der Männerfotografie steht Robert Mapplethorpe, der in den späten Sechzigern als Kunststudent in der 42.Straße Manhattans zum ersten Mal Pornohefte gesehen hatte und sich eingestehen mußte, „daß sie ihn mit soviel unmittelbar stärkerer Wucht trafen, als das je Kunst getan hätte“ (Sam Wagstaff im Katalog des Frankfurter Kunstvereins 1981). Die Konsequenz, die er nicht mehr als Maler, sondern als Fotograf zehn Jahre später zog, war, die Sexualität der Abgebildeten direkt zum Thema zu machen. Dabei hielt er einerseits an einer strengen graphischen Regie im Studio fest (klare Flächen, auffällige Horizontalen und Vertikalen), andererseits am Porträt. Ohne ihren Erfolg aufzuhalten, brachte diese Strategie die Bilder Mapplethorpes schnell an ihre ästhetischen Grenzen: Die Augen, die den Betrachter ansehen, waren die eines Individuums (nicht die eines „Modells“); der nackte Körper, der den Augen des Betrachters bis in die Pore hinein ausgeliefert wurde, war wie eine Ikone der Verführung. Kopf und Schwanz, im Bildrahmen zusammengepreßt, machten sich Konkurrenz.

Und doch - das war klar geworden - ist es möglich, Sex zu fotografieren, ohne sich mit den Reflexzonen des Hirnanhangs kurzzuschließen. Peter Hujar, parallel mit Mapplethorpe in New York aktiv (Ende der Siebziger), hat einige überzeugende Bildlösungen gefunden. Auf einem Foto sehen wir Carlos sich rücklings über einen Stuhl strecken, das Gesicht nach hinten ins Dunkel gekippt, die Beine weit von sich gestreckt. In der Bildmitte steht sein mächtiger steifer Schwanz. Einer, der sich so zeigt, erscheint gänzlich unberührbar. Er scheint gar nicht mehr „etwas“ auszustellen: das Etwas stellt ihn aus. Es ist nicht mehr Objekt von Lust, sondern scheinbar Subjekt eines Leidens, das dem Betrachter so fremd bleibt wie Carlos selbst.

Rücken wir einen Moment ab von den Spitzen der Nacktheit. In einer komplizierten Ballung dunkler Flächen erhellt mildes Tageslicht die Gesichter zweier Jungen von vielleicht sieben oder acht Jahren. Die Münder sind geöffnet, die Augen geschlossen. Ein Moment zwischen Kitzel und Verzückung, der ahnen läßt, wie sehr die beiden ihre eigenen Körper spüren, die übrigens, dunkel gekleidet und im Gegenlicht, die komplizierte Ballung erzeugen; so ist der Betrachter versucht, ihre Körper, Schwerpunkt jener Ekstase, als einen zu lesen.

Will McBride hat dieses Foto in den fünfziger Jahren in Berlin gemacht. Es findet sich gleich am Anfang seines Bildbandes Boys. McBride, geboren 1931, kam als GI ins Nachkriegsdeutschland und blieb als Fotograf. Fast jeder kennt den großen Aufklärungsbildband Zeig mal! (1974); aber das Boys-Buch erzählt nun eine persönliche Geschichte. Nach den Jungs in den Berliner Straßen die disziplinierten Zöglinge des Internats Salem, dann Jungenporträts und -akte aus den siebziger Jahren. So wie die Fotos geordnet sind, ist das erotische Interesse McBrides an den Jungen sofort deutlich. Aber erst die Endsechziger produzieren jene unbefangene Nacktheit, in der der Fotograf auf so bizarre Weise wildert, daß auch die Nackten die Würde Gekleideter „tragen“: Sie sind nicht Ware, sondern Individuen in einem größeren Geflecht, in dem auch die Kamera ihren Ort hat.

„Wenn ein Junge meinen Weg kreuzt, bleibe ich stehen, all meine Aufmerksamkeit ist auf das gerichtet, was er tut“, schreibt McBride. Freimütig gesteht er die Verliebtheit in die eigenen Söhne; und der Text legt nahe (ohne es auszusprechen), daß dies ihn später seine Familie gekostet haben könnte. Was folgt, ist nicht gerade ein exemplarisches Coming-out, sondern eher die bedrückende Geschichte eines Mannes, der sich für sein Begehren zu alt fühlt und der Jungen anzieht wie ein Magnet die Eisenspäne. Die Fotografien bewahren, bis weit in die siebziger Jahre, ein eigenartiges Geheimnis, das sich mit dem natürlichen Licht (die Figuren scheinen aus den Schatten heraus zu wachsen) und dem deutlichen Korn des Kleinbildformats unterschwellig verbindet. Erst in den achtziger Jahren, mit einem schwulen Paar, das gerade einem Rock-Video entstiegen zu sein scheint, verliert McBrides Blick an Kraft. Gleichzeitig verlieren sich die magischen Schatten. Die Suche nach dem erotischen Geheimnis der Jungen wird begraben von einer Offensichtlichkeit, die das Fleisch im Kilo zählt.

In den späten Sechzigern hatte das Nacktsein etwas Aufrührerisches; man ging nackt auf Demos und lud Fotografen ein, das „freie“ Leben in der Kommune zu illustrieren. Beim Woodstock-Festival, hat irgendein (wahrscheinlich nicht nur Augen-) Zeuge gesagt, war es leichter, jemanden zum Vögeln zu finden als ein Frühstück zu bekommen.

Carlos‘ Erektion, die Hujar (ich sage bewußt:) dokumentiert hat, ist schon unmißverständliches Zeichen eines neuerlichen Umschlags. Wer sich zeigt, ist auch der Beschaute. Beschaut zu werden ist Teil eines sexuellen Verhaltens, dessen Popularität nicht unterschätzt werden darf. Der Sex geht nicht auf in der politischen Kultur, er wird nicht „demokratisch„; schon gar nicht auf dem Weg der Verbreitung von Bildern: wo der Betrachter auch dann geschützt ist, wenn er selbst nichts anhat. Dieses Ungleichgewicht schwappt zurück ins Bild, bildet einen Sog von Verführung.

Und wer alles ins unbarmherzige Licht tritt: Fettleibige und Magersüchtige zum Beispiel kamen zu Rainer Leitzgen in sein Hamburger Studio. Jetzt sind wir allerdings bei Frauen. Später wird deutlich werden, warum Fotos von Männern allein nicht mehr Thema bleiben können.

Leitzgen läßt das Licht meist steil von oben kommen. In den Körper-Wölbungen frißt das Licht die Haut aus bis fast ans Weiß des Fotopapiers. Die Körper zerfallen in bisher unbekannte Partiale. Sie verlieren ihre Geschlossenheit, die man vielleicht am ehesten als Signifikant menschlicher „Würde“ gelten lassen würde.

Die Ästhetik des Häßlichen ist natürlich nicht Leitzgens Entdeckung. Gerade Frauenkörper sind in den letzten 20 Jahren schonungsloser als jemals zuvor zur Kenntnis genommen worden, bisweilen in erschreckenden Selbstporträts von Frauen (zum Beispiel Judith Black in: Minkkinen, New American Nuds). Nun waren das immer Angriffe auf den männlichen Betrachter, oder genauer: auf den männlichen Blick. Dazu gehörte immer, daß die Frau aus dem Bild herausschaute, daß man ihr Gesicht sah und dachte: eine gewöhnliche Frau. Kein Monster. Das Monströse, so sickerte langsam durch, sind die Haarzupfprozeduren, denen 'Playboy' -/'Cover'-/'Lui'-Modelle unterworfen werden. Das Monströse ist der Waren-Blick, der Frauen abcheckt wie Autos.

Von den weiblichen Akten der zwanziger und dreißiger Jahre (Man Ray, Edward Weston) übernimmt Leitzgen die Reduktion auf den Torso, aber die Körper sieht er mit der Schonungslosigkeit emanzipatorisch gemeinter Frauenakte. Es scheint, als käme der Jägerblick, der Frauen auf erotische Signale reduziert, nun doch (ganz langsam) an sein Ende (Rainer Leitzgen ist Jahrgang 1961).

Der große Boom männlicher Aktfotografie ist wohl erst einmal vorbei. Heterosexuelle Paare haben sich darüber verständigt, daß Schwänze zu beäugen für beide Seiten nichts Gefährliches ist. Nun haben die Verlage die Paare als Markt entdeckt, und so wird in den Bildern der Betrachter-Proporz hergestellt. Jedenfalls, wenn sich dieses Buch als wegweisend herausstellen sollte: Thomas, mach ein Bild von uns!, eine Chronik von Nacktfotografien, die Thomas Karsten von Freunden in ihren Wohnungen oder improvisierten „Studios“ gemacht hat. Dabei wechseln Kamerapositionen, Licht, Accessoires nach Belieben. Thomas Karsten ist als Fotograf allemal uninteressant.

Eines zweiten Blickes wert ist an diesem Buch einzig, mit welcher (tatsächlichen oder gespielten) Naivität die Modi kommerzieller erotischer Fotografie durchgespielt werden. Paare und einzelne zeigen sich mit einer Stellungslust, die an Turnerei grenzt. Männer, fast ausschließlich stehend abgebildet, begrapschen aufgedreht ihre Frauchen oder dienen nur als Hintergrundfigur, um der folgenden Serie, die nur noch die Frau zeigt, einen Hauch von Legitimation durch Parität zu geben. Die Frauen lassen sich in die uralten „Häschen„-Klischees drängen: Sie mimen Verträumtheit; sie lassen gaffen. Das Licht ist nur bei weitem nicht so raffiniert gesetzt wie in den aufwendigen Produktionen der Magazine, die Gesten nicht so trainiert und festgelegt: also intimer und somit sexueller. Das Grenzgängertum zur 'Playboy'-Parodie wird noch einmal betont durch die idiotischen Kommentare, die den Bildern beigegeben sind: „Je größer das Vertrauen zum Fotografen, um so eher lasse ich mich fotografieren“, sagt Anke, die dem Fotografen vertraut bis in die hohe Schwangerschaft. Die Sprüche suggerieren Authentizität, aber eigentlich werden die Fotografierten gerade dadurch zu Modellen, die dem Betrachter beim Glotzen über sein schlechtes Gewissen weghelfen sollen. Texte von Peter Brasch und Michael Rutschky geben dem Buch den seriösen Rahmen.

Nan Goldin hat mit ihrer Ballade der sexuellen Abhängigkeit die Kategorien psychologischer, sozialdokumentarischer und ästhetischer Menschenfotografie (mit Bezug zum Akt) gesprengt. Sie hat dort hineingeblitzt, wo Energiefelder aus Sucht und Sehnsucht sichtbar wurden. Es gibt keine versteckten psychischen Motive (auf Seiten der Fotografin); und so läßt sich diese Fotografie auch nicht mißbrauchen. Nan Goldin macht dann ihr Bild, wenn die Masken gefallen sind oder wenn die Masken als solche sichtbar werden. Die Spannung liegt nicht bei der Haut, sondern in der Situation. Sich selbst porträtiert die Fotografin als schwer Mißhandelte. Im Unterschied zu allen anderen hier besprochenen Fotografen und Fotografinnen macht sie ihre Bilder in Farbe. Jeder Raum erglüht in Schmuddelfarben. Überall ist Halbwelt.

Ist die Fremdheit der Geschlechter, das Unüberwindbare erst einmal eingestanden, verändert sich auch das Muster sexueller Anziehung. Suzanne E.Pastors Fotos - es sind nur fünf in Frauen sehen Männer, leider - legen einen solchen Wandel nahe. Sie zeigen den männlichen und den weiblichen Körper dicht beieinander, in eigentümlicher Verschränkung. Das Miteinander erscheint gänzlich beruhigt (in sich geschlossen, ohne Appell), biologisch fast. Zum Vergleich der unsägliche Thomas Karsten: Wie er die Pärchen vorführt, legt er sie fest auf heterosexuelles Begehren, geübte Muster, das Kleinfamilienidyll. Suzanne E.Pastor (geboren 1952 in Chicago, jetzt in Köln lebend) zeigt die Innenansicht des Begehrens, die sich der gesellschaftlichen Kontrolle weitgehend entzieht. Fast will es scheinen - und sei es nur in einem Moment der Erschöpfung - daß ein jahrtausendealter Kampf zu Ende sei. Die Gleichgültigkeit ähnelt der Zärtlichkeit. Aber vergessen wir nicht: Es sind Bilder.

Besprochene Bücher:

Frauen sehen Männer,

Hrsg. Peter Weiermair, Edition Stemmle 1988, 98 Mark

Männer sehen Männer,

Hrsg. Peter Weiermair, Edition Stemmle 1987, 98 Mark

44 Works,

Rainer Leitzgen, Greno 1987, 88 Mark

Boys,

Will McBride, Bucher 1986, 38 Mark

Thomas, mach ein Bild von uns!,

Thomas Karsten, Bucher 1988, 38 Mark

Die Ballade der sexuellen Abhängigkeit,

Nan Goldin, Zweitausendeins 1987, 33 Mark

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