Lenin-Platz in Baku geräumt

■ Lage in Aserbeidjan und Armenien weiterhin gespannt / Flüchtlingsströme halten an Ausgehverbot in 14 Regionen Armeniens / Debatte unter sowjetischen Historikern

Moskau (ap/afp/taz) - Auch nachdem der Lenin-Platz in der aserbeidjanischen Hauptstadt Baku in der Nacht zum Dienstag „aus hygienischen Gründen“ von Demonstranten „geräumt“ wurde, blieb die Lage nach Informationen sowjetischer Medien in der gesamten Region weiterhin gespannt. Seit Wochen hatten dort immer wieder Hunderttausende von Aserbeidjanern gegen die Angliederung der mehrheitlich von Armeniern bewohnten aserbeidjanischen autonomen Provinz Berg-Karabach demonstriert. Jugendliche hatten auf dem Platz Lager aufgeschlagen und dort übernachtet.

Gestern noch wurde in den Schulen und Universitäten gestreikt. Am Montag habe das Militär Warnschüsse gegen eine „randalierende Menge“ abgegeben, nachdem ein Medizinstudent und drei Soldaten verletzt worden waren, berichtete die Moskauer Wirtschaftszeitung 'Sozialistitscheskaja Industrija‘ in ihrer gestrigen Ausgabe. In Armenien habe es sogar Tote gegeben, berichtete das Blatt, ohne aber nähere Angaben zu machen. Vor allem in den armenischen Regionen Kalinin, Masis und Gugark, in denen auch Aserbeidjaner wohnen, sei die Lage äußerst gespannt. Deshalb hätten die Behörden am Montag ab 23 Uhr in 14 Regionen Armeniens ein Ausgehverbot in Kraft gesetzt und über das Gebiet um die nördliche Provinzstadt Kirowakan einen „Sonderzustand“ verhängt. Das Gebiet untersteht einem Militärkommandanten.

Nach offiziellen Angaben vom Dienstag sind bereits 130.000 Aserbeidjaner aus Armenien nach Aserbeidjan geflüchtet. Umgekehrt überquerten 80.000 Armenier aus Aserbeidjan die Grenze in Richtung Armenien.

Parteichef Gorbatschow hatte am Montag mitgeteilt, daß alle Parteiführer und Unternehmen in Armenien und Aserbeidjan „gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden“ sollen, die „Massenentlassungen auf Grundlage der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe vorgenommen haben.“

Die Auseinandersetzung der beiden Völker hat inzwischen zu einer heftigen Debatte unter sowjetischen Historikern geführt. Während armenische Wissenschaftler den aufkommenden „Pan-Turkismus“ in Aserbeidjan kritisieren und behaupten, die Region Berg-Karabach sei schon seit Jahrhunderten christlich und armenisch gewesen, versuchen aserbeidjanische Wissenschaftler die Ansprüche ihrer Republik auf die Region ebenfalls mit geschichtlichen und religionshistorischen Argumenten zu untermauern. Während in Aserbeidjan die Moskauer Entscheidung, die Region Berg-Karabach bei Aserbeidjan zu lassen, begrüßt wird, bezeichnen sie die Armenier als „schweren Schlag gegen die Gefühle der Armenier“.

er