Stillgelegtes AKW: Stromkunden über Briefkastenfirma zur Kasse gebeten

■ Stromkunden zahlen für Mißmanagement und Rechtsverstöße beim Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk / Dubiose Firmenkonstruktion soll die Betriebsverluste aus der Stillegung des AKW auffangen / Grüne verlangen Sonderprüfer beim RWE

Berlin (taz) - Auf zwei Millionen Mark hat das Deutsche Atomforum die Stillstandskosten pro Tag für ein Atomkraftwerk von 1.300 Megawatt beziffert. Am 9.September dieses Jahres wurde das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich per Gerichtsbeschluß ausgeknipst. Das sind 90 Tage Stillstand. Macht 180 Millionen Mark. Jede Schadenfreude über diese Betriebsverluste sind allerdings fehl am Platz. Der Essener Stromkonzern Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE), der Betreiber des rechtswidrig genehmigten und deshalb stillgelegten Atomkraftwerks, hat sich abgesichert. Eine Luxemburger Briefkastenfirma garantiert, daß die Betriebsverluste auf den Strompreis aufgeschlagen und am Ende den Haushalten aufgedrückt werden. Aber der Reihe nach.

Alle Jahre wieder steht dem Essener Stromkonzern Rheinisch -Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE) ein Atomskandal ins Haus. 1987 weitete sich die Transnuklear-Affäre bis zum Hanauer Urangate - 1988 entzog der hessische Umweltminister auf Weisung des Bundesumweltministers der RWE-Tochter Nukem die Betriebserlaubnis. Jetzt wurde der Vertuschungsskandal um das vom RWE betriebene AKW Biblis aufgedeckt. Doch das beim RWE für das Atomgeschäft verantwortliche Vorstandsmitglied Spalthoff kam bislang mit einem blauen Auge davon.

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht im September die 1.Teilerrichtungsgenehmigung (TEG) für das vom RWE gepachtete Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich aufgehoben hat, kommen auch die finanziellen Dimensionen des Projekts ins Gerede. Ein Milliardengrab tut sich auf. Mit Investitionskosten von mehr als fünf Milliarden Mark ist Mülheim-Kärlich ohnehin das mit Abstand teuerste AKW in der Bundesrepublik. Dazu entstehen Bauzinsen von mehr als drei Milliarden Mark. Dazu kommen jetzt die Stillstandskosten (s.o.).

Jetzt gaben die grünen Stadträte unter den kommunalen Aktionären des RWE den Startschuß für die Kampagne „Einsetzung eines Sonderprüfers beim RWE-Vorstand“. Wie ihre Sprecherin Renate Berger mitteilte, soll der Verantwortliche für dieses Mißmanagement namhaft gemacht werden. Außerdem will Renate Berger, die als einzige Grüne im „Verband der kommunalen Aktionäre des RWE“ sitzt, den für RWE-Stromtarife zuständigen nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Jochimsen auffordern, keine Strompreiserhöhungen des RWE zu genehmigen, die Verluste aus diesem AKW enthalten.

Mülheim-Kärlich steht seit der Inbetriebnahme 1986 nun schon zum zweiten Mal still, möglicherweise endgültig. Wenn es nach dem Willen der Opposition geht, ist das Kraftwerk „nicht mehr genehmigungsfähig“. Die Berliner Richter haben erstmals in der Bundesrepublik eine erste Teilgenehmigung kassiert, weil das Verwaltungsverfahren des rheinland -pfälzischen Umweltministers fehlerhaft war und weil eine Teilerrichtungsgenehmigung erteilt wurde, obwohl die Planung der Anlage noch gar nicht abgeschlossen war. In dem Verwirrspiel der verschiedenen Teilerrichtungsgenehmigungen wurde wissentlich ein völlig anderes Konzept genehmigt, das der tatsächlich errichteten Anlage nicht entsprach. Dies wurde zudem an einem anderen Standort als dem genehmigten gebaut. Diese Mängel wurden zwar schon elf Tage nach Erteilung der 1.TEG nachgebessert, was bei den Richtern den Verdacht der Kungelei zwischen RWE und Landesregierung Rheinland-Pfalz hervorrief, aber es wurde ein Reaktordruckbehälter eingebaut, der noch Teil des alten Konzepts war, und dessen Stahl heute nicht mehr dem geforderten Stand der Technik entspricht.

RWE scheint sich frühzeitig über die Schwächen dieses Konzepts im Klaren gewesen zu sein, denn bereits zwei Jahre nach der Auftragsvergabe für den Bau der Anlage wurde das Eigentum auf die Societe Luxembourgeoise de Centrales Nucleaires (SCN) übertragen. Die SCN ist eine eigens für diesen Zweck von RWE und seinen Hausbanken Deutsche Bank und Dresdner Bank sowie der Schweizerischen Kreditanstalt gegründete Firma mit Sitz in Luxemburg. Dieser Schritt ermöglichte den Bau des Reaktors vor allem mit Fremkapital, verteilte das finanzielle Risiko, und RWE konnte die Baukosten bereits vor der Inbetriebnahme auf die Strompreise abwälzen.

Außerdem wollten sich die SCN-Aktionäre auch dann Gewinne aus dem Reaktor sichern, wenn er verspätet oder nie ans Netz ginge. Der Trick besteht in juristischen Vertragskünsten: RWE pachtete die Anlage von SCN zurück und übernahm zu eigenen Ungunsten alle Verantwortung für den Bau und die fristgerechte Fertigstellung. Der Clou des Pachtvertrages: der Pachtzins ist ohne Rücksicht auf den Betrieb des AKWs zu zahlen.

Folglich überwies RWE der SCN seit 1981 rund fünf Milliaren Mark Pacht, obwohl der Reaktor erst 1986 vorübergehend ans Netz ging. Allein für die Fristüberschreitung der Fertigstellung, zugesagt war der 31.12.1979, zahlte RWE an seine eigene Tochter 50 Millionen Mark Konventionalstrafe. Der Strommonopolist kann sich diese „Kosten“ als Betriebsausgaben von der Aufsichtsbehörde für die Stromtarife, dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister, bestätigen lassen und so auf die Stromkunden umlegen.

An seine Aktionäre verteilte die SCN für den noch nicht fertiggestellten Reaktor bereits rund 100 Millionen Mark Dividende. Für das aufgenommene Fremdkapital wurden bis heute an die Banken und andere Darlehensgeber rund 1,8 Milliarden Mark Zinsen gezahlt.

Auch wenn der Pachtvertrag zum nächstmöglichen Termin gekündigt wird, steckt hinter dieser einträglichen Umverteilung ein gigantischer Finanzskandal, gegen den sich der RWE-Transnuklear-Skandal vom letzten Jahr, wie die Grünen behaupten, als Griff in die Portokasse erweist. RWE hat nämlich den ursprünglich auf 13 Jahre begrenzten Pachtvertrag vorzeitig um weitere drei Jahre verlängert. Das sichert der SCN bis Ende 1997 mindestens weitere 6,3 Milliarden Mark an Pachteinnahmen. Die Stromkunden sollen also über die Tarife insgesamt elf Milliarden Mark für Mülheim-Kärlich blechen. Anders als in den USA, wo Stromversorgungsunternehmen Kosten, die durch Managementfehler verursacht wurden, im Strompreisverfahren nicht genehmigt bekommen, braucht RWE bislang die finanziellen Folgen für das Mißmanagement beim teuersten AKW der Republik nicht zu tragen. Ganz im Gegenteil, auch wenn der Reaktor nie wieder ans Netz geht, erbringt er dennoch über die Luxemburger Tochter mehrere hundert Millionen Mark Gewinn. Und das rechtfertigt wohl die 299.525 Mark Personalkosten für drei Mitarbeiter in der rue Pierre d'Aspelt 2, die die Bilanz der SCN ausweist.

AG Atomindustrie, Berlin