: Nato-Außenminister beraten Modernisierung
Nato-Gesamtkonzept unter den 16 Mitgliedsstaaten noch umstritten / Bundesregierung vertuscht öffentlichkeitswirksam ihre grundsätzliche Zustimmung zu effektiveren Waffensystemen / Verschrottete Pershings und Cruise Missiles sollen ersetzt werden ■ Von Andreas Zumach
Genf (taz) - Die Außenminister der westlichen Militärallianz kommen heute und morgen zu ihrer Herbsttagung in Brüssel zusammen, um über den ersten Zwischenbericht zum geplanten Nato-Gesamtkonzept zu beraten. Auf dem Gipfeltreffen zum 40.Jahrstag der Nato-Gründung im Mai oder Juni 89 in London soll das „Gesamtkonzept“ dann verabschiedet werden. Nach wie vor umstritten sind Inhalte und Schwerpunktsetzung des Dokuments sowie seine Funktion für die NATO-interne wie öffentliche Durchsetzung atomarer Aufrüstungsentscheidungen im Jahr 1989 beziehungsweise nach der Bundestagswahl im November 1990. Nato-Generalsekretär Wörner hat intern eingeräumt, daß sich die 16 Allianzmitglieder auf ein politisch-strategisches Konzept für die Nato der neunziger Jahre, das auch als Antwort auf Gorbatschows Abrüstungsvorschläge angekündigt war, nicht einigen können und nur ein im wesentlichen militärtechnisches Dokument vorlegen werden.
Das „Gesamtkonzept“ wird die Notwendigkeit der Allianz Westeuropas mit den USA und die Beibehaltung der atomaren Nato-Strategie der „Flexible Response“ sowie die „unveränderte massive Überlegenheit“ des Warschauer Paktes feststellen. Weiter wird die künftig angestrebte Mischung der verschiedenen Waffensysteme und ihrer Reichweiten vor allem im atomaren Bereich beschrieben, die „Modernisierung“
-sprich Anschaffung effektiverer Waffen - begründet, die Ausmusterung alter Systeme als „Abrüstung“ proklamiert und aus all dem die Nato-Position bei den Rüstungskontrollverhandlungen abgeleitet.
Mit ihrem Argument, Entscheidungen über neue atomare Waffensysteme sollten „nicht isoliert“ getroffen werden und könnten erst „nach Vorlage des 'Gesamtkonzepts‘ fallen“, versucht die Bundesregierung seit geraumer Zeit, die Öffentlichkeit über ihre längst erfolgte grundsätzliche Zustimmung zur Einführung und Entwicklung flugzeuggestützter Abstandswaffen sowie des atomaren Nachfolgesystems für die bodengestützte Lance-Kurzstreckenrakete des ATACMS-Systems, hinwegzutäuschen. Der Hinweis, daß das „Gesamtkonzept“ noch nicht fertig gestellt sei, diente in den letzten zwölf Monaten lediglich dazu, die von den USA, Großbritannien und Wörner angemahnte Nato-Entscheidung zur Stationierung der ATACMS-Systeme in der Bundesrepublik und anderen westeuropäischen Staaten ab 1995 hinauszuschieben. Die Entscheidung ist Voraussetzung dafür, daß Haushaltsgelder für die Serienproduktion der ATACMS durch den US-Kongreß bewilligt werden. USA und Großbritannien erwarten, daß die Bundesregierung mit der Vorlage des „Gesamtkonzeptes“ 1989 ihre Zustimmung zur Raketenaufstellung verbindet. Nach Informationen aus der britischen Delegation beim EG-Gipfel auf Rhodos hat Kohl Thatcher dies bereits zugesagt. Zwecks Vermeidung öffentlicher Auseinandersetzungen in den Stationierungsländern hat Generalsekretär Wörner intern angeregt, die NATO-Entscheidung nicht so „spektakulär“ zu treffen, wie den „Doppelbeschluß“ im Dezember 1979. Der Entschluß könne im Zusammenhang der - geheimen - Festlegung der Streitkräfteziele auf den Sitzungen der Nuklearen Planungsgruppe Ende April oder Ende Oktober 89 fallen.
In eben diesem Rahmen hatte die Bundesregierung im April dieses Jahres der Entwicklung des ATACMS-Systems zugestimmt. Widerspruch kommt noch von Außenminister Genscher, der für Verhandlungen mit der UdSSR über die bodengestützten Kurzstreckenraketen und eine Entscheidung über die Stationierung der LANCE-Nachfolger frühestens 1991 plädiert. Auch ein völliger Verzicht auf die Kurzstreckenraketen, die für die atomare Abschreckung weniger relevant sind, wird im Außenministerium nicht ausgeschlossen. Gegen die Stationierung von Abstandswaffen mit 1.500 Kilometern Reichweite auf US-Flugzeugen in der BRD, der eigentlichen Kompensation für die Pershing II und Cruise Missiles, hat auch Genscher keine Einwände. Diese Aufrüstungsmaßnahme werde auch ohne Zustimmung der Bündnispartner durchgeführt, hatte US-Verteidigungsminister Carlucci auf der Nato-Tagung Ende Oktober in Scheveningen erklärt - bislang ohne Widerspruch.
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