„Wir haben die Sache im Griff“

Christian Rettweiler, Betriebsratsvorsitzender im AKW Biblis, über den ein Jahr lang geheimgehaltenen Störfall  ■ I N T E R V I E W

taz: Das Betriebspersonal in Biblis übersah ein falsch geöffnetes Ventil und ignorierte fünfzehn Stunden lang eine Warnleuchte. Und das, nachdem die Internationale Atomenergie -Agentur (IAEA) 1986 die Belegschaft zum „ausgezeichneten Sicherheitsbewußtsein“ beglückwünscht hatte.

Rettweiler: Dies kann ich nur unterstützen. Unsere Mannschaft muß jedes Jahr 100 Stunden ausgebildet werden, zusätzlich eine Woche Simulatorkurs. Trotzdem hat man ein Signal übersehen oder nicht so ernst genommen. Das besagt deutlich, daß menschliches Fehlverhalten nicht auszuschließen ist. Dafür gibt es dann technische Einrichtungen, die schlimme Folgen verhindern.

Der Betreiber hat den Störfall in die unterste Kategorie eingestuft. Später kamen die Behörden zum Schluß, es handele sich um einen gravierenden Fall. Ist der Belegschaft das nicht bewußt gewesen?

Wir haben im Januar auch im Betriebsrat darüber mit unseren Fachleuten gesprochen und kamen zum gleichen Ergebnis wie die Geschäftsleitung: Der Vorfall ist nicht so hoch einzustufen. Ein Rückschlagventil ist nicht ganz zu gewesen. Daraufhin ist in geringem Maße Aktivität freigesetzt worden. Vorsichtshalber ist die Behörde am 22.12. informiert worden. Nach mehreren Monaten Beschäftigung sind die Beamten zum Schluß gekommen: bei Versagen anderer Absperrarmaturen hätte Schlimmeres passieren können. Aber dafür sind die Anlagen ja ausgelegt.

Wann ist denn die Belegschaft über die Fehleinschätzung des Betreibers informiert worden?

Als die Behörde so im März Bedenken geäußert hatte, ist bei uns nachgerüstet worden: es wurden Verriegelungen eingebaut. Dem Personal hat man gesagt, die Sache sei wahrscheinlich doch ernster als angenommen. In allen Kernkraftwerken ist das Thema nochmal durchgesprochen worden. Wohlgemerkt, wir haben die Sache in den Griff bekommen. Aber ein bißchen überrollten uns die Ereignisse. Die jährliche Informationsveranstaltung des RWE für die Bibliser Bevölkerung über Vorkommnisse steht heute abend an. Es war von vornherein geplant, die Leute heute zu informieren.

Wie bitte? Der Störfall ereignete sich im Dezember vergangenen Jahres.

Nochmal, als früherer stellvertretender Schichtleiter sehe ich die Sache nicht als so schwerwiegend an. Über alles ist ordnungsgemäß informiert worden. Darauf achten wir als Betriebsrat, das sind wir unseren Beschäftigten schuldig. In unserem Geschäft kann man nichts verschweigen.

Offenbar doch.

Nein, es ist nichts verschwiegen worden.

Monatelang haben RWE, Aufsichtsbehörden der Bundesländer und Sachverständige dichtgehalten. Wenn der amerikanische Artikel nicht erschienen wäre, wüßte die Öffentlichkeit bis heute nichts.

Doch, es ist in Fachzeitschriften veröffentlicht worden. Man kann sich drüber streiten, ob die Information direkt nach draußen hätte gegeben werden sollen. Ich bin auch für mehr Information.

Eine Aktion „Gläserner Brennstab“, daß heißt prinzipiell Information der öffentlichkeit über jeden Unfall, läge doch auch im Interesse der Beschäftigten.

Selbstverständlich. Wir haben die Geschäftsleitung gebeten, die Informationen, die an die Behörde gehen, an die Fraktionsvorsitzenden und den Bürgermeister zu geben. Und der kann jederzeit zurückfragen. Nach einer entsprechenden Zusage der Geschäftsleitung funktioniert das seit dem letzten halben Jahr.

Gegenüber der IAEA müssen die Betreiber alle Unfälle melden. Dieses „incident reporting system“ ist geheim. Wäre es nicht sinnvoll, die Geheimhaltungsvorschrift aufzuheben?

Da stoßen Sie bei mir auf offene Ohren. Das kann unser gesamter Betriebsrat unterstützen.

Gespräch: Petra Bornhöft