Störfälle auch im Schrottreaktor Stade

Störfall bei Schnellabschaltung der Turbinen / „Vorläufer eines schweren Unfalls“ / Grüne und SPD verlangen Stillegung / Remmers: Vorfall nicht vertuscht  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Während gestern Bundesumweltminister Töpfer auf der Kabinettsitzuing in Bonn vom Bundeskanzler angewiesen wurde, die Ministerrunde in der nächsten Woche über den Störfall in Biblis zu unterrichten, trat in Niedersachsen Umweltminister Remmers vor den Landtag. Er mußte gleich über zwei schwerwiegende Störfälle im Atomkraftwerk Stade mußte Niedersachsens Umweltminister Werner Remmers den Landtag in Hannover gestern in einer Regierungserklärung informieren. Bereits im Mai dieses Jahres ist dem auch als „Schrottreaktor“ titulierten AKW kam es dort im Speisewassersystem zum Bruch einer Zuführungsleitung. Im September dann bei einer Turbinenschnellabschaltung zu gefährlichen Bewegungen der Frischdampfleitungen des Reaktor. Man Habe an diesen Frischdampfleitungen, die aus dem Reaktorgebäude heraus zur Turbine führen, „Auslenkungen von mehr als 20 cm“ festgestellt, erklärte vor der Presse gestern der Leiter der Kernenergieabteilung im Umweltministerium Horst zur Horst. Der hannoversche Physiker Helmut Hirsch, der im vergangenen Jahr im Auftrag der Grünen die Schwachstellen des AKW Stade untersucht hat, bezeichnete gestern den Störfall im Mai als „ernstzunehmendes Ereignis“. In den Vibrationen und Bewegungen an den Frischdampfleitungen des AKW s sieht der Wissenschaftler von der hannoverschen Gruppe Ökologie sogar „Vorläufer für einen schweren Unfall“.

Die Grünen und die SPD verlangten in der gestrigen Landtagsdebatte erneut die Stillegung des Stader Schrottreaktors. Für Umweltminister Remmers jedoch gibt es „weiterhin überhaupt keinen Grund den Reaktor abzuschalten“. Remmers wehrte sich auch gegen die Vorwurf, der Stader Störfall sei im Herbst ähnlich wie im Fall des hessischen AKW s Bilblis A geheimgehalten oder vertuscht worden. Dies hatte der Schleswig-Holsteinische Umweltminister Günther Jansen bereits am Dienstagabend in einen Interview des NDR -Fernsehens behauptet. Remmers konnte ... allerdings gestern auf Pressemitteilungen des Stade -Betreibers PreussenElektra hinweisen, mit der bereits Ende November kurz über Bewegungen an den Rohrleitungen des AKW's informiert worden war.

Wegen des Stader Störfalls, bei dem im Mai eine 25 -Millimeter-starke Zuleitung im Speisewassersystem gerissen war, hat das Umweltministerium bereits im Juni ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die für Stade Verantwortlichen der PreussenElektra eingeleitet. Der Störfall war von den Kraftwerksbetreibern vorschriftswidrig nicht sofort als Eil-Störfall, sondern erst binnen Wochenfrist als normaler Störfall gemeldet worden.

Unklar blieb gestern noch, welche Menge des Wassers, mit dem der Dampferzeuger des Kraftwerks gespeist wird, bei diesem Ereignis ausgelaufen sind. Nach Angaben von Horst zur Horst bestand bei diesem Störfall keine ernsthafte Gefährdung, weil der Reaktor zu diesem Zeitpunkt ohnehin nur mit 10 Prozent seiner Leistung gefahren worden sei.

Den erheblichen Bewegungen an den Frischdampfleitungen des Atomkraftwerks kommt nach Aussage der Grünen und des Physikers Helmut Hirsch deswegen solche Bedeutung zu, weil bei einem Bruch der schon immer als marode kritisierten Frischdampfleitungen diese sich nicht absperren lassen. Bei einem solchen Frischdampfleitungsbruch, so sagte gestern Helmut Hirsch, bestehe sehr wohl die Möglichkeit, daß über Lecks im Wärmetauscher des Kraftwerkes der radioaktive Dampf aus dem Primärkreislauf in die Umgebung entweiche. In diesem Falle werde die Bevölkerung über die nach der Strahlenschutzverordnung zulässigen Grenzwerte hinaus radioaktiv belastet.

Umweltminister Werner Remmers bestätigte gestern noch einmal, daß Stade mit den entsprechenden Absperrvorrichtungen, die einen solchen Unfallverlauf verhindern, erst noch ausgerüstet werden soll. Die durch Druckschwankungen ausgelösten Bewegungen an den Frischdampfleitungen hat das Umweltministerium nach eigenen Angaben inzwischen wieder unter Kontrolle.

Nach verschiedenen Probeläufen, für die das AKW am Buß- und Bettag eigens abgeschaltet worden war, habe man die Steuerung von Ventilen und Pumpen verändert und dadurch das Problem beseitigt, erklärte gestern der Leiter der Kernabteilung zur Horst.

Nach Angaben der Grünen sollen Mitarbeiter des TÜV -Norddeutschland schon früher eine Abschaltung des Reaktors wegen der Bewegungen an den Leitungen verlangt haben.