Weihnachten im Sultanspalast

■ In BHV schleicht sich das Stadttheater mit dickem Koch, schlafenden Palastwachen und kleinem Muck in die Herzen des Nachwuchs und des weihnachtlich gestimmten Rezensenten

Die Tradition ist mindestens 43 Jahre alt. Als das Nachkriegstheater im Herbst 1945 eröffnete, gab es im nordürftig eingerichteten Ersatzhaus (der Musentempel war zerstört) zum Auftakt „Nathan der Weise“ und zur Weihnachtszeit ein Märchen. Auch 1945 genoß der Rezensent das schöne Spektakel und mehr als das Stück (die Inszenierung) ließ er einfach die Kinder zu Wort kommen. In der zerstörten Stadt, unter hungrigen Menschen war das Theater die erste Abwechselung.

Und obwohl sich alles geändert hat, sitzen im Dezember 1988 fünfhundert Kindert im Großen Haus des Stadttheaters zu Bremerhaven, zwitschern, wispern, flöten, pfeifen und werden still, als es im Saal dämmert, ein Sternenhimmel aufzieht, und eine orientalische Stadtlandschaft hinter dem Vorhang erscheint. Theater in der Vorweihnachtszeit - mit einer richtigen Pause, fünf Bildern davor, zwei danach, mit

ausgiebig genutzter Drehbühne, dem gesammelten orientalischen Kleiderarsenal, Sphärentönen und mittendrin Ines Arndt, eine große Frau als Kleiner Muck. Das Stadttheater, wenig glücklich mit den ersten Schauspielinszenierungen unter dem neuen Intendanten, hat keinen Aufwand gescheut, um die jungen Märchengäste anzusprechen. Die schreien dann auch „Buuuh“, wenn sie protestieren sollen, „hauruck“, wenn der kleine Muck Hilfe braucht, und „aufwachen“, wenn die Palastwachen schlafen.

Rainer Steinkamp gibt Wilhelm Hauffs Märchen als fröhliche Klamotte für Kinder, mit prächtiger Kulisse und betont komödiantischen Nummern, unter denen der dicke Chefkoch (Hanno Wingler) und die schläfrigen Wächter (Bernhard Koessler-Dirsch und Dietmar Voegler) den größten Zuspruch fanden.

Zum Glück sind Kinder unberechenbar lebhaft und noch immer Experten in Sachen Mär

chen: Sie rieten Muck zu den richtigen Früchten, als er schon zu den falschen gegriffen hatte und dafür lange Ohren bekam, lautstark bewunderten einige den aufgehenden Mond, und als Muck im Sultanspalast um seinen Zauberstab gebracht wird, ruft jemand: „Laß es doch mal regnen.“ Natürlich regnet es nicht, aber Muck hatte die Kinder für sich eingenommen, und als es zum guten Ende kommt und der Vorhang fällt, stürmen sie aus dem Theater nach draußen in die Busse und lassen im Nieselregen einen weihnachtlich gestimmten Rezensenten zurück, der sich fragt, worüber die 5- bis 10jährigen jetzt sprechen werden, denn ihr fachmännisches Urteil über Muck, den Sultan, die Kulissen und das ganze orientalische Spektakel hätte er gern noch gehört.

Hans Happel

Stadttheater BHV (Großes Haus): 9.,11.,12.,14.,16.,18. 23.12 (tägl.), jeweils 9.30 + 11.30, So 11 h