Giftmüll: weg oder nicht weg?

Ein bahnbrechendes Urteil des Hannoveraner Verwaltungsgerichts zur Giftmülldeponie Münchehagen führt allerorten zu Verwirrung: der Müll soll weg, aber keiner weiß wohin, und möglicherweise bleibt alles wie es ist  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

„Ein richtungsweisendes Urteil“, mit dem erstmals der Anspruch der Anwohner auf Beseitigung einer illegalen Giftmülldeponie anerkannt werde, so kommentierte der Berliner Rechtsanwalt Rainer Geulen. Das Verwaltungsgericht Hannover erklärte am Montag die Genehmigung für die in der niedersächsischen Gemeinde Rehburg-Loccum gelegenen Deponie Münchehagen „für nichtig“. Trotzdem herrscht allerorten Verwirrung.

Für die „Standortgemeinde“ Rehburg-Loccum, die benachbarte nordrhein-westfälische Stadt Petershagen und den Landwirt Heinrich Brammer, der einen verseuchten Wald direkt an der Deponie sein eigen nennt, hatte Rechtsanwalt Rainer Geulen auf die totale Beseitigung, die „Auskofferung“ der Giftmüllkippe geklagt, auf der unter anderem mehrere tausend Tonnen hochgradig mit Seveso-Dioxin belastete Chemieabfälle lagern. Die 2. Kammer des Verwaltungsgericht hat zwar die sogenannte „Plangenehmigung“, mit der die Bezirksregierung Hannover im Jahre 1976 einige Monate nach Ernst Albrechts Amtsantritt den Deponiebetrieb errichtete, für rechtswidrig und nichtig erklärt und auch den Anspruch der Kläger auf Beseitigung der gesamten Deponie dem Grunde nach anerkannt. Die Behörden zur sofortigen Beseitigung der seit 1983 stillgelegten Deponie zu zwingen aber sei unmöglich, meinten die Richter, da keine andere Deponie vorhanden sei, wo man den Münchehagener Müll lagern könne.

Die Plangenehmigung für die Deponie aus dem Jahre 1976 haben die Verwaltungrichter nicht nur deswegen für rechtswidrig erklärt, weil schon damals für die Giftmülldeponie ein Planfeststellungverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit gesetzlich vorgeschrieben war. Das Gericht kritisierte auch, daß man sich für diese Plangenehmigung allein eines alten geologisches Gutachten bediente, die Einlagerungsbedingungen in der pauschalen Genehmigung nicht festlegte und daß man später auch außerhalb des genehmigten Bereiches Giftmüll einlagerte. Obwohl das Gericht alle seit 1976 für Münchehagen erteilten Genehmigungen für nichtig erklärte, schlossen die Richter trotz des „Folgenbeseitigungsanspruches“ der Kläger nicht aus, daß die 500.000 Tonnen Giftmüll letztlich doch in Münchehagen bleiben dürfen. Dazu bedarf es allerdings nach Ansicht des Verwaltunggerichts eines neuen Planfeststellungsverfahrens, in dem dann alle Probleme der Deponie bewältigt werden müßten, was nur durch eine völlige Abkapselung der Giftstoffe nach den Seiten hin und vor allem auch nach unten geschehen könne.

Ganz nebenbei hat das Verwaltungsgericht auch das Konzept von Umweltminister Werner Remmers zur „Sicherung der Deponie Münchehagen“ gekippt, das der Minister einstmals noch als „Sanierungskonzept“ verkauft hatte. Die von Remmers geplanten Sicherungsmaßnahmen, bei denen die Deponie ringsum mit Spundwänden und Betoneinspritzungen und durch laufendes Abpumpen am Auslaufen gehindert werden soll, wurden vom Gericht für planfeststellungspflichtig erklärt. Das niedersächsische Sicherheits- und Ordnungsgesetz bietet demnach keine ausreichende Rechtgrundlage für diese Sicherungsmaßnahmen.

Erst vor wenigen Wochen ist aufgrund von Bohrungen auf dem Gelände der Deponie bestätigt worden, was die Gegner der Giftmüllkippe schon seit über zehn Jahren aus offiziell unter Verschluß gehaltenen Gutachten wissen: Der Deponieuntergrund in Münchehagen ist in mehreren Bereichen für Flüssigkeiten durchlässig. Nur durch eine Absicherung der Deponie von unten durch eine „Untertunnelung“ oder ähnliches, wäre die Altlast deswegen in einem neuen Planfeststellungverfahren genehmigungsfähig. Für das Umweltministerium ist jedoch eine solche Untertunnelung genausowenig technisch realisierbar, wie eine Auskofferung.

Zwar liegt dem Landtag in Hannover ein Antrag der FDP vor, der eine Auskofferung von Münchehagen mit Hilfe eines neuartigen Gefrierverfahrens verlangt, bei dem der Giftmüll mit flüssigen Stickstoff tiefgekühlt und dann in Blöcken zersägt abtransportiert werden soll. Doch obwohl dieser Antrag gute Aussichten auf Verabscheidung hat, bleibt auch diesem Konzept die Frage, wohin mit den 500.000 Tonnen Gift, ungelöst. Die umweltfreundliche Verbrennungsanlage, in der die FDP das gefrorene Münchehagen-Gift beseitigt sehen will, existiert bisher nicht. Eine Lösung zeichnet sich bereits ab: Erst Anfang nächsten Jahres, wenn die schriftliche Begründung des Verwaltungsgerichts vorliegt, will das Umweltministerium entscheiden, ob es gegen das Urteil in die Berufung beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg ziehen wird.