: Giftmüllkippe mit Marzipangeschmack
In der Marzipanstadt Lübeck drücken sich die Verantwortlichen seit Jahren vor den Altlasten eines Metallhüttenwerks, die sich zu einer der größten illegalen Sondermülldeponien der Bundesrepublik entwickelte / Erst die zunehmende Grundwassergefährdung durch krebserregende Stoffe läßt die Stadt aufwachen ■ Aus Lübeck W.Hämmerling
Wäre in den letzten Jahren das Trinkwasser verseucht worden, hätte man das der nahegelegenen DDR-Giftmülldeponie in Schönberg angelastet. Dabei hat die Hansestadt direkt vor der Tür ihren eigenen Schadstoff-Multi: die Metallhütte im Ortsteil Kücknitz-Herrenwyk.
Umweltpolitische Augenwischerei gehört in Lübeck zum guten Ton zwischen den beiden großen Parteien, von denen die SPD seit 1986 die Stadt regiert. Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Günter Wosnitza befürchtet dagegen, daß das Trinkwasser nicht mehr lange trinkbar bleibt. Das 55 Hektar große Industriegelände in Kücknitz-Herrenwyk ist der einzige reine Industriestandort Lübecks. Die Produktionsstätten - Kokerei, Zementwerk, Kupfer- und Eisenhütte sowie Benzol-, Pech- und Teerfabrik - gingen durch manche Hand, bis die „Alten Metallhüttenwerke“ 1981 Konkurs anzeigten. 2.000 Arbeiter wurden auf die Straße gesetzt. In Betrieb blieben nur die Kokerei und das Zementwerk.
Die vielen Vor-Besitzer der alten Metallhütte hinterließen der „Grundstücksgesellschafterin Herrenwyk“, die als rechtliche Nachfolgerin auf den Plan trat, ein riesiges Gebirge von giftigen Altlasten und größtenteils verseuchtes Erdreich. Für den Leiter des Lübecker Umweltamtes, Veith Morgenroth, entpuppte sich das Gelände als „die größte ungeordnete Sondermülldeponie der Bundesrepublik“.
Wenn die Sonne scheint, quillt im Ostteil des Gebiets durch die Wärme Teeröl aus dem Boden und bildet glitschige Pfützen, in denen schon manches kleinere Tier wie etwa Feldhasen kläglich verendet sind. Man glaubte damals, den schwarzen Teerölschlamm ausreichend zu beseitigen, indem man ihn einfach in tiefe Erdlöcher kippte. Giftgasschlämme und -stäube lagern nur durch eine Plastikplane abgedeckt im Freien. Der Boden ist auch da vergiftet, wo ehemals Pechfabrik und Kupferschmelze standen.
Zwischen 50 und 70 Millionen Mark - so die Schätzungen würde die Sanierung des verseuchten Geländes inzwischen verschlingen. Doch die Stadt rührt keinen Finger dafür. Man begnügt sich damit, die belasteten Gebietsteile als Sondermülldeponie zu deklarieren oder hat begonnen, sie zu überbauen.
Währenddessen sickern die Gifte, allen voran Teeröl und Benzol, bis zum oberflächennahen Grundwasserleiter, der in die Trave abfließt, und werden so weiträumig bis in die Ostsee verteilt. Gelangen die Schadstoffe bis zum Tiefengrundwasserleiter, besteht eine akute Gefahr für die Trinkwasserversorgung. Günter Wosnitza hat die Gifte bereits in Proben aus zwei Trinkwaserwerken nachgewiesen.
Die schmutzig gelbe, schäumende Grundwasser-Brühe, die vom Werksgelände in die Trave schwappt, enthält auch „polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe“ (PAKs), hochpotente Krebserreger. Sie entstehen durch die Produktion der Kokerei, bei der Verschwelung von Kohle zu Koks. Die gelben Giftdämpfe, die den 72 Öfen Tag und Nacht entweichen, enthalten die PAKs ebenso wie die Rußschwaden, die immer dann in die Höhe geschleudert werden, wenn der glühende Koks mit kaltem Wasser gelöscht wird. Als tückischer, hauchdünner Schmierfilm legt sich der giftige Schmutz über die angrenzenden Siedlungen Kücknitz und Herrenwyk. Kinder leiden durch die Niederschläge unter Nesselfieber und Hautausschlag, und LungenfachärztInnen beobachten steigende Zahlen chronischer bronchitischer Erkrankungen. Günter Wosnitza hat Akten eingesehen, die belegen, daß die PAKs seit 1983 im Boden der Umgebung um das 20fache angestiegen sind. Natürlich wurden sie auch schon vereinzelt im Trinkwasser entdeckt.
Seit März dieses Jahres gehört die Giftmüllbank an der Trave den „Neuen Metallhüttenwerken Lübeck“ (NML). Wie ihre Vorgänger scheren sie sich einen Dreck um Auflagen zum Umweltschutz. Die Kokerei pustet weiter überhöhte Schadstoffkonzentrationen in die Luft, fackelt ungestört in offener Flamme überschüssiges Gas ab und setzt ihre Arbeiter ungeschützt den Krebserregern aus.
Aber die Lübecker Behörden haben den Kopf in den Sand gesteckt - leider nicht in Kücknitz oder Herrenwyk. In der Vergangenheit hofierte die Stadt das zwielichtige Unternehmen sogar mit 7,9 Millionen EG-Subventionen Steuergelder, die nur für kleine und mittelständische Betriebe bestimmt waren. Hinter der NML verbirgt sich jedoch ein pakistanischer Groß-Konzern. Die Bürgerschaft beantragte die Gelder, als die NML noch Pächterin waren. Weil der Konzern zwischenzeitlich das Gelände aufkaufte, strich er die Millionen zu Unrecht ein.
Und Lübeck hat noch mehr Dreck am Stecken. Die CDU -Regierung klopfte in Brüssel nämlich nur für Sanierungsunterstützung an. Auf der Metallhütte werden die Steuergelder jedoch für Straßenbau und Kanalisationsausbesserungen zweckentfremdet. Außerdem werden auf dem Gelände längst wieder Firmen angesiedelt, die teilweise ohne Genehmigung arbeiten.
Verantwortlich für das Giftmüllchaos und die Schadstoffbelastung durch die Kokerei fühlt sich offenbar niemand. Das Gewerbeaufsichtsamt und das Umweltamt geben Meßergebnisse nicht bekannt. Die wenigen veröffentlichten Daten werden verfälscht; den Grünen verweigerte man die Akteneinsicht, und die Bürgerschaft ignorierte das Problem monatelang. Bisher wurden lediglich einige Gutachten über die Schadstoffbelastungen in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse im Februar erwartet werden.
Erst seit das Trinkwasser nachweislich gefährdet ist, wacht die Stadt auf. Was lange Zeit nur als Schönheitsfehler der Marzipanstadt gelten durfte, wird im öffentlichen Bewußtsein jetzt zum Schandfleck der gesamten Region. Mittlerweile verfolgt die Staatsanwaltschaft mehrere Anzeigen gegen die Metallhütte. Die Gifte aber sickern weiter. Günter Wosnitza: „Die Stadt führt 200 Prozesse gegen die Schönberg -Giftdeponie, aber das wahre Übel liegt näher.“
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