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Sendepausen nur beim Batteriewechsel

Seit Mittwoch auf Sendung: Das zensurfreie Radio ZFR in Frankfurt / Eine Schmusestimme aus dem 40. Stock verbreitet Informationen, Politik und Musik spontan und unzensiert / Kleine Pannen sind inbegriffen  ■  Aus Frankfurt Lila Pause

Mittwoch, zwölf Uhr mittags. Auf der Frequenz 105 Megahertz haucht eine sanfte Schmusestimme die Geburtsstunde des ZFR, des „Zensur Freien Radios“, in den Äther. Und damit ist den streikenden Frankfurter StudentInnen gelungen, was den MacherInnen freier Radios in letzten zehn Jahren verwehrt war. Sie sendeten list- und lustvoll stundenlang bis weit in den Abend hinein: Nachrichten vom Streik, Gespräche, Interviews, Musik und Sketche. Die Peilwagen von Post und Polizei blieben aus, der Sender arbeitete unbehelligt.

Zur Chronik des ZFR: Am Mittwochmorgen treffen sich im Foyer des am Abend vorher besetzten 40stöckigen „Turmes“ der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität eine Handvoll von nächtelanger Bastelarbeit noch recht verschlafener Frauen und Männer. Einer trägt einen kleinen Pappkarton, ein anderer einen etwa einen Meter langen Köcher. Drinnen haben rund 50 Leute übernachtet, die Fahrstühle sind mit Tischen blockiert, nichts geht mehr nach oben. Das muß auch die Berichterstatterin einer kleinen Zeitung erfahren, die eingeladen ist, den Sendebetrieb zu beobachten. Nach einem hastig geflüsterten Code-Wort darf sie passieren: 40 Stockwerke aufwärts zu Fuß.

Ganz oben die Antenne. Sie sieht ein bißchen aus wie ein entnadelter, abstrakter Tannenbaum, mit vier hängenden Ästen und einer Spitze. Daneben liegt ein silbriges Kästchen, ungefähr zwanzig mal sechs Zentimeter groß. Dazu gehören noch ein Kassettenrecorder, ein Mikrophon und eine Energiequelle, in diesem Falle acht Monozellen, dicke Batterien. Die Stromversorgung per Autobatterie ist diskutiert, aber verworfen worden, eben, wegen der 40 Stockwerke. Das Ganze ist in Minutenschnelle auf- und abbaubar und sollte eigentlich mehrere Kilometer weit senden.

Sollte eigentlich - theoretisch. Praktisch gibt es jede Menge Widrigkeiten. Im Uni-Turm führt kein Weg ins Freie. Jedes Fenster ist vom Fußboden bis zur Decke mit Aluminium verkleidet, davor stehen überall festverschraubte eiserne Heizkörper. Soviel Metall in der Nähe, da spielt der Sender nicht mit. Die erste Sendung um 12 Uhr geht in Knattern und Rauschen fast unter, ist nur schwach und nicht sehr weit zu empfangen. Nur im Erdgeschoß des Turmes kommen die HörerInnen auf ihre Kosten.

Eine fieberhafte Suche nach der Lösung beginnt. Kurz vor 16 Uhr ist der Ausweg gefunden. Eine Tür öffnet sich zum Balkon des Hauses. Die Antenne steht endlich draußen, der Äther ist frei. Einige technische Mängel noch zu beheben, der Stadtteil im Schatten des Hochhauses geht leer aus. Auch der berechnete Strombedarf war reine Theorie, das Gerät erweist sich als stromfressend wie ein Heizlüfter, laufend müssen neue Monozellen rangeschafft werden - 40 Stockwerke hoch. Gegen Abend weicht der mittägliche Frust und ZFR sendet fast zwei Stunden lang mit nur kurzer Unterbrechung - zum Batterienwechseln.

Das Programm ist auf die Schnelle zusammengestellt, zwei bespielte Kassetten sind da, andere werden im Lauf des Tages abgegeben. Die Beiträge sind locker und unverkrampft, transportieren die studentischen Forderungen und die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe des Streiks z.B. im Gespräch mit Gästen von der Freien Universität Berlin, deren unüberhörbare Streikeuphorie Mut macht. Sie bitten die Frankfurter, nicht aufzugeben. Am Nachmittag beschließt dann eine - allerdings gemessen an der vorigen Woche - kleine Vollversammlung, bis Dienstag weiter zu streiken. Pessimisten hatten damit gerechnet, daß der Streik schon jetzt vorbei sei. Auch das geht über den Sender. Der Frankfurter und der Berliner Forderungskatalog werden verlesen. Ein Sketch macht sich lustig über die wirtshausselige Theorieverquastheit „altlinker“ Lehrender („Prof., 40 Jahre in der Neuen Linken“). In einem Telefongespräch sinniert ein Dekan darüber nach, ob der Studienbetrieb „notfalls“ durch Polizeigewalt gesichert werden müsse.

Insgesamt präsentiert sich das Programm unbefangen, oft in freier Rede und um einiges professioneller und spontaner als die unter massiven Repressionen gesendeten Programme freier Radios der 70er und frühen 80er Jahre. Nachzulesen darüber, wie die handliche Technik für alle funktioniert, gibt es einiges in dem - leider vergriffenen - Buch Was Sie schon immer über Freie Radios wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten, das der einstige Freundeskreis des „Radio Fledermaus“ in Münster herausgab und das seinerzeit bei „2001“ vertrieben wurde. Restbestände des von der Network Medien-Cooperative herausgegeben Buches Frequenzbesetzer, sind dort noch zu bestellen (Tel. 069/ 451737). Sonstige Informationen kann wohl in der derzeit kahlgefegten Radio-Landschaft nur der Flüsterfunk geben. Radio Dreyecksland - dank seiner Lage an der französischen Grenze über lange Jahre hinweg bis zur Legalisierung in diesem Jahr das einzige freie Radio, das überlebte - sandte eine Grußadresse an ZFR. Sendezeiten ohne Gewähr: 12, 14, 18, 20 Uhr.

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