Nato: UdSSR-Initiative ungenügend

■ Gorbatschows neuer Abrüstungsvorschlag provoziert wieder einmal Abwehr im Westen Nato-Außenminister fordern weitere Reduzierung sowjetischer Truppen auf gemeinsame Obergrenze

Berlin (wps/taz) - Eigentlich müßten die westlichen Regierungschefs Gorbatschow dankbar sein für seine Ankündigung, 500.000 Soldaten, 10.000 Panzer und 800 Kampfflugzeuge aus Osteuropa abziehen zu wollen. Denn falls der Vorschlag tatsächlich umgesetzt wird, könnten die USA endlich ohne schlechtes Gewissen verwirklichen, was sie seit längerem androhen: ihrerseits einen Teil der in Europa stationierten mehr als 300.000 Truppen abzuziehen.

Damit wäre die Nato auf einen Schlag mehrere Probleme los, die seit einiger Zeit an der Einheit der westlichen Allianz zerren. Die USA müßten sich nicht länger darüber ärgern, daß die europäischen Alliierten zu wenig für ihre eigene Verteidigung aufwenden; die „lästige“ Diskussion über mangelnde Souveränität der Bundesrepublik wegen der hier stationierten ausländischen Truppen verlöre an Boden; die Bundesregierung brauchte keine wehrkraftzersetzenden Rekruten mehr einzuziehen. Vor allem aber müßten sich die Nato-Regierungen nicht ständig neue Ausreden einfallen lassen, um der Öffentlichkeit den wachsenden Widerspruch zwischen ihrer Aufrüstungspolitik und ihrem angeblichen Abrüstungswillen zu erklären.

Die neueste, wenn auch schon oft gehörte Version dieser spannungsreichen Erklärungsmuster lautet: Die angekündigte Truppenreduzierung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Darin ist sich fast das gesamte Rüstungsestablishment von Nato-Generalsekretär Manfred Wörner und Bundesrüstungsminister Rupert Scholz über US-Außenminister Georg Shultz bis hin zu dem Chef der US-Streitkräfte, Admiral William Crowe, einig. Doch der Vorschlag gehe nicht weit genug, da er nur etwa ein Zehntel der sowjetischen Truppen betreffe. Das Ungleichgewicht bliebe zugunsten der sowjetischen Übermacht bestehen.

Selbst der Vize-Direktor des liberalen Instituts „Center for Defense Information“ in Washington, Eugene Carroll, ist der Ansicht, daß „dieser einseitige Abzug lediglich an den Rändern der sowjetischen Hauptstreitkräfte angreift. Einen meßbaren Effekt auf den offensiven Charakter der Streitkäfte hat er nicht“. Immerhin ist man auch dieses Mal bereit, den Vorschlag genau zu prüfen und, wie Alt-Präsident Reagan bekannt gab, ent sprechend darauf zu reagieren. Vor Mitgliedern des erzkonservativen Instituts „American Enterprise Institute“ sagte er: „Die Geschichte wird die einseitige Verringerung der sowjetischen Streitkräfte als wichtig und bedeutsam werten“. Der Westen müsse jedoch „stark und illusionslos bleiben“, was nach Crowe heißt: „Das Angebot ist nicht ausreichend. Wir brauchen mehr davon“.

Konkretes haben die 16 NATO-Außenminister dazu am Donnerstag auf ihrer Herbstagung in Brüssel ausgebrütet. Ihr Gegenvorschlag beinhaltet die Aufforderung an den Warschauer Pakt, seine Angriffswaffen wie Panzer und Artillerie um zwei Drittel auf gemeinsame Obergrenzen zu reduzieren. Dies würde bedeuten, daß die östliche Allianz ihre Panzerverbände um mehr als 60 Prozent auf etwa 12.000 reduzieren müßte, bevor über einen Abbau auf westlicher Seite verhandelt werden könnte.

mf