Von Freiwilligkeit ist nur selten die Rede

Auch heute schon wird in einigen Industriebetrieben sonntags gearbeitet / Die taz sprach mit einigen Beschäftigten aus diesen Betrieben  ■  Von S.Fuchs und W.Purk

Die vergangenen beiden Samstage und heute widmete sich die taz verschiedenen Aspekten der Sonntagsarbeit (d.Red.)

Es hatte stets Ausnahmen von der Regel des arbeitsfreien Sonntags gegeben, - zum Beispiel bei Polizisten, Busfahrern, dem Krankenhauspersonal oder den Priestern in den Kirchen. Die „Gesellschaftsmaschine“ fordert ihren Tribut (siehe taz vom vergangenen Samstag). Im produzierenden Gewerbe war das bisher anders. Dort ruhte sonntags im Allgemeinen die Arbeit. Aber auch im Produktionsbereich haben sich einzelne Betriebe Sondergenehmigungen zur Sonntagsarbeit besorgt nicht zur ungeteilten Freude der jeweiligen Beschäftigten.

Seit 1984 produziert „PLM Berlin GmbH“, Getränkehersteller im Süden Berlins, rund um die Uhr in drei Schichten und an sieben Tagen in der Woche.

Mit einem Trick hatte sich das Unternehmen eine Genehmigung vom Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit ergattert. Wegen zu hoher Standzeiten in der Anlaufphase erbat sich die Firma eine Ausnahmegenehmigung zur Wochenendproduktion für die Einarbeitungszeit. Später war das Unternehmen natürlich in der Lage, eine Ausschußproduktion nachzuweisen, die die bekannte Grenze von fünf Prozent überschritt. Das Schlupfloch: Wenn durch die Unterbrechung der Produktion am Wochenende ein nicht verwertbarer Ausschuß von mindestens fünf Prozent entsteht, darf eine Ausnahmegenehmigung für Wochenendarbeit erteilt werden. So auch bei PLM, die damit zum ersten Unternehmen in Berlin wurde, das 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche produziert. Jeweils nach vier Tagen wechselt für die Arbeitnehmer die Schicht. Früh-, Spät- und Nachtschicht folgen aufeinander, dazwischen haben sie ein paar Tage frei.

Nie ausgeschlafen

Harry S. ist von Anfang an bei diesem Unternehmen. Mittlerweile haben sich seine Lebensgewohnheiten grundlegend geändert. Die Arbeit, die er heute zu leisten hat, ist zwar körperlich leichter, als die in der Ausbildung. Jedoch hat der ständige Wechsel des Tag- und Nachtrhythmus einen erheblichen Einfluß auf das gesundheitliche Befinden. Harry S., Anfang 30, ist wegen anhaltender Magenbeschwerden in Behandlung und leidet an Kreislaufstörungen. Zudem plagt ihn das Gefühl, nie ausgeschlafen zu sein.

Harry S. betont, daß die Sonn- und Feiertagsarbeit in der Belegschaft nicht beliebt ist. Nur der 150prozentige steuerfreie Lohnzuschlag an Sonntagen läßt die Arbeit bei PLM attraktiv erscheinen. Vor allem diejenigen, die sich in einer Notlage befinden, sehen über die Nachteile der Wochenendarbeit hinweg, wie Harry S. berichtet. Dennoch sei die Fluktuation so groß, daß rein rechnerisch in einem Jahr die gesamte Belegschaft der PLM mehrmals wechselt.

Zudem besteht das Personal aus heterogenen Gruppen: Aushilfskräfte, Ausländer aus Südosteuropa und Angehörige der amerikanischen Streitkräfte. Mit der Solidarität der Arbeitnehmer im Hinblick auf die Vertretung ihrer Interesssen ist es unter solchen Umständen schlecht bestellt. „Einige Kollegen sagen: Ich bin nicht langfristig hier, also versuche ich, so schnell als möglich an das Geld heranzukommen und gehe dann weg.“ Nicht minder wird durch Schicht- und Sonntagsarbeit das Privatleben von S. beeinträchtigt. Sein Familienleben - er ist nicht verheiratet und lebt mit mehreren Verwandten zusammen - und andere persönliche Kontakte sind zwar auf den Rhythmus der Arbeit eingestellt. Er selbst hat sich jedoch von familiären Problemen, aber auch von gemeinsamen Feiern distanziert. Infolgedessen kommt Harry sich in seiner Familie wie ein „außergewöhnlicher Körper“ vor. Sämtliche Kontakte zu Freunden sind vom Zufall abhängig oder müssen weit im Voraus mit dem Dienstplan abgestimmt werden. Von seinen sportlichen Aktivitäten der Ausbildungszeit, wie Fußballspielen, Schwimmen und Tennis, ist nichts mehr übrig.

Für Harry S. steht fest, daß mehr als fünf bis sechs Jahre Schichtdienst für niemanden zu verkraften sind. Sobald er einen anderen Arbeitsplatz gefunden hat, - an dem er weder am Wochenende noch in der Nacht arbeiten muß, - wird er PLM Berlin verlassen, an der allgemeinen Fluktuation teilnehmen.

In den Berliner Ford-Werken sieht die Situation etwas anders aus. In dem Betrieb, der die Kunststoffteile der Ford -Pkws produziert, ist die Sonntagsarbeit bisher die Ausnahme. Regulär wird sonntags erst in der Nachtschicht ab 22 Uhr gearbeitet: bis Mitternacht Wartungsdienst, ab 24 Uhr beginnt die Produktion. Grundsätzlich sollte Samstag morgen mit der Produktion Schluß sein, tatsächlich produziert Ford samstags inzwischen regulär, um die Zulieferung der Ford -Werke im In- und Ausland zu gewährleisten, oder um Urlaubsabwesenheit auszugleichen.

Begrenzte Freiwilligkeit

Bereits 1985 traf die Geschäftsleitung und der Betriebsrat eine Absprache über die Sonntagsarbeit. Seitdem können 50 Arbeitnehmer am Wochenende zu Wartungsarbeiten herangezogen werden. Die vom Unternehmen garantierte Freiwilligkeit ist jedoch nur selten erfüllt. Für Wartungsarbeiten kommen überwiegend Facharbeiter aus dem Bereich Instandhaltung und Werkzeugbau in Frage. Das bringt eine Einschränkung auf bestimmte Personengruppen mit sich.

Solange Bernd T. bei den Ford-Werken nicht festangestellt war, arbeitete er auch am Sonntag. Heute, da der 28jährige seit zwei Jahren einen festen Vertrag hat, verweigert er diese, erscheint nur noch regelmäßig samstags im Betrieb. Immerhin befürchtet er eine Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen, wenn er von seinem Recht Gebrauch machen würde, am ganzen Wochenende der Arbeit fernzubleiben. Aber für Herrn T. zählt auch das Argument, daß nicht erbrachte Produktionsleistungen ein Grund für die Unternehmensleitung sein könnten, sich nach einem Standort mit willigeren Arbeitnehmern umzusehen.

Kein Zweifel, daß die Wochenendarbeit auch Verlockungen in sich birgt. Mit dem Kauf von Konsumgütern haben sich viele über ihre Verhältnisse verschuldet und sind daher auf die samstägliche und sonntägliche Arbeit angewiesen. Dies dürfte bei der Durchsetzung der generellen Sonntagsarbeit eine Rolle spielen. Das sehen auch die jeweiligen Gewerkschaftsfunktionäre, wenn sie über die schwierige Mobilisierung in dieser Frage klagen.

Anders stehen die Dinge bei Thomas K. Der 37jährige arbeitet wie sein Kollege Bernd seit zwei Jahren am Band. Die Furcht, den Arbeitsplatz zu verlieren, bedrängt ihn kaum. Seinen Eigensinn bewahrt er sich und geht folglich nur in Ausnahmefällen am Samstag ins Werk. Das Wochenende behält er sich für den Freundeskreis und die Familie vor. Alles andere wäre allerdings auch ein Witz, hat er doch zuvor in seinem erlernten Beruf im Dienstleistungsbereich ebensogut verdient und diesen Job lediglich gekündigt, um nicht am Wochenende arbeiten zu müssen. Daß er sich größere Eigensinnigkeit leistet, hängt nicht etwa mit einem sicheren Arbeitsplatz zusammen. Das ist für ihn „Erziehungssache“.

Mehreinstellungen und Verkürzung der regulären Arbeitszeit erscheint den Interviewten als einzig akzeptable Lösung, um den steigenden Anforderungen der Produktion nachzukommen. Doch die Realisierung dieser bekannten Forderung rückt gegenwärtig in weite Ferne. In den Betrieben breitet sich die Meinung aus, daß an der Wochenendarbeit kaum ein Weg vorbeiführt.

Daß das Thema heikel ist, erkennen die Unternehmensleitungen jedenfalls. Nachdem sich einige Kollegen dazu in der Presse geäußert hatten, gab es Druck bei Ford, so daß es heute schwer ist, überhaupt jemanden zu einer Stellungnahme zu bewegen.