Nato hält an neuer Atomwaffen-Stationierung fest

Nato-Oberkommandierender Galvin: Überholung der LANCE-Raketen keine Alternative zur Aufstellung neuer Atomwaffen / Pläne für Stationierung neuer Atomwaffen in Europa ohne ausdrückliche Stationierungsentscheidung der Nato-Staaten veröffentlicht  ■  Aus Genf Andreas Zumach

Eine „Modernisierung“ der in der Bundesrepublik stationierten LANCE-Raketen durch Verlängerung ihrer Funktionstüchtigkeit ist als Alternative zur Aufstellung neuer Atomwaffen „aus technischen Gründen völlig ausgeschlossen“. Mit diesen Worten reagierte der Nato -Oberbefehlshabende, US-General John Galvin am Donnerstag abend bei einem Pressegespräch in Genf auf Vorschläge, die die SPD in der Aktuellen Stunde des Bundestages zur „Modernisierungsfrage“ am Mittwoch in die öffentliche Diskussion gebracht hatte.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ehmke hatte im Bundestag erklärt, gegen eine „reine Modernisierung durch Motorenaustausch“ der LANCE-Raketen unter Beibehaltung der jetzigen Reichweite von 120 Kilometern habe seine Partei „nichts einzuwenden“. Galvin erklärte, ein „Austausch der Motoren“ bzw. „einzelner Komponenten“ habe „in den letzten 20 Jahren bereits zweimal stattgefunden“, sei wegen des „elektronischen Rosts nicht noch einmal möglich“ und koste außerdem „mehr Geld als die Beschaffung neuer Waffen“. Auch wenn das „für die LANCE-Nachfolge vorgesehene ATACM-System „einfach zu handhaben, zielgenauer und überlebensfähiger“ sei und „über eine Reichweite von knapp 500 Kilometern“ verfüge, ändere sich nichts an der Funktion der Kurzstreckenwaffe innerhalb des Nato-Atomwaffenarsenals, behauptete Galvin. Die Abschußgeräte sowie eine ATACM -Version mit konventionellem Sprengkopf sind bereits bei den US-Truppen eingeführt. Die Entwicklung des atomaren Sprengkopfes sei eine „relativ simple“ Aufgabe, die erste Entwicklungsphase laufe bereits.

Galvin skizzierte außerdem, wie die Nato-Staaten unter Vermeidung einer ausdrücklichen Stationierungsentscheidung und der dadurch ausgelösten öffentlichen Kontroverse besonders in der Bundesrepublik im nächsten Jahr dennoch die notwendigen Weichenstellungen für die programmgemäße Aufstellung der neuen Atomwaffen ab 1994/95 vornehmen könnten.

Im nächsten Frühjahr, so Galvin, brauche der US-Kongreß ein Signal, um die Gelder für die zweite Entwicklungsphase (Bau eines Prototyps und Tests) zu bewilligen. Das müsse noch nicht notwenigerweise eine „Stationierungszustimmung der europäischen Bündnispartner sein“. Zumal, da die atomare ATACM-Variante ohnehin „auch für die Ausrüstung der US -Truppen außerhalb Europas“ produziert werde.

Dies bedeutet, daß die neuen Atomwaffen auf jeden Fall in den USA produziert werden und dann 1994/95 auch zur Stationierung in Europa vorhanden wären. Eine ausdrückliche Stationierungsentscheidung, so sie dann überhaupt noch für notwendig erachtet wird, als Voraussetzung für die Aufstellung der neuen Atomwaffen, könnte die Nato dann zu einem politisch günstigeren Zeitpunkt, nach den bundesdeutschen Wahlen im November 1990, treffen. Galvin beklagte in diesem Zusammenhang, daß die „regelmäßig notwendige Modernisierung der atomaren Waffen“ durch die öffentliche Diskussion derzeit „politisch dramatisiert und aufgebauscht“ werde.