„Der Übungsauftrag war Tiefflug“

Minister, US-Militärs und Washingtons Botschafter besichtigten die Absturzstelle in Remscheid / Doch den meisten kamen nur Trauerfloskeln und ein „no details“ über die Lippen / Die Flugroute der Maschine ist weiter ungeklärt  ■  Aus Remscheid J.Nitschmann

Eingekeilt von einem Rudel ruppiger Feldjäger trampelt der Troß um Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) und dem amerikanischen Botschafter Richard Burt am Freitag morgen über die Trümmer auf der Stockder Straße in Remscheid, wo zwanzig Stunden zuvor ein US-Kampfjäger abgestürzt ist und eine 350 Meter lange Schneise aus Vernichtung und Tod geschlagen hat. Mit aufgesetzt wirkender Leichenbittermiene schieben sich der Minister und der Botschafter mit dem riesigen Pulk der Kameraleute und Fotografen an eingestürzten Häusern, verkohlten Autowracks und Trümmerteilen der verunglückten Militärmaschine über die Straße.

Vor dem Haus Nummer 128, nur noch ein riesiger Trümmerberg, bleiben die Politiker für wenige Minuten stumm stehen. Aus dieser Schutthalde haben die Rettungsmannschaften am frühen Morgen zwei weitere Tote geborgen, eine Bewohnerin wird noch immer vermißt. „Es ist schlimm“, entfährt es dem Remscheider Oberstadtdirektor. „Sehr schlimm“, schnalzt der amerikanische Botschafter Burt. Dem sonst so mundflinken Bundesverteidigungsminister scheint es gar die Sprache verschlagen zu haben: „Kein Kommentar zu dieser Stunde. Für irgendwelche Folgerungen ist es jetzt noch zu früh“, sagt Scholz etwas gequält in die Mikrofone. „Es ist schon viel zu spät“, ruft ihm eine erregte Anwohnerin zu.

Nichtssagende Floskeln

Während Scholz und Burt einem Teil der elf schwerverletzten Opfer ihre Aufwartung in den Krankenhäusern machen, trommelt einer der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Presseoffizier Werner Widder, die Journalisten auf der zum Hubschrauberlandeplatz umfunktionierten Remscheider Schützenwiese zusammen. „Wo hätten Sie's denn gerne, meine Herren? Suchen Sie sich einen hübschen Hintergrund aus“, sagt Widder jovial. Als der Presseoffizier die Journaille schließlich vor einem kleinen Waldstück in Stellung gebracht hat, verkündet er in militärisch-zackigem Ton: „Der Minister und der Botschafter werden hier gleich ein Statement abgeben. Für Fragen werden sie nicht zur Verfügung stehen.“ Auf den Einwurf, daß es womöglich Nachfragen geben werde, wenn die Erklärungen von Scholz und Burt unbefriedigend seien, kontert Widder pflichtschuldig: „Ich bin sicher, daß der Bundesverteidigungsminister und der amerikanische Botschafter hier keine unbefriedigenden Antworten geben.“

Der Mann sollte sich gründlich irren. Statt der erwarteten Erklärungen über eine Einschränkung und Verlagerung von Tiefflügen als Konsequenz aus der Remscheider Katastrophe, belassen es die beiden bei ein paar nichtssagenden Trauerfloskeln. Burt: „Das amerikanische Volk ist zutiefst schockiert über dieses tragische Unglück. Unsere Herzen sind bei den Opfern.“ Scholz schließlich zeigt sich bei aller Trauer „erfreut über die gute Zusammenarbeit“ der Rettungsmannschaften.

„Geheimniskrämerei“

Dabei hatte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD) noch wenige Stunden zuvor gerade an der Zusammenarbeit mit den amerikanischen Militärs ausgesprochen scharfe Kritik geübt und ihnen „typische Geheimniskrämerei“ vorgeworfen. Noch Stunden nach dem Absturz des US -Kampfjägers in dem dichtbesiedelten Remscheider Wohngebiet sei von den Amerikanern nicht zu erfahren gewesen, ob womöglich radioaktive Munition oder gar chemische Kampfstoffe an Bord der verunglückten Maschine gewesen seien, kritisierte Schnoor: „Zunächst gab es die Sorge, es seien radioaktive Stoffe in dem Flugzeug gewesen. Und dann kamen Gerüchte auf, es seien Kampfstoffe in der Maschine gewesen. Dies alles muß man ja wissen bei der Bergung, schon aus Sicherheitsgründen für die eigenen Einsatzkräfte. Aber dies hat eben alles Stunden gedauert.“

Am Freitag nachmittag bestand über die Art und den Umfang der Munition in der abgestürzten Maschine noch immer keine Klarheit.

Statt dessen gaben sich die amerikanischen Militärs, die das Katastrophengebiet sofort zum militärischen Sperrgebiet erklärt hatten, zugeknöpft und arrogant. Peinlicher Höhepunkt ihres selbstherrlichen Auftretens am Unfallort war die Pressekonferenz mit dem Kommandeur der 3.US -Luftwaffeneinheit, General Markus Anderson, am späten Donnerstag abend im Remscheider Rathaus. Nachdem der General in bewegten Worten sein „tiefes Bedauern“ über das Unglück ausgedrückt hatte, beantwortete er sämtliche Nachfragen der Journalisten mit den stereotypen Worten „no details“. Einem 'Stern'-Reporter platzte daraufhin der Kragen: „Fucking General“, schrie er den hochgestellten Militär unter dem Beifall seiner Kollegen an. General Anderson verließ daraufhin wortlos die Pressekonferenz.

Innenminister Schnoor zeigte sich betroffen über den Auftritt des US-Generals, der offensichtlich „nicht die erforderliche Kompetenz gehabt“ habe, „um das zu sagen, was notwendig ist“. Auch der Düsseldorfer Innenminister hatte am Donnerstag abend am Katastrophenort einige klare Antworten der US-Streitkräfte erwartet, ohne daß die sich „erst in Washington rückversichern“.

Bundesverteidigungsminister Scholz und der amerikanische Botschafter Burt blockten die Fragen der Journalisten ebenso entschieden ab, nachdem sie sich pflichtschuldig den Fernsehteams und Fotografen in der zerstörten Remscheider Straßenzeile gezeigt hatten. „Werden die Tiefflüge jetzt eingestellt?“, rief einer der Journalisten den beiden Politikern zu, die sich daraufhin schweigend abdrehten und im Eilschritt ihre Hubschrauber bestiegen.

Auf falschem Kurs?

Gestern nachmittag, 24 Stunden nach dem Flugzeugabsturz, herrschte über die genaue Ursache dieses Infernos immer noch weitgehende Unklarheit, waren viele Fragen offen. Nach Darstellung der Militärs hatte der US-Kampfjäger in einer 18er-Formation von dem rheinischen Fliegerhorst Nörvenich Kurs auf ein Tieffluggebiet östlich von Siegen genommen. Dabei soll die Maschine einen Triebwerkschaden erlitten, an Höhe verloren und schließlich als „Feuerball“, wie Augenzeugen berichteten, über dem dichtbesiedelten Wohngebiet am Rande der Remscheider Innenstadt eingeschlagen sein. Der Pilot versuchte sich noch mit dem Schleudersitz zu retten - vergeblich. Sein Fallschirm und sein Helm hängen auch am Freitag vormittag immer noch im Baum eines Vorgartens der ausgebrannten Häuser auf der verwüsteten Stockder Straße, die „wie nach einem Bombenangriff“ (Ministerpräsident Johannes Rau) aussieht. Angesichts dieser schockierenden Bilder gleicht es einem Wunder, daß bisher nur sechs Tote und elf Schwerverletzte zu beklagen sind.

Der bundesddeutsche Brigadegeneral Bodo Engerlin bestätigte an der Unglücksstelle, daß der abgestürzte „Panzerknacker“, wie die Militärexperten das amerikanische Kampfflugzeug vom Typ A10 Thunderbold II nennen, in einer Formation von 18 Maschinen („Der Übungsauftrag war Tiefflug“) gestartet sei: „17 kamen durch, eine verflog sich und stürzte in 600 Meter Höhe ab“, sagte der General lapidar.

Hat sich die Militärmaschine wirklich nur verflogen? Tatsächlich ist die dichtbesiedelte bergische Stadt Remscheid kein ausgewiesenes Tieffluggebiet. Doch seit Jahren schon klagen die Bewohner über den ohrenbetäubenden Lärm der Militärmaschinen, die die Stadt dauernd überfliegen. In den letzten drei, vier Jahren habe es wegen des Fluglärms „ständig Eingaben“ gegeben, berichtet Remscheids Oberbürgermeister Willy Hartkopf (SPD). Insbesondere die Patienten der nahegelegenen Nervenklinik „Tannenhof“ hätten sich häufig bei ihm beschwert. „Wenn die Militärmaschinen über die beschauliche Kleinstadt donnern“, berichtet OB Hartkopf, „dann sitzen die Patienten im Bett und fühlen sich an Kriegszeiten erinnert.“