Westen verteidigt - Remscheid zerstört

Bisher fünf Tote, fünfzig Verletzte und fünfzig Obdachlose nach US-Bomber-Absturz / US-Botschafter Burt: Pilot hat sein Vaterland und die Nato verteidigt / Empörung über „Geheimniskrämerei“ der Amerikaner / Unklarheit über Munition der Unglücksmaschine  ■  Von Petra Bornhöft

„Er starb in Verteidigung seines Landes und der Allianz.“ Mit diesen Worten gedachte gestern US-Botschafter Richard Burt des toten Piloten, der am Vortage mit seinem Jagdbomber ein Wohnviertel am Rande der Innenstadt von Remscheid verwüstet hatte. Bisher forderte das Unglück fünf Menschenleben. Neun Verletzte, darunter fünf lebensgefährlich verwundete Personen, lagen gestern noch im Krankenhaus. Insgesamt wurden 40 Menschen ambulant behandelt. Rund fünfzig Personen blieben obdachlos. Zahlreiche Anwohner und herbeigeeilte Politiker sagten: „Hier sieht es aus wie nach einem Bombenangriff im Krieg.“ Von den 20 beschädigten Häusern sind neun unbewohnbar, sechs müssen abgerissen werden, sechs gingen in Flammen auf.

Unterdessen wurde in Bonn bekannt, daß nach Sylvester die Tieflieger die bundesrepublikanische Bevölkerung wieder unvermindert bedrohen werden. Die Ursache der Katastrophe von Remscheid blieb auch gestern ungeklärt. Empört reagierten nordrhein-westfälische Politiker auf die „Geheimniskrämerei“ der Amerikaner nach dem Unglück. Während Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz in Remscheid die „gute Zusammenarbeit von örtlichen Stellen, Polizei, Bundeswehr und Amerikanern“ lobte, warf NRW-Innenminister Herbert Schnoor den US-Militärs „typische Geheimniskrämerei“ vor. Erst zweieinhalb Stunden nach dem Unglück erschien ein US-General. Es habe Stunden gedauert, so Schnoor, bis die Feuerwehr von den Amerikanern erfahren habe, welche Munition an Bord gewesen sei. Aus Sorge, die Maschine habe auch radioaktive oder chemische Kampfstoffe mitgeführt, fuhr Schnoor fort, habe man bei den Bergungsarbeiten einen ABC -Zug eingesetzt. Ob der Bomber neben Übungsmunition auch „scharfe Munition“ mit sich geführt hat - beideskann Explosionen und Feuer auslösen, aber der Übungsmunition fehlt das „wirksame Projektil einer Patrone“ - konnte gestern nicht definitiv geklärt werden. Allerdings gehen die bundesdeutschen Behörden davon aus, daß die A 10-Thunderbolt 5.000 Liter Flugbenzin, 500 Kilogramm Übungsmunition und eine Übungsrakete vom Typ Mavrick geladen hatte. Allerdings hatte das dpa am Donnerstag unter Berufung auf „Washingtoner Kreise“ bestritten. Im Kriegseinsatz ist die Maschine mit einer achtläufigen Kanone und bis zu 7.250 Kilogramm Munition in Form von Bomben bestückt.

Völlig widersprüchliche Darstellungen liefern die Militärs auch über den Ablauf des Fluges und die Unglücksursache. Am Donnerstagabend erklärte der deutsche Brigadegeneral Bodo Engerlin, der abgestürzte „Panzerknacker“ sei in Formation von 18 Tieffliegern in Nörvenich bei Köln gestartet. „17 kamen durch, einer verflog sich und stürzte in Höhe von 600 Metern ab“, sagte Engerlin in Remscheid. Wenig später schwieg der Kommandeur der 3.US-Luftwaffeneinheit, General Marcus Anderson, auf einer Pressekonferenz: „No details“, gab er von sich und rauschte ab. Ob der Weigerung, die Fragen zu beantworten, rief ihm ein Reporter nach: „Fucking General!“

Gestern überraschte in Bonn Luftwaffeninspekteur Horst Jungkurth mit einer neuen Version der Katastrophe: Nicht 18 sondern zwei Flieger seien um 12.20 Uhr in Nörvenich bei Köln gestartet und einer um 13.24 Uhr über Remscheid Luftlinie 50 km - abgestürzt. Vermutlich habe der Pilot im „sichersten Flugzeug der US-Luftwaffe“, so Jungkurth, „in den Wolken die Orientierung verloren“. Auftrag der beiden Bomber - eine Aussage des zweiten Piloten liegt angeblich nicht vor - war nach Informationen des Luftwaffeninspekteurs ein „simulierter Waffeneinsatz im Tiefflug“ über dem Siegerland. Dem widersprach General Anderson gestern, ohne Details preiszugeben. Unklar blieb danach auch, ob der Thunderbolt nur ein Drachenflieger war. Einen Flugschreiber besaß die Maschine nicht.

Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft Wuppertal Ermittlungen wegen eines „Tötungsdeliktes“ aufgenommen. Vermutlich werden die Amerikaner, wie schon zuvor in ähnlichen Fällen, das Verfahren gemäß Nato -Truppenstatut an sich ziehen. Grüne und SPD forderten erneut den Stopp für alle Tiefflüge. Verteidigungsminister Scholz: „Es ist jetzt zu früh, über Konsquenzen zu reden.“