Studentische Aktionen, fachspezifisch

■ Eine mathematische „Heckelmann-Formel“, musikwissenschaftliche Protestlieder, eine medizinische Kuh...

„Muh, muh, muh, - der Senat melkt die FU!“ Der Sprechchor der StudentInnen läßt Franziska kalt. Geduldig läßt sich die rotbraune Jerseykuh über den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche ziehen - gefolgt von rund 100 MedizinstudentInnen. „Das ist unsere Institutskuh“, heißt es. Für ihre Protestaktion am Samstag vormittag haben die StudentInnen das unieigene Rindvieh kurzerhand von Dahlem in die Innenstadt transportiert. Auf dem Wittenbergplatz wird derweil die FU in einem großen schwarzen Holzsarg zu Grabe getagen. Während sich der Trauerzug formiert, pflanzen die LandschaftsplanerInnen der TU mitten auf dem Platz einen Ahornbaum. „Das paßt ja, die neue Uni wird gepflanzt, während die alte zu Grabe getragen wird“, kommentiert eine Studentin.

Die BerlinerInnen, mit Weihnachtsgeld und großen Plastiktüten unterwegs an diesem dritten „Wunschzettel -Samstag“, konnten sich über Abwechslung im öden Einkaufs -Gedrängel nicht beklagen. Überall in der Innenstadt, vom Wittenbergplatz bis zum Cafe Kranzler und in der Wilmersdorfer Straße, fanden wieder zahlreiche StudentInnen -Aktionen im Rahmen der berlinweiten Uni-Streiks statt. Mit Musik und Gesang, Theater und Verkleidung, Flugblättern, Infotischen und Stelltafeln wurde auf die Probleme und Forderungen der einzelnen Fachbereiche hingewiesen. Bis zur Heiserkeit wurde versucht, PassantInnen anzusprechen und ihnen zu erklären, warum die StudentInnen mehr als nur Geld und Wohnungen fordern. Den Abschluß des Aktionstages bildete eine Großdemo aller Hochschulen und Fachhochschulen, an der mehr als 10.000 StudentInnen teilnahmen (s. S. 17).

„Mitbestimmung ist für uns der zentrale Punkt“, erklärt ein Student am Infostand der ChemiestudentInnen von FU und TU in der Wilmersdorfer Straße. „Das wird in der Presse jedoch systematisch unterschlagen.“ Während im Hintergrund KommilitonInnen auf einem Bunsenbrenner abenteuerliche Mixturen zusammenkochen - „Bunt, aber ungiftig“ - werden die Forderungen der ChemikerInnen aufgezählt: Sie kämpfen gegen die immer stärkere Industrialisierung der Naturwissenschaften, gegen die Ausweitung der Drittmittelforschung.

„Argumentieren Sie auch oder verteilen Sie nur?“, spricht ein älterer Herr in beiger Lederjacke eine Studentin an. „Man darf nämlich nicht immer nur einfach fordern“, belehrt er sie, ohne einen Blick auf das angebotene Flugblatt zu werfen. „Die Leute sind sehr schlecht informiert“, heißt es auch bei den SportstudentInnen am Kranzlereck. Ein Student in Rugby-Montur bittet Mutter und Tochter, ihren Namen auf die Unterschriftenliste zu setzen. Gerade will die Tochter ihren Kuli zücken, da fällt der Mutter noch ein: „Aber wieso soll denn der Heckelmann weg? Der ist doch für die Studenten!“

Mühsam wird an diesem Vormittag um jede Unterschrift gerungen, immer wieder erklärt, richtiggestellt und argumentiert. Bisweilen auch gelacht: vor dem U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße findet eine alternative Mathematikvorlesung statt. Die Existenz der „inversen Heckelmannformel“ soll bewiesen werden. Der „Professor“ führt aus, daß dabei der „zentrale Rücktrittssatz (ZRS)“ auf der Grundlage der „allgemeinen Streiktheorie“ zu berücksichtigen sei. Vor allem die Frage, ob die Basiselemente zählbar seien oder gegen unendlich gehen würden, müßte noch geklärt werden. Die Umstehenden grinsen. „Ich hasse Mathe“, sagt ein Typ, „aber das ist geil.“

„80 zu 120“, strahlt auch die alte Dame am Wittenbergplatz. Gerade hat sie sich von MedizinstudentInnen den Blutdruck messen lassen und dabei nebenbei noch etwas über die miesen Studienbedingungen an diesem Fachbereich erfahren. Ein junger Mann läßt seine Augen testen: „Wir wollen Mitbestimmung“, heißt der Text, den er entziffern soll.

Da klingen plötzlich alte Weisen, wenn auch in neuem Wortlaut, über den Platz. „Oh Du fröhliche, oh du selige-he, gnadenbringende Studienzeit. Fo-horschung und Lehre, für Geld und Funktionä-häre, Industrie und Rü-hüstung in Einigkeit.“ Besinnliches zur Weihnachtszeit, dargeboten vom Chor der Universitäten unter Federführung der MusikwissenschaftlerInnen der TU.

Auf der Wilmersdorfer Straße spricht mich kurz vor der Demo noch ein Student vom Fachbereich Technischer Umweltschutz (TU) an. „Wißt ihr überhaupt, daß unser Institut auch besetzt ist?“, sagt er mit glänzenden Augen. „Wir sind ein ziemlich kleiner Fachbereich, vielleicht habt ihr noch gar nicht mitgekriegt, daß wir auch streiken?“

Frauke Langguth