Große Worte und Streit um Menschenrechte

Zu den Feierlichkeiten anläßlich des 40. Jahrestages der UNO-Menschenrechtserklärung hatte Frankreichs Staatspräsident Mitterrand Lech Walesa und Andrei Sacharow geladen / Diskussion um angeblich marxistische Menschenrechte in Frankreich entfacht  ■  Aus Paris Georg Blume

Laserstrahlen über dem Eiffelturm für den polnischen Gewerkschaftsführer Lech Walesa und den sowjetischen Bürgerrechtler Andrei Sacharow - die 40.Jahresfeier der UNO -Menschenrechtserklärung am Samstag in Paris war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das große Spektakel, das die Welt zum 200. Geburtstag der französischen Revolution im nächsten Jahr erwartet. Dennoch hatte Francois Mitterrand sein bestes gegeben, um anderen Feierlichkeiten, die rund um den Globus aus gleichem Anlaß stattfanden, die Show zu stehlen.

Auf eine persönliche Einladung des Staatspräsidenten waren die beiden prominenten Gäste aus dem Osten nach Paris gekommen. König Mitterrand empfing Walesa und Sacharow zunächst getrennt in privaten Audienzen, erst am Abend setzte er die beiden - die sich noch nie getroffen hatten zum Festessen an einen Tisch.

Im Pariser „Palais de Chaillot“ hatten zuvor im Beisein von UN-Generalsekretär Perez de Cuellar die offiziellen Feierlichkeiten stattgefunden. Während einer mehrwöchigen Pariser Zwischenstation auf ihrem Weg von Genf nach New York hatte die Vollversammlung der Vereinten Nationen am gleichen Ort zu gleichem Datum vor vierzig Jahren die umfassendste universale Menschenrechtserklärung der Geschichte abgelegt. Nur die osteuropäischen Staaten, Saudi-Arabien und Südafrika hatten sich damals iher Stimme enthalten. Das Recht auf Arbeit, soziale Sicherung, medizinische Hilfeleistung, auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit und politisches Asyl waren im „Palais de Chaillot“ zum ersten Mal allgemeingültig für die gesamte Menschheit formuliert worden.

Die Pariser Festredner bedeckten diese Errungenschaft der Vereinten Nationen mit großen Worten: „Hier hat das Herz der Menschheit wieder zu schlagen begonnen“, erklärte Michel Blum, Vorsitzender des Menschenrechtskomitees nichtstaatlicher Organisationen. „Wir verdanken der UNO das erste moralische Gesetzbuch der Menschheit“, meinte UNESCO -Generalsekretär Frederico Mayor Saragoza. Sein UN-Kollege Perez de Cuellar betonte anschließend die Bedeutung der Erklärung „als Mittel der sozialen Veränderung“. Er verwies auf die Entwicklungen in der Gen- und Computerindustrie, denen gegenüber der Menschenrechtsbegriff neu zu definieren sei, und erwähnte auch die noch nicht ausreichend bestimmten „Menschenrechte der Ausländer“. Zuletzt wog Francois Mitterrand die „Kraft der Wörter“ von 1948.

Im Verlauf ihres gesamten Parisaufenthalts, hielten sich Lech Walesa, dem zum ersten Mal seit 1981 eine Auslandsreise gewährt wurde, und Andrei Sacharow zurück. Lech Walesa äußerte den Wunsch, daß „das Europa, von dem ich komme, Teil eines einzigen Europa werde“. Andrei Sacharow sprach von „bedeutenden Fortschritten“, die in der Sowjetunion hinsichtlich der Menschenrechte erzielt worden seien, nannte diese aber „weniger bedeutend, als erhofft“. Beiden fehlte wohl die Zeit, diesen Streit ihrerseits zu beleben, der am Rande der Ereignisse in Paris neu entdeckt wurde.

Der französische Philosoph Claude Lefort hatte der links -liberalen Tageszeitung 'Liberation‘ am Wochenende ein Interview gegeben, in dem er den Geist der UNO -Menschenrechtserklärung von 1948 als „sozial -wirtschaftlich, vom Marxismus durchtränkt“ bezeichnete. Die UNO-Erklärung, formuliert Claude Lefort, „läuft Gefahr, die Menschenrechtsidee zu entstellen, indem sie die Grundrechte, deren Nichtbeachtung eine totalitäre oder diktatorische Gesellschaft erkenntlich macht, mit der Befriedigung sozialer Bedürfnisse auf eine Ebene stellt“.

Claude Lefort, der zu Frankreichs „neuen“, anti -totalitaristischen Philosophen der achtziger Jahre zählt, deutet mit seinen Äußerungen nur an, was Frankreich im kommenden Jahr zu den Jubiläumsfeierlichkeiten der großen Revolution erwartet: die Diskussion um den Menschenrechts -Revisionismus. Ein Revisionismus, der sich mit dem französischen Stolz auf die eigene Menschrechtserklärung von 1789 paaren könnte, in der von jenen „marxistisch durchtränkten“ Rechten eben noch nicht die Rede ist.