Absturz in Remscheid: Gau 8/M?

■ Grüne der Stadt: Militärmaschine hatte wahrscheinlich scharfe Munition mit der Bezeichnung „Gau 8/M“ an Bord / 5.000 BürgerInnen demonstrieren mit Fackelzug für Stopp aller militärischen Übungsflüge

Berlin (taz) - Die in Remscheid abgestürzte US -Militärmaschine hat möglicherweise hochgiftige Munition an Bord gehabt. Im Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen, nach denen der Jet vom Typ A10 Thunderbolt nur Übungsmunition geladen hatte, befürchten Mitarbeiter der Remscheider Grünen, daß es sich tatsächlich um scharfe und panzerbrechende Munition mit der Bezeichung „GAU 8/M“ gehandelt hat. Gestützt wird diese Vermutung durch Beobachtungen im Städtischen Krankenhaus. Zwei schwerletzte Opfer würden auf der Intensivstation von Soldaten mit Maschinenpistolen bewacht, der Zugang sei gesperrt und ihre Behandlung geschehe in Schutzanzügen. Eine der Schwestern habe bei Betreten der Station selbst einen Schutzanzug anlegen müssen. Weiter gibt es widersprüchliche Angaben zur Kennzeichnung der aufgefundenen Geschosse.

Während Übungsmunition normalerweise olivgrün markiert ist, berichten Augenzeugen nach Angaben des Grünen Stadtrates Zarstedt, daß sie Munition mit blauer oder roter Farbmarkierung gesehen hätten. Bei den 30 Millimeter -Geschossen des Typs „Gau 8/M“ handelt es sich um panzerbrechende Granaten, deren Kern aus angereichertem und hochgiftigem Uran-238 besteht. Die Frage, welche Munition die Militärmaschine an Bord hatte, wird heute die Hautausschußsitzung des Remscheider Stadtrates beschäftigen. In der Sitzung soll auch über Direktmaßnahmen für die Opfer des Absturzes beraten werden. Die Zahl der Getöteten ist unterdessen auf sechs gestiegen. Wie die Polizei mitteilte, wurde zuletzt ein 32jähriger italienischer Gerüstbauer identifiziert. Die Anzahl der Verletzten wird mit über 50 angegeben, zwei Menschen sollen nach wie vor in Lebensgefahr schweben.

Über 5.000 BürgerInnen aus Remscheid gedachten am Samstag mit einem Fackelzug in der Innenstadt der Opfer der Katastrophe. Auf der Abschlußkundgebung forderten sie den sofortigen Stopp aller Tiefflüge wie auch aller anderen militärischen Übungsflüge über bewohnten Gebieten. Aufgerufen hatte die Remscheider Friedensinitiative, in der über 30 Gruppen, Parteien und Organisationen zusammengeschlossen sind. Die Initiative verabschiedete mittlerweile eine „Remscheider Mahnung“, in der die Unterzeichner erklären: „Rüstung tötet auch mitten im Frieden. Niemand kann den Sinn der ständigen Gefährdung der Bevölkerung durch den Tiefflugterror begreifen.“

In den USA bestätigten jetzt die Behörden gegenüber der 'Washington Post‘, daß die US-Regierung der Bitte der Bonner Koalition nachkommen und die militärischen Übungsflüge unterhalb einer Flughöhe von 3.000 Metern bis zum 2.Januar 1989 aussetzen will. Frankreich, Belgien, die Niederlande und Großbritannien haben dem vorläufigen Flugstopp ebenfalls zugestimmt. Der 'Washington Post‘ zufolge ist das Bonner Ersuchen in der US-Bundeshauptstadt jedoch mit Unbehagen aufgenommen worden, da es nicht auf „Tiefflüge“ allein beschränkt sei und dadurch das Training der Nato-Piloten mehr als notwendig eingeschränkt würde. Zu einer Sondersitzung über den Absturz wird am 22.Dezember auch der Verteidigungsausschuß des Bundestages einberufen.

wg