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Realismus der geringen Mittel

■ Am Samstagabend hatte im Institut Francais das Stück „Muttersohn“ Premiere. Es ist die erste Produktion des „Freies Theater Bremen“. Regie: Till Huster

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Im Institut Francais spielt seit Samstag die neugegründete Truppe „Freies Theater Bremen“ seine erste Produktion: ein Stück des französischen Klassikers Jules Renard (1864-1910)

-in einer deutschen aktualisierten Bearbeitung. Regie hat Till Huster, Sohn des kürzlich gestorbenen Günther Huster (Zimmertheater).

„Muttersohn“ heißt zu deutsch die in Frankreich noch heute erfolgreiche Bühnenfassung des 1894 in Paris erschienenen Romans „Poil de Carotte“.

Der Einakter, der den literarischen Ruhm seines Autors festigte, entstand 1899. Ein Ergebnis der Reduktionskunst Renards, dem es ein Gebot war, „nur noch das richtige Wort zu verwenden“ und dessen prägnantes Schreiben - das sich sicherlich gegen die extreme Gefühlsverwirrung seiner Kindheit und das im familiären Labyrinth erlebte Schweigen und Verschweigen richtete - paradoxerweise sich in seiner Knappheit dem Schweigen wieder nähert.

Liegt aber der Roman in der Aneinanderreihung scharf gestochener Episoden das subtile Grauen in der vierköpfigen Familie Lepic bloß und hält an dem aus

wegslosen Unglück des Kindes Poil de Carotte fest, ist der Einakter versöhnlicher, wird Poil de Carotte nicht mehr nur Opfer der Allmacht und Unberechenbarkeit der Mutter, der Abwesenheit des Vaters.

„Ich will keine resignativen Stücke inszenieren“, sagt Till Huster.

Die kleine Bühne des Institut Francais ist karg ausgestattet. Ein Realismus der geringen Mittel: ein weißer hölzerner Gartenzaun, ein Blumenbeet, eine Bank. Ein intimer Raum für ein Vierpersonendrama: Monsieur Lepic, Madame Lepic, Annette, die Dienstmagd und Poil de Carotte, der 16jährige Sohn. Es ist Sommer, irgendwo auf dem Land in einem vergangenen Jahrhundert. Ferienzeit für Poil de Carotte, der aber nicht spielen darf.

Jules Renard hat verschiedene Szenen aus seinem Buch - „Die Hühner“, „Knalleffekt“, „Auf der Jagd“ u.a. - zu einer eigenständigen Geschichte zusammengebaut, die gegenüber der Romanfassung eine Verschiebung der Akzente aufweist. Nicht nur die Mutter trägt hier die Verantwortung für die Verzweiflung des Poil de Carotte, auch der Vater wird deutlicher zur Rechenschaft gezogen.

Die Mutter ist nicht nur böse, sondern unglücklich - wie der Vater, wie der Sohn. Der Kreis des Unglücks, der ein Kreis des

Schweigens ist, schließt alle ein. Einziger Ausweg scheint das Reden zu sein, und die Figur der Annette, die Renard für das Stück neu erfunden hat, spielt eine entscheidende Rolle in der Wende zur Familienversöhnung.

Vater und Sohn fangen an, miteinander zu sprechen: der Vater, der seit siebzehn Jahren beharrlich geschwiegen hat, der Sohn, der sich immer fürchtete, die Wahrheit zu sagen, seine Ängste, seine Todeswünsche und die Mutter: weint und hat plötzlich „keine Blitze mehr in den Augen“.

So endet das Stück, das von der Intensität der Dialoge und vor allem des Spiels von Axel Duffner in der Rolle des Poil de Carotte lebt, mit einer Hoffnung. Gleichzeitig verliert der Stücktext gegenüber dem Roman an Schärfe. Wo dort Grausamkeit nach einem nachvollziehbaren psychoterrorischen Muster Grausamkeit folgte, wirkt die Auflösung der Spannung am Ende der Theaterfassung, der Versuch der Versöhnung, eher verharmlosend.

Sonia Nowoselsky-Müller

Weitere Vorstellungen von „Muttersohn“ in der Bearbeitung des „Freien Theaters Bremen“ finden am 15. und 17. Dezember, um 20.30 Uhr im Institut Francais, Contrescarpe, statt.

Hinweis: „Muttersohn. Poil de Carotte“, (Romanfassung), Manholt-Verlag, Bremen 1987

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