Kumpel Nobby im schwarzen Loch

Die nordrhein-westfälische CDU, größter Landesverband der Christdemokraten, steckt nach jahrelangen Führungsproblemen, innerparteilichen Zwistigkeiten und leeren Kassen immer noch im politischen Tief / Der Landesvorsitzende Blüm kommt gegen Landesvater Rau nicht an, und der Parteinachwuchs rebelliert  ■  Von Johannes Nitschmann

Angesichts der jüngsten Turbulenzen in den CDU -Landesverbänden Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sorgt der desolate Zustand der nordrhein -westfälischen CDU nicht einmal mehr für sonderlich viel öffentliche Aufregung. Überdurchschnittlich starke Mitgliederverluste - annähernd 20.000 innerhalb der letzten drei Jahre - anhaltend schlechte Meinungsumfragen und eine drohende Finanzkrise haben den mit Abstand größten CDU -Landesverband nach jahrelangen Führungsquerelen und innerparteilichen Zwistigkeiten in ein neues politisches Tief gestürzt.

Unter ihrem im Frühjahr 1987 aus Bonn importierten Hoffnungsträger, Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, steht die NRW-CDU demoskopisch heute sogar noch schlechter dar als bei ihrem letzten Desaster bei der Landtagswahl 1985, wo es gerade noch zu schlappen 36,5 Prozent für die Christdemokraten an Rhein und Ruhr reichte. Dabei hatte der sich gern kumpelig und volksnah gebende Blüm nach seiner Wahl zum neuen CDU-Landeschef den Düsseldorfer Regierungschef Johannes Rau (SPD) in arge Verlegenheit gebracht. Mit seinem medienwirksamen Engagement in den notleidenden Kohle- und Stahlregionen hatte sich „Kumpel Nobby“ gehörig in Szene gesetzt. Wenn die führenden SPD -Landespolitiker in den von Massenentlassungen bedrohten Industrierevieren endlich auftauchten, war Blüm schon immer längst dagewesen.

Dabei speiste der schnelle CDU-Brüter die protestierenden Kumpel und Stahlkocher keineswegs nur mit flotten Sprüchen ab. Zwar konnte auch Blüm keine einzige Werksschließung in der Kohle- und Stahlbranche verhindern. Wenigstens drückte er aber am Bonner Kabinettstisch handfeste Hilfen für die freigesetzten Bergleute und Stahlarbeiter durch, was ihm selbst bei sozialdemokratischen Gewerkschaftern gehörigen Respekt verschaffte. Dem Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) rang Blüm schließlich die Einberufung einer bislang einmaligen „Montankonferenz“ im Bonner Kanzleramt ab, auf der sich Politiker, Gewerkschafter und Unternehmer wenigstens ansatzweise auf ein konkretes Hilfsprogramm für das von der Montankrise gebeutelte Ruhrgebiet verständigen konnten.

Dieses Engagement Blüms ist in seiner eigenen Landespartei auf Argwohn und Mißtrauen gestoßen. Insbesondere die einflußreichen Wirtschaftskreise und Mittelstandspolitiker befürchteten, die eher klerikal-traditionalistisch orientierte CDU in Nordrhein-Westfalen könnte unter dem in seiner eigenen Partei bisweilen als „Herz-Jesu-Marxisten“ verspotteten Bundesarbeitsminister ihre angestammte Klientel im bürgerlich-konservativen Lager verschrecken.

Bereits kurz nach Blüms Amtsantritt als CDU -Landesvorsitzender hatte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, der Krefelder Bundestagsabgeordnete Hansheinz Hauser, „die verlegenen Entschuldigungsgebärden“ seiner Partei „gegenüber der sozialdemagogischen Einheitsfront von DGB und SPD“ bitter beklagt. In einem internen Strategiepapier warnte Hauser: „Wer in der Union von der angeblich notwendigen 'Wiederherstellung sozialer Verläßlichkeit‘ redet, wer angesichts der falschen und emotional widerlichen Kampagne von SPD und DGB keine Offensive gegen deren Behauptungen führt, der darf sich nicht wundern, wenn in Teilen der Wählerschaft der Unterschied zwischen den politischen Parteien CDU/CSU und SPD bis zur Unkenntlichkeit verwischt wird.“

Mittlerweile haben die wirtschaftspolitischen Hardliner um Hauser in der NRW-CDU deutlich an Boden gewonnen und sich erfolgreich gegen die von Blüm propagierte Öffnung der Landespartei zu neuen gesellschaftlichen Gruppierungen gesperrt. Der CDU-Landeschef hat sich in den letzten Monaten sichtlich rar gemacht an Rhein und Ruhr. Als landespolitischer Herausforderer macht der mit seinen Reformvorhaben im Renten- und Gesundheitswesen ohnehin überforderte Arbeitsminister derzeit kaum mehr Schlagzeilen.

In der Parteiführung der NRW-CDU geben neben dem zur Mittelstandsvereinigung zählenden Generalsekretär Helmut Linssen Polit-Strategen aus der dritten und vierten Reihe unüberhörbar den Ton an. Dabei versuchen diese harten Verfechter eines Rechtskurses vor allem mit populistischen Stammtisch-Themen Stimmung zu machen, indem sie lautstark die Einführung des „finalen Rettungsschusses“ zur Ausschaltung von Schwerverbrechern fordern oder erregt nach dem Einsatz des Polizeiknüppels gegen Hausbesetzer rufen. Bevorzugte Zielscheibe ihrer Attacken ist der liberale Innenminister Herbert Schnoor (SPD), den die CDU derzeit fast täglich zum Rücktritt auffordert.

Aber auch auf anderen Gebieten hat sich die Oppositionspolitik der 88köpfigen CDU-Landtagsfraktion unter der Führung ihres blassen und innerparteilich immer einflußloser werdenden Vorsitzenden Bernhard Worms längst auf persönlich geprägte Scharmützel mit Mitgliedern der SPD -Landesregierung reduziert. Unterdessen wächst unter den rund 250.000 Mitgliedern die Unzufriedenheit über den Führungsstil des Landesvorsitzenden Blum. Vor allem aus Sorge vor überdurchschnittlich hohen Verlusten bei der kommenden Kommunalwahl 1989 gehen immer mehr der acht CDU -Bezirksvorsitzenden auf deutliche Distanz zur Landesparteiführung und propagieren eine „eigenständige Regionalpolitik“.

Die Distanz mancher Bezirkschefs zur Landesparteizentrale geht so weit, daß sich kürzlich der niederrheinische Bezirksvorsitzende Willy Wimmer öffentlich damit brüstete, bei der Aufstellung der Kandidaten zur Europawahl „gegen ganz erheblichen Druck einen eigenen Mann gegen die Landespartei“ durchgeboxt zu haben - und zwar in einem personalpolitischen Stellvertreterkrieg für inhaltliche Auseinandersetzungen: Die Landesparteiführung hatte für diesen sicheren Listenplatz zuvor einen Leverkusener Gewerkschaftssekretär der IG Metall aus dem Blüm-Clan ausgeguckt.

Blüm, so klagen verschiedene CDU-Bezirksfürsten, habe durch seine andauernden Bonner Verpflichtungen „viel zu wenig Zeit für die Partei“. Und die Düsseldorfer CDU-Landtagsfraktion bekomme unter dem glücklosen Oppositionsführer Worms „einfach kein Bein auf die Erde“. Innerhalb der CDU -Landtagsfraktion wird sogar ernsthaft darüber nachgedacht, den ohnehin nur noch geduldeten Wahlverlierer Worms noch rechtzeitig vor der nächsten Landtagswahl 1990 zu stürzen. Freilich mangelt es ihnen an einer überzeugenden personellen Alternative.

Der Landesvorsitzende der Jungen Union (JU), Ronald Pofalla, sieht eines der Hauptprobleme für die schwache Personaldecke in seiner Partei darin, daß „das Windelalter“ in der CDU bis zum 40.Lebensjahr andauere „und erst danach die politische Menschwerdung beginnt“. Dem will der CDU -Nachwuchs bereits bei der kommenden Kommunalwahl abhelfen. In allen Städten und Gemeinden, wo die CDU nicht mindestens drei junge Leute auf sicheren Listenplätzen plaziere, werde die Junge Union mit eigenen Listen notfalls gegen die eigene Mutterpartei antreten, drohte Pofalla öffentlich.

Hinter diesen Forderungen des CDU-Nachwuchses und der Bezirkschefs steckt neben dem eigenen Machtanspruch eine erhebliche Portion Mißtrauen gegen die Landesparteiführung, die derzeit neben politischen auch mit schweren finanziellen Problemen zu kämpfen hat. Einen Bericht der über CDU-Interna gewöhnlich gut informierten 'Westfalenpost‘, wonach das Vermögen der NRW-CDU innerhalb der letzten drei Jahre von zwölf auf eine Million Mark zusammengeschmolzen sei, ließ Generalsekretär Linssen bislang undementiert.

Die Zeche sollen jetzt die CDU-Mitglieder bezahlen, deren jährlicher Mitgliedsbeitrag nach einem Beschluß des jüngsten Landesparteitags in Aachen gleich um ganze sechs Mark erhöht werden soll. Dagegen machten die Delegierten dem Parteimanagement einen dicken Strich durch die Rechnung, als sie die beantragte einmalige Wahlkampfumlage von 10.000 Mark je Kreisverband - was immerhin 540.000 Mark in die ziemlich leere Parteikasse gebracht hätte - vorerst ablehnten und bis nach den Kommunalwahlen vertagten, obwohl Generalsekretär Linssen zuvor offen eingestanden hatte, selbst diese Umlage liege noch „weit unter dem, was wir als Vorbereitung auf den Wahlkampf eigentlich haben müßten“. Schon heute haben die meisten Kreisverbände überhaupt Schwierigkeiten, mit ihren Zahlungen an die Landespartei nachzukommen: Lediglich 17 der 54 Kreisverbände sind mit ihren Überweisungen an die Landes -CDU nach Aussage von Schatzmeister Franz Heinrich Krey „a jour“, die Zahlungsrückstände belaufen sich immerhin auf die stolze Summe von rund 1,2 Millionen Mark.

Für das mißliche Erscheinungsbild seiner Landespartei macht Blüm vor allem den Westdeutschen Rundfunk (WDR) verantwortlich, den er als „die größte Unions -Schallschluckmauer“ bezeichnet. Dem anhaltenden Stimmungsverfall setzt der umtriebige Polit-Tausendsassa Blüm pralle Siegeszuversicht entgegen: Die NRW-CDU, so warnt er seit Wochen landauf, landab, dürfe sich jetzt bloß „nicht demoskopisch in den Keller reden lassen“. Umfragen, wonach der CDU-Herausforderer gegenwärtig mit nur 31 Prozent in der Wählergunst an Rhein und Ruhr deutlich hinter Amtsinhaber Rau rangiert, der es in dem Personalduell (bei Erhebungen) auf satte 64 Prozent bringt, sind für CDU-Landeschef Blüm nichts weiter als „Zahlen, die von der Süddeutschen Klassenlotterie oder dem Wetteramt Essen abgerufen worden sind“.