Größter kommunaler Eigenbetrieb steht vor Ausverkauf

Münchens Stadtwerke haben sich mit ihrem neuen Energiekonzept verkalkuliert / demnächst Kraftwerke als Abschreibungsobjekte / Entscheidung nach Weihnachten  ■  Von Henriette Wägerte

Sie waren so stolz auf ihr Werk: Von einem „enormen Umweltschutzbeitrag“ sprachen StadträtInnen und Vertreter der Stadtwerke, als im Mai 1985 eine große Koalition aus SPD und CSU im Münchner Stadtrat das „zukunftsweisende“ Energiekonzept bis ins Jahr 2005 beschloß. Nur die Grünen/Alm (Alternative Liste München) mäkelten damals am „zu zentralistisch ausgerichteten Energiekonzept“ herum: die Finanzierung sei nicht gesichert, außerdem verhindere es zahlreiche dezentrale, ökologisch sinnvollere Energieprojekte.

Ziel des Münchner Energiekonzepts sollte sein, die Eigenständigkeit der Stadtwerke in der Stromerzeugung zu erhalten, um von der Energiepolitik privater EVUs unabhängiger zu sein. Konkret bedeutet das: die Fernwärme ausbauen und den Einsatz von Erdgas zur Strom- und Fernwärmeerzeugung verringern. Kernstück des Konzepts ist das geplante Heizkraftwerk Nord mit zwei Blöcken: in Block 1 soll Müll und im Block 2 Kohle verbrannt werden.

Der Traum ist nun geplatzt. Als vor einigen Wochen endlich die Kanalarbeiten auf der größten Baustelle Münchens begannen, mußte zur gleichen Zeit Walter Layritz, Chef der Stadtwerke, auf der Stadtversammlung zugeben: Das Energiekonzept ist nicht finanzierbar. Um den drohenden Ruin der Stadtwerke abzuwenden, sucht München nun nach privaten Geldgebern. Steht der Ausverkauf des größten kommunalen Eigenbetriebs der Bundesrepublik bevor?

Ursprünglich sollten alle Projekte des Energiekonzepts 1,6 Milliarden Mark kosten, heute werden sie bereits auf über 2,4 Milliarden geschätzt. Allein die Kosten für das Kraftwerk Nord stiegen innerhalb von drei Jahren um 200 Millionen Mark - bevor auch nur ein Bagger anrollte. Was verursachte die 52prozentige Teuerung? Die Prognosen stützten sich nur auf eine global formulierte technische Planung, deren Kosten mit üblichen Kennwerten beziffert wurden und nicht detailliert berechnet waren. Schuld an der Kostenexplosion, so die Stadtwerke, hätten aber auch Genehmigungsauflagen aus Umweltschutzgründen, wie verbesserte Emissions-Grenzwerte, und Verteuerungen aufgrund dieser Verzögerung. Schuld am Geldmangel habe auch der „Umweltpfennig“, der 1987 nicht wie erwartet erhoben wurde. Bei ihren Rechenkunststückchen haben die Stadtwerke bis 1993 tatsächlich 350 Millionen Mark Erlös durch den Umweltpfennig mit eingebaut!

Bisher konnten die Stadtwerke - mit 10.100 MitarbeiterInnen und 2,5 Milliarden Mark Umsatz gehören sie auch zu den 100 bundesweit größten Unternehmen - die Defizite bei den Bädern und den Verkehrsbetrieben durch gute Bilanzen bei der Strom und Fernwärmeversorgung sowie der Gas- und Wasserversorgung fast auffangen. Das neue Energiekonzept jedoch treibt das jährliche Defizit aller Betriebszweige von zur Zeit 110 Millionen auf 309 Millionen Mark im Jahr 1993. Dieses Finanzgebaren katapultiert München auf der Skala der meist verschuldeten Großstädte nach vorne: mit 4.200 Mark Pro-Kopf -Verschuldung rückte die reiche Stadt bereits auf Platz drei, beim Verschuldungszuwachs hat sie mit 12,5 Prozent die Spitzenstellung längst erreicht.

Heute stehen die Stadtwerke vor einem Scherbenhaufen, den keiner kitten mag. Die hauptverantwortlichen Werkleiter sind inzwischen Pensionäre. Ein SPD-Stadtrat über die Ratlosigkeit seiner Fraktion: „Augen-zu-und-durch.“ Die CSU ließ sich von den Liberalen überzeugen, die endlich eine günstige Gelegenheit für ihre Privatisierungswünsche sahen: „Wir müssen private Finanzpartner finden.“ Nach Wunsch der FDP sollen für eine Beteiligung am Heizkraftwerk Nord die Energiemultis Bayernwerke und Isaramperwerke (für den Kohle -Block) und der Anlagenhersteller STEAG (für den Müllblock) gewonnen werden. Auf den zwei Milliarden Mark teuren Kohleblock ganz verzichten wollen nur die Grünen/Alm. Statt dessen verlangen sie den Ausbau der bestehenden städtischen Kraft- und Heizwerke auf Erdgasbasis sowie den Zubau neuer Heizwerkskapazitäten. Gleichzeitig soll ihrer Meinung nach ein kleinerer Kohleblock neu ausgeschrieben werden, der aus dem Verkaufserlös des 25prozentigen Anteils am AKW Isar II (Ohu II) finanziert wird. In den Schubladen der Stadtwerke liegt seit Monaten eine Studie über die technischen und finanziellen Möglichkeiten eines Atom-Ausstiegs - Ergebnis einer früheren rot-grünen Mehrheit im Stadtrat - unter Verschluß, weil noch die „politische Umsetzung“ erarbeitet werden müsse. Würde allerdings die Energieversorgung Münchens ganz oder teilweise privatisiert, und die Bayernwerke einsteigen, so wäre dieses Unternehmen wohl das letzte, das den Ausstieg vorantriebe.

Den Verzicht auf Block II haben auch die Stadtwerke durchgespielt: Inhaltlich haben sie der Variante wenig entgegenzusetzen, favorisieren aber das ursprüngliche Konzept wegen des „fortgeschrittenen Planungsstands“. Um den drohenden Ruin zu verzögern, fordern sie Preiserhöhungen für Strom und Gas und Personaleinsparungen. Reine Kosmetik, wie auch Stadtwerkechef Layritz zugibt: „Wir können die Verluste vor allem der Dienstleistungsbetriebe Verkehr und Bäder nicht mehr auffangen, der Hoheitsgehalt der Stadt muß einspringen.“

Bauchschmerzen bereitet diese Aussicht besonders dem CSU -Kämmerer. Braucht er doch dringend Geld für andere Großprojekte: 1,3 Milliarden für den kreuzungsfreien Ausbau des Mittleren Rings, mindestens drei Milliarden für die ehrgeizigen U-Bahn-Pläne. Um kurzfristig Millionenbeträge freischaufeln zu können, unterstützte er vehement die Privatisierungspläne der FDP. Gegen den Protest von Grünen und SPD, daß nun wieder Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden sollen, beschloß schließlich eine konservative Allianz aus CSU/FDP und USP (SPD-Abspaltung), nach Interessenten für den bisher noch gewinnträchtigen Energiebereich der Stadtwerke zu suchen.

Doch außer dem Anlagenhersteller STEAG, der über die Müll und Klärschlammverbrennung ein Standbein im Süddeutschen Raum aufbauen möchte, winkten die Angesprochenen müde ab. Deshalb haben sich die Stadtwerke etwas anderes ausgedacht: „Eine Beteiligung am Heizkraftwerk Nord kann für EVUs unter steuerlichen Gesichtspunkten interessant sein, wenn sie Verluste abschreiben wollen.“ Bekommen wir also bald das Bauherrenmodell für Großinvestoren: kommunale Unternehmen als Abschreibungsgesellschaften, kommunale Bauvorhaben als Abschreibungsobjekte? Bieten Städte privaten Investoren künftig Verlustzuweisungen? Ein interessantes finanzpolitisches Spielfeld, auf das sich die Münchner StadträtInnen hier wagen. Nach der Weihnachtspause wird über das Wagnis entschieden.