GAL-Realos auf dem Rückzug

Tumulte auf der Mitgliederversammlung der Hamburger Grünen / Thea Bocks Schuldentitel nicht zurückgenommen / Beide Realo-Vorstandsmitglieder zurückgetreten / Steigt auch die neue Fraktion aus?  ■  Aus Hamburg Axel Kintzinger

Kathrin Schnoor war sprachlos. Die Redakteurin eines lokalen Fernsehsenders hatte am Ende der GAL-Mitgliederversammlung erfolglos versucht, für ein Studio-Streitgespräch mit dem abgetretenen Realo-Vorstandsmitglied Kurt Edler einen passenden Gegenpart aus dem fundamentalistischen GAL-Flügel, der in der Partei die Mehrheit stellt, zu gewinnen. „Mit dem rede ich nicht mehr“, lautete die Antwort aller Befragten, „da wirst du auch keinen anderen finden“.

Eine Stunde zuvor hatte Edler und mit ihm die Realo-Frau Rosemarie Broderius den etwa 600 TeilnehmerInnen der Mitgliederversammlung seinen Rücktritt aus der Parteiführung verkündet. Edlers Erklärung, die von wütenden Protestrufen immer wieder unterbrochen wurde, hatte den Charakter einer Generalabrechnung.

Im Fadenkreuz der Edlerschen Kritik: Der Landesvorstand, „der mit der Optik einer politischen Sekte operiert und der fast ausschließlich die Lieblingsthemen eines zahlenmäßig unbedeutenden Adressatenkreises ins Auge faßt“. Im Klartext: Hafenstraße und Palästina-Solidarität.

Edler weiter: „Kommunalpolitik kommt nicht mehr vor, es sei denn, es geht um die Erstürmung von Speisegaststätten.“ Das saß, hatte doch erst am Vorabend eine Gruppe von Autonomen die Schicki-Bar Meyer Lanskis in ihre Einzelteile zerlegt.

Probleme mit solchen Aktionsformen würden in der GAL „verdrängt“, ja „bagatellisiert“, kritisierte Edler. Die grüne Volksseele kochte über ob dieser Vorwürfe. Über diesen Abgang wurde beinahe der Streit vergessen, der zuvor in ähnlich erregter Stimmung über den Fall Thea Bock geführt worden war. Einzelne VertreterInnen der Realo-Strömung hatten dabei den Vorwurf der „politischen Erpressung“ aufrechterhalten. Ihre Begründung konzentrierte sich auf einen Satz im Protokoll einer Vorstandssitzung: „Wir nehmen an, daß Thea kein politisches Mandat mehr annimmt“, wurde Ende September in dem Papier festgehalten. Vorständler Michael Wunder dazu: Thea Bock hätte das „selbstverständlich“ gefunden.

Wie berichtet, hatte die prominente GAL-Politikerin vor Wochen ein Schuldanerkenntnis von rund 55.000 Mark unterzeichnet. Bei der Summe handelt es sich um nicht abgeführte Diäten aus ihrer Abgeordnetenzeit in der Hamburger Bürgerschaft. Auf der Mitgliederversammlung ging ein Antrag auf Zurücknahme des Schuldentitels, der von Nachrückerin Angelika Birk gestellt worden war, erst in Gejohle und Buhrufen unter, bevor er mit großer Mehrheit abgelehnt wurde.

Für einige der acht Frauen, die im Rahmen der GAL-üblichen Rotation im Februar ins Landesparlament nachrücken sollen, verstärkte sich damit die Ungewißheit darüber, ob sie für die Grünen in die Bürgerschaft gehen wollen. Eine Nachrückerin dachte gegenüber der taz laut nach, „ob sich dieser Einsatz für die GAL noch lohnt“.

Im Realo-Lager dominiert ohnehin Katerstimmung: Viele haben die Partei im Laufe der letzten Woche bereits verlassen, während etliche andere die Austrittserklärung bereits seit Tagen mit sich herumtragen.