Die kurze Rückkehr in die Heimat

Drei türkische GewerkschafterInnen kehrten nach Jahren politischen Asyls in der Bundesrepublik in ihre Heimat zurück, um den Demokratisierungsprozeß von unten zu beschleunigen / Nach der Landung sofort festgenommen und abgeschoben / Nur Jüksel Selek blieb zurück  ■  Von Philip Studemann

Als vergangenen Samstag der Lufthansa-AirbusLH1578 durch die dichte Wolkendecke über Istanbul stieß und zur Landung ansetzte, wußte keiner der Eingeweihten an Bord, was sich in den nächsten Minuten ereignen würde.

Mit in der Maschine: Jüksel Selek, führendes Mitglied der „Progressiven Frauenvereinigung“ in der Türkei; Turhan Ata, ehemals Vorsitzender einer Bank-Gewerkschaft, die bis 1980 im linksgerichteten Gewerkschaft-Dachverband „Disk“ organisiert war; Murat Tokmak, ehemals stellvertretender Vorsitzender der Metallgewerkschaft „Maden Is“, die ebenfalls im Disk organisiert war, bis dieser 1980 verboten wurde.

Das Trio hatte vor Reiseantritt alles getan, um die für die Einreise nötigen Formulare zu bekommen - eine Antwort hatten sie nie erhalten, weder vom türkischen Generalkonsulat noch von den türkischen Botschaften. Gegen alle drei liegt in der Türkei Haftbefehl vor.

Außerdem an Bord: Elke Kügler (Humanistische Union), Rose Glaser (Grüne), Eberhard Lorenz (SPD), Jean-Fran?ois Courbe (Welt-Gewerkschaftsverband WFTU), Wolfgang Hinz (Dolmetscher), Othmar Steinbekker (UZ) und der taz-Reporter. Damit waren wir als Begleitung zumindest zahlenmäßig dem türkischen Geheimdienst überlegen, der sechs Beobachter im Flugzeug postiert hatte.

Nach der Landung ging alles sehr schnell: Die Heimkehrer, die nach Jahren des Exils am 40.Jahrestag der Deklaration der Menschenrechte in ihre Heimat zurückkehren wollten, wurden unmittelbar nach Verlassen der Maschine von Sicherheitsbeamten brutal aus der Gruppe gezerrt und durch eine Tür gestoßen, die sich hinter ihnen augenblicklich schloß.

Dabei waren sie so zuversichtlich gewesen. Murat Tokmak erklärte wenige Miniuten vor dem Abflug bei einer Pressekonferenz auf dem Frankfurter Flughafen: „Wir sind uns keiner Schuld bewußt. Deshalb werden wir das Recht zur Stellungnahme zu den gegen uns vorgebrachten Anschuldigungen wahrnehmen.“

Das Recht auf Stellungnahme ist im türkischen Gesetzbuch verankert. Allerdings können entsprechende Anträge nur in der Türkei gestellt werden, und genau deswegen waren die drei nach Istanbul geflogen.

Murat Tokmak war nach dem Militär-Putsch von 1980 mit falschen Papieren aus der Türkei in die Bundesrepublik geflohen, worauf ihm die türkischen Behörden die Staatsbürgerschaft aberkannten, weil er sich angeblich der Strafverfolgung entzogen habe. Murat Tokmak blieb in der Bundesrepublik, genau acht Jahre lang, mußte von hier aus die Morde und die Folterungen ansehen. Er erlebte aber auch mit, wie seine ehemaligen Kollegen der Disk mit vier Abgeordneten in das türkische Parlament einzogen. Nicht ohne vorher „einige Kompromisse“ mit den türkischen Militärs zu schließen, wie ein illegal in der Türkei lebender Gewerkschafter bei einem Treffen vieldeutig lächelnd erklärt.

Murat Tokmak will nicht in das türkische Parlament, er will den Demokratisierungsprozeß in seinem Land von unten beschleunigen und für die Anerkennung der Menschenrechte in der Türkei kämpfen. Doch soweit ließen es die türkischen Behörden nicht kommen. Bereits nach einer Stunde waren Murat Tokmak und Turhan Ata des Landes verwiesen und wieder in die Bundesrepublik abgeschoben.

Nur Jüksel Selek, die als einzige des Trios einen gültigen türkischen Paß bei sich trug, wurde von Sicherheitsbeamten sofort in Gewahrsam genommen und mit verbundenen Augen von Istanbul nach Ankara gebracht. Dort verbrachte sie die Nacht in einer feuchten Zelle, um am nächsten Tag erneut nach Istanbul gekarrt zu werden. Am Samstag nachmittag gelang es der Begleit-Delegation, ein Gespräch mit der gefangenen Frau zu führen, nach bereits 24 Stunden.

Nach türkischem Recht geradezu eine Sensation; schließlich darf die Polizei eine verdächtige Person bis zu 15 Tagen in Gewahrsam nehmen. Weder Richter noch Anwälte haben in dieser Zeit die Möglichkeit, mit ihr zu sprechen oder sie auch nur zu sehen. - Türkische Rechtsanwälte sprechen von dieser Periode als „der Folterzeit“.

Im Ausnahmezustand, der seit dem Militär-Putsch in Istanbul herrschte und erst im November dieses Jahres aufgehoben wurde, kann diese 15-Tage-Frist auf 45 Tage ausgedehnt werden.

Jüksel Selek wurde inzwischen als Mitglied einer verbotenen Organisation unter Anklage gestellt. Mit dem Druck der internationalen Öffentlichkeit konnten Rose Glaser und Wolfgang Hinz durchsetzen, kurz mit der Gefangenen sprechen zu dürfen. Sie sagte, sie sei nicht geschlagen worden und es gehe ihr relativ gut.

Der Chef der türkischen Sicherheitspolizei, Vedat Cem, betonte, natürlich könne eine Delegation der BRD die Gefangenen besuchen, es würde wie immer Recht und Gesetz Folge geleistet werden.