Eine Gewerkschaft besinnt sich auf ihre Basis

Spaniens sozialistische Gewerkschaft UGT mobilisierte zum Generalstreik gegen die Wirtschaftspolitik der Sozialistischen Regierung Gonzalez / Regierung hält trotz wirtschaftlichen Booms an strenger Sparpolitik fest / Spanische Presse spekuliert über Sturz der Regierung  ■  Aus Madrid Antje Vogel

„Nicht ein einziges aktives Mitglied der Sozialistischen Partei wird solch einen unverantwortlichen Streik unterstützen“, hatte der Sekretär der PSOE, Jose Maria Benegas, noch getönt, als im November der Generalstreik angekündigt worden war. Nachdem jedoch der erwartete empörte Aufschrei der Öffentlichkeit gegen den Streik ausgeblieben war und statt dessen eine ganze Reihe Prominenter aus den eigenen Reihen Verständnis für den Ausstand erklärte, hat die Regierung Fracksausen bekommen. Mit Zuckerbrot und Peitsche versuchte sie, das Ereignis des Jahres zu verhindern. Regierungschef Felipe Gonzalez sei bereit, mit dem Generalsekretär der sozialistischen Gewerkschaft UGT, Nicolas Redondo, über die Wirtschafts- und Sozialpolitik seiner Regierung zu verhandeln, wenn dieser dafür den Generalstreik abblase, ließ Benegas drei Tage vor der Arbeitsniederlegung verlauten. Doch der Zug war abgefahren. Auch die Peitsche zeigte keine Wirkung, war sie doch vor zwei Jahren, während der Kampagne der Sozialisten für den Verbleib Spaniens in der Nato, bereits ausgiebig benutzt worden. Wenn es damals hieß: wer gegen die Nato stimmt, stimmt gegen Gonzalez, so ist die heutige Version: wer sich am Streik beteiligt, riskiert den Rücktritt der Regierung. Diesmal wurde darüber hinaus tief in den Sack der Geschichte gegriffen: der Generalstreik sei kein Arbeitskampf, sondern ein politisches Instrument, erklärten regierungstreue Sozialisten und spielten so mit der Angst vor der Rückkehr vorrevolutionärer Zeiten: 1934 hatten die revolutionären Gewerkschaften versucht, mittels eines Generalstreiks die rechte Regierung zu stürzen und damit die politische Polarisierung im Land beschleunigt. Doch auch diesem Druckversuch war kein Erfolg beschieden. Es gehe ihnen nicht um den Sturz der Regierung, sondern lediglich um eine Wende ihrer Politik, antworteten die Gewerkschaften, und dieser Anspruch findet breite Unterstützung.

Die konkreten Forderungen der Gewerkschaften nach Rücknahme des Jugendarbeitsförderungsgesetzes, das feste Arbeitsplätze von Erwachsenen durch Zeitarbeitsplätze für billige Jugendliche zu ersetzen droht, nach Anpassung der Löhne der Angestellten an die Inflationsrate und nach Ausweitung des Arbeitslosengeldes sind Indikatoren für die allgemeine Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik der Sozialisten. Bis 1986 hatten die Gewerkschaften, allen voran die UGT, stillgehalten und sich einer strengen Lohnbegrenzungspolitik gebeugt, um wirtschaftliches Wachstum zu begünstigen und die Inflationsrate zu senken. Doch an dem Boom der vergangenen Jahre, der zumindest teilweise auf der Geduld der Gewerkschaften basiert, wollen nun auch die ArbeitnehmerInnen teilhaben. Daß die Regierung trotz günstiger wirtschaftlicher Bedingungen an ihrem Austeritätskurs festhält, ist zu einem Konflikt geworden, der sich zunehmend in einer Abkehr der ArbeiterInnen von der gemäßigten UGT niedergeschlagen hat. In der Klemme zwischen einer sich radikalisierenden bzw. der kommunistischen und anarchistischen Gewerkschaften zuwendenden Basis und der Partei hat sich die UGT-Führung für die ersten entschieden. Und das kompromißlos: Eine Reihe Gewerkschafter, die sich dem Streik nicht anschließen wollten, wurde kurzerhand aus der Organisation ausgeschlossen. „Man muß sich eben entscheiden“, bemerkte dazu lakonisch der UGT-Funktionär Enrique Calvet gegenüber der taz.

Die herausragende Figur des Streiks ist Nicolas Redondo, der Generalsekretär der UGT. Seitdem er vor zwei Jahren aus Protest gegen die Wirtschaftspolitik der Sozialisten sein Abgeordnetenmandat niedergelegt hat, kühlt sein Verhältnis zu dem ehemaligen Schützling Felipe Gonzalez immer mehr ab. Der stämmige Baske in offenem Hemd und Lederjacke bildet nicht nur äußerlich die Antithese zu dem dynamisch wirkenden Gonzalez in Schlips und Kragen. Gegen den Yuppiekurs der Regierung setzte Redondo moralische Werte. Daß sich derlei Prinzipien in einem gemeinsamen Europa mit Thatcher und Kohl noch durchsetzen lassen, wird von vielen bezweifelt. Der Streik wird entweder die Niederlage der Gewerkschaften oder den Sturz der Regierung nach sich ziehen, unken die Zeitungen. Neuwahlen jedoch, das belegen Meinungsumfragen, würden zu einem erneuten Wahlsieg der Sozialisten führen, da die Opposition bislang unfähig ist, ein Alternativprojekt zu präsentieren. Am Tag nach den Neuwahlen werde die Regierung wieder dieselben Probleme vorfinden, hat Redondo prophezeit. Was bleibt? Vorsichtshalber kündigt Redondo bereits weitere Mobilisierungen für die Zeit nach dem Streik an.