Erdbeben-Überlebende erfrieren

■ Die Rettungsaktionen in Armenien werden von Kälte und Organisationsmängeln behindert

Moskau/Berlin (dpa/ap/afp) - In der Erbebenregion im Kaukasus hat sich am Dienstag das herrschende Chaos noch vergrößert. „Unser Land ist dermaßen unterentwickelt, daß wir nicht einmal Hilfe ordungsgemäß in Empfang nehmen können“, klagte ein Fluglotse in Eriwan. Zahllose Überlebende erfrieren, da die Zelte, die aus aller Welt nach Armenien geschickt wurden, die Obdachlosen nicht erreichen. Viele kampieren nach wie vor in den eisigen Nächten an kleinen Lagerfeuern, die sie zwischen den Ruinen anzünden. Dies meldete die sowjetische Parteizeitung 'Prawda‘. Auch in anderen Zeitungen wurde Kritik an der Organisation im Erdbebengebiet laut: Die Handlungsunfähigkeit dürfe so nicht weitergehen, forderte 'Sowjetskaja Rossija‘. In einigen verwüsteten Städten gäbe es niemanden, der die Rettungsarbeiten organisieren könne, eine große Anzahl der Verantwortlichen sei entweder ums Leben gekommen oder stehe unter Schock. Praktisch jeder habe Angehörige verloren. Ein Katastrophenhelfer der UNO: „Hier stehen 50 bis 60 Leute rum, die alle durcheinanderschreien. Vernünftiger wäre es, ein Offizier übernähme die Verantwortung.“ 18.000 Soldaten sind im Erdbebengebiet im Einsatz - die meisten entladen die Hilfsgüter aus Sonderzügen und Flugzeugen. Sechs Tage nach der Katastrophe haben sich jetzt auch erste Helfertrupps in die Dörfer vorgearbeitet. Außerhalb der Städte Leninakan, Kirowakan und Spitak gibt es aber noch keine Übersicht über Tote oder Verletzte.

Unterdessen rollt die Welle der Hilfsgüter nach Eriwan: Fiat spendet Lastautos und Bagger, aus der BRD ist schweres Räumgerät unterwegs und Hessen hat den Wiederaufbau eines armenischen Kindergartens zugesagt. Mit einiger Verspätung hat sich auch die Bundespost dazu durchgerungen, Überweisungen nach Armenien gebührenfrei vorzunehmen. „Bescheidene Hilfe“ kündigte ebenfalls der Eierherstellerverband Großbritanniens an. Er möchte Millionen britischer Eier, die dort wegen eines Salmonellenskandals in den Regalen liegen bleiben, an Armenien „verschenken“.

Bersorgnis herrscht über den Weiterbetrieb des AKWs Medsamor bei Oktembryan, das ungeachtet der ständigen Nachbeben in der Region erst in zwei Jahren abgeschaltet werden soll. Zusammen mit dem Darmstädter Ökoinstitut hat sich gestern die Gesellschaft für bedrohte Völker an die Internationale Atomaufsichtsbehörde in Wien gewandt und die schnellstmögliche Abschaltung des Reaktors gefordert. Ein Supergau könne die Republik Armenien unbewohnbar machen, hieß es in ihrem Appell.

KIR